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# taz.de -- Kolumne Durch die Nacht: Jazz muss anders funktionieren
> Nicht nur musikalisch, auch diskursiv: auf der fünften Berliner Jazzwoche
> werden ab Freitag Machokult und unfaire Gagen thematisiert.
Bild: Peter Brötzmann (r.) bei einem Konzert mit Band in Moers 2010. Alles Mä…
Peter Brötzmann ist gestorben, der auch für mich ein großer Held war. Seine
Platte „Machine Gun“ von 1968 musste ich mir dann gleich noch einmal
anhören und erneut völlig überwältigt feststellen, dass sie immer noch zu
den radikalsten Werken gehört, die ich so kenne, und das nicht nur im
Bereich Free Jazz, sondern überhaupt. Brötzmann kam noch aus einer Zeit, in
der der Jazz scheinbar naturgegeben Männersache war.
Ich habe mir dann auch noch einmal die Line-ups auf dem von ihm
mitgegründeten Berliner Jazzfestival Total Music Meeting angesehen, das es
bis 2008 40 Jahre lang gab, und wurde natürlich kein bisschen überrascht.
Mit ein paar Ausnahmen tröteten da die hartgesottenen Free-Jazz-Kerle – wie
Brötzmann selbst einer war – alles nieder.
Aber die Jazzwelt, der der große, wenngleich auch körperlich eher kleine
Saxofonist entstammt, bröckelt. Und nach Möglichkeit sollte es sie bald
nicht mehr geben. Denn noch hat der Jazz im Bereich Gleichberechtigung
besonders viel Nachholbedarf. Studien auch aus jüngerer Zeit belegen: Die
große Mehrheit der Jazzer sind immer noch Männer. Wofür es allerlei Gründe
gibt. Sicherlich auch den, dass Frauen gar nicht zugetraut wird, ähnlich
energetisch und kraftvoll in ihr Horn blasen zu können, wie Brötzmann das
bis ins hohe Alter vermochte.
## Berliner Jazz Woche
Die [1][fünfte Berliner Jazzwoche], die diesen Freitag beginnt und die
aktuelle Entwicklungen des Jazz in der deutschen Hauptstadt nicht nur mit
Konzerten, sondern auch diskursiv beleuchtet, will sich bei Panels und
Diskussionsrunden nun die Strukturen einmal genauer ansehen, die den immer
noch vorhandenen Machokult im Jazz mitbedingen.
Um Safe Spaces und warum der Jazz diese braucht, soll es da beispielsweise
gehen. Außerdem darum, wie man diverser ein Jazzprogramm im Club oder auf
einem Festival kuratieren kann. Im Bereich Jazz lautet die Standardausrede
meist immer noch: Wir würden ja gerne mehr Frauen einladen, aber es gibt
einfach zu wenige. Das war im Club- und Popmusikbereich vor ein paar Jahren
noch ähnlich. Aber inzwischen hat sich da doch einiges getan. Der Jazz
sollte hier schleunigst nachziehen.
Mit zu dieser Debatte gehört auch das im Rahmen der Jazzwoche anberaumte
Werkstattgespräch, das sich mit fairer Bezahlung in der Musik
auseinandersetzen möchte. Das passt gut, denn gerade in Berlin ist es immer
noch so, dass auch gestandene Profis irgendwo auftreten und, anstatt dass
dann eine anständige Gage bezahlt wird, bloß der Hut rumgeht.
## Prekäre Lebensbedingungen hindern Frauen am Jazzen
Auch dazu besagen Studien so einiges: Frauen wollen oder können sich diesen
prekären Lebensstandard weniger leisten als Männer. Zumal als Mütter, wenn
von ihnen verlangt wird, in irgendeinem Club irgendwann in der Nacht für
ein paar Euro aufzutreten, während daheim ein Kind versorgt werden will,
wobei der Partner – man kennt das ja nur zu gut und auch hierzu gibt es
natürlich belastbare Zahlen – oft genug nur bedingt hilfreich ist.
Es gibt einen Dokumentarfilm über Peter Brötzmann, der hat den
bezeichnenden Titel: „Soldier of the Road“. Eine funktionierende Beziehung
zu führen und sich um die Kinder zu kümmern, das sei bei seinem
Globetrotter-Leben kaum möglich, hat Brötzmann einmal zu Protokoll gegeben.
Der Mann war ein Unikat und hat viel für den Jazz getan. Aber diese Musik
muss heute anders funktionieren und anders strukturiert sein als zu seinen
Zeiten, um wirklich zeitgemäß sein zu können.
27 Jun 2023
## LINKS
[1] https://www.ig-jazz-berlin.de/jazzwoche-berlin/
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Kolumne Durch die Nacht
Jazz
Free Jazz
Gleichberechtigung
Schwerpunkt Stadtland
taz Plan
Kolumne Durch die Nacht
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