# taz.de -- Kanzler bei Philosophiefest phil.cologne: Alle müssen gehört werd… | |
> Bundeskanzler Olaf Scholz gelingt es bei der phil.cologne, über | |
> inhaltliche Minenfelder hinwegzuhüpfen. Mühelos gibt er den Mann des | |
> Volkes. | |
Bild: Sein Hemd ist lockerer geknüpft, seine Körperhaltung entspannter: Olaf … | |
Wussten Sie, dass Köln nicht nur grauer Beton ist, sondern auch Jane | |
Austen? Dass man etwa unweit des Stadtzentrums einen pompösen, sattgrünen | |
Märchengarten mit Palästchen namens „Flora“ finden kann? In dieser | |
Tüll-und-Hofknicks-Atmosphäre präsentierte die phil.cologne ein Gespräch | |
zwischen Olaf Scholz und [1][dem Sozialphilosophen und Habermas-Schüler | |
Axel Honneth], moderiert von Svenja Flaßpöhler. Man unterhielt sich dort am | |
Montag jedoch selbstverständlich nicht über den Auftakt der nächsten | |
Ballsaison, sondern über Arbeit. | |
Auf die Frage, warum man sich hitzeverklebt und jetzt schon sommermüde bei | |
33 Grad durch den Stadtverkehr quält, antwortet die Schülergruppe genauso | |
wie das junge Paar und die Frauengruppe kurz vor Renteneintritt: Einmal den | |
Kanzler sehen, „den Olaf“, endlich wissen, ob er eigentlich doch ganz | |
lustig ist, ob die Fernsehkamera nicht immer eine Menge Ausstrahlung | |
verschluckt, vielleicht, hoffentlich, ganz bestimmt. Und als hinter mir | |
noch einige Jusos leise davon schwärmen, wie viel einfacher man bei der CDU | |
Karrierepolitiker werden könnte, betritt dieser, unser Kanzler die Bühne – | |
und man könnte meinen, er hätte vorher dieselbe Feldforschung im Publikum | |
durchgeführt. | |
Scholz ist ein Wohlfühlkanzler an diesem Nachmittag. Sein Hemd ist lockerer | |
geknüpft, seine Körperhaltung entspannter, sein Lachen häufiger als üblich. | |
Er verweist auf seine Zeit als Anwalt für Arbeitsrecht, sein Kämpfen für | |
die Interessen von Arbeitnehmer:innen, darauf, dass er froh sei, erst mit | |
Anfang 60 Kanzler geworden zu sein – „die ganze Lebenserfahrung vorher | |
hilft ungemein“. Hier in Köln ist er mühelos ein Mann des Volkes, so | |
unangreifbar freundlich wie die Lavendel- und Vanilletöne im Hintergrund. | |
Er weiß, wie viel eine Tageszeitung kostet, „und dass das eine Menge Geld | |
für die meisten Leute ist“. Er habe „ganz viele ganz tolle Menschen“ | |
außerhalb des intellektuellen Großstadtmilieus getroffen, „die genau | |
wissen, was in der Welt los ist“. | |
Der Amazon-Lieferant, der Schlachter, der Maurer: Alle werden sie bedacht. | |
„Die können das! Und deren Arbeit ist gleichwertig!“ Er grenzt sich ab von | |
den „Kindern reicher Eltern, die Bücher in Paris schreiben“ und fordert den | |
obligatorischen, am Laptop im Café arbeitenden Werbetexter, über den immer | |
alle reden und den kaum jemand je sieht, auf, nicht zu vergessen, wer ihm | |
da seinen Latte Macchiato bringt. Obwohl man im Milieu des Werbetexters | |
eigentlich nur noch Flat White bestellt. | |
Kritische Fragen zur Agenda 2010 werden mit einem charmanten Verweis auf | |
die Gegenwart gekonnt übergangen, tiefgehende Diskussionen über | |
Begrifflichkeiten ebenfalls. Scholz gelingt es, gewinnend über inhaltliche | |
Minenfelder hinwegzuhüpfen und zu seiner zentralen Botschaft | |
zurückzukehren: Jede Arbeit ist relevant für unsere Gesellschaft, Menschen | |
aller Berufe müssen gehört werden, „nicht nur die aus dem Milieu von uns | |
dreien hier oben. Die Putzfrau ist genauso wichtig wie ein | |
Philosophieprofessor und eine Journalistin“. | |
Seine Arbeitsmarktanalyse fällt höchst optimistisch aus: „Seit 20 Jahren | |
wird prognostiziert, dass uns die Arbeit ausgeht. Das ist nie eingetreten | |
und wird auch nie passieren.“ | |
Das nachdrückliche Applaudieren des Publikums, das Heranzoomen der | |
Handykameras an Scholz' Lächeln, das Nicken geben ihm Recht: Scholz ist | |
genau der, den es an diesem Nachmittag braucht. Nicht noch eine | |
pessimistische Einschätzung über eine volldigitalisierte, menschenentleerte | |
Zukunft, nicht noch eine krisenbelastete Aufforderung zum Durchhalten. | |
Einfach ein Kanzler, der das affirmiert, was so dringend gehört werden | |
will: Alles wird gut und jede:r bleibt wichtig. | |
Fragt man Besucher:innen beim Herausgehen, wie sie denn nun unseren | |
Kanzler fanden, leuchten die Augen. „So nahbar und so klar. Überhaupt nicht | |
abgehoben.“ Einfach märchenhaft. | |
14 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Marie-Sofia Trautmann | |
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