# taz.de -- Mit Leidenschaft für Wasser und Bäume: „Dann läuft das!“ | |
> Hermann Wollner setzt sich für urbanes Regenwasser-Managements ein. Viel | |
> Zeit bleibt, ihm nicht, seine Ideen weiterzugeben – aber er nutzt sie. | |
Bild: „Mein motorisches Zentrum ist betroffen, nicht mein ökologisches“: H… | |
BERLIN taz | Wenn irgendwo in Berlin der „Wünschewagen“ parkt, ein | |
weiß-blauer Transporter des Arbeiter-Samariter-Bunds, geht es um erste und | |
letzte Male: Ein todkranker Mensch erhält die Möglichkeit, etwas zu tun | |
oder zu erleben, wozu er oder sie vielleicht nie die Gelegenheit hatte. Es | |
kann aber auch etwas ganz Vertrautes, Sinnspendendes sein, was nun, | |
angesichts der zusammengeschrumpften Lebenszeit und körperlicher Schwäche, | |
nur noch mit logistischer Unterstützung geschehen kann. | |
An einem Abend Ende Mai parkt der Wünschewagen in der Naugarder Straße in | |
Prenzlauer Berg, gegenüber der Landeszentrale der ÖDP. Die Partei hat bei | |
der Wahl im Februar 0,1 Prozent der Stimmen geholt, in Brandenburg ist sie | |
erfolgreicher, [1][dort macht sie sich unter anderem gegen Tesla in | |
Grünheide stark]. Bei Tesla geht es um die bedrohte Ressource Wasser, und | |
auch der Gast, der mit dem Wünschewagen angereist ist, um einen Vortrag zu | |
halten, beschäftigt sich schon lange mit diesem Element. | |
Hermann Wollner, 82, sitzt am Kopfende des kleinen Ladenlokals im Rollstuhl | |
und freut sich, denn der Raum ist mit rund 25 Gästen gut gefüllt. Als die | |
ÖDP ihn Anfang des Jahres eingeladen hatte, über Stadtklima und | |
Niederschlagsmanagement zu sprechen, war von Rollstuhl und Wünschewagen | |
keine Rede, dann versagte ihm der linke Fuß seine Dienste, die Ärzte | |
diagnostizierten einen Hirntumor. Mittlerweile lebt er im Hospiz. Den | |
Vortrag will er aber auf jeden Fall halten, den er hat eine Mission. | |
„Ich habe eine körperliche Einschränkung, aber betroffen ist nur das | |
motorische Zentrum, nicht das ökologische und nicht das demokratische!“, | |
donnert er mit sächsischem Einschlag und grinst breit. Was für ein Mensch | |
dieser Wollner ist, wird schon nach wenigen Sätzen klar: einer, der seine | |
Hausaufgaben gemacht hat, einer, der an die Kraft funktionierender Ideen | |
und an den Fortschritt glaubt, aber auch einer, der sich nichts erzählen | |
lässt. „Natürlich will ich einen Dialog mit Ihnen führen“, sagt er, „a… | |
ich warne Sie: Ich habe die Sache jahrelang studiert und kenne die Zahlen.“ | |
Für den Agrarökonomen steht fest: Wer auf einen Lebenslauf zurückschauen | |
kann wie er, der weiß, wovon er spricht – auch wenn angewandte Wissenschaft | |
in der DDR heute keinen guten Ruf genießt. Studium in Leipzig, | |
„Auslandsaspirantur“ in Kuba, Dissertation über Rentabilität und | |
Mechanisierung von Milchproduktionsanlagen auf der Karibikinsel. Als | |
Mitarbeiter des staatlichen Außenhandels, „Fachbereich Landmaschinen und | |
Anlagen der Nahrungsgüterproduktion“ lange Aufenthalte in Indien, Angola, | |
Nigeria und Nicaragua. Später, bis 2004, ist er als „Technologiebroker“ | |
unterwegs. Einer seiner letzten Aufträge: der Test von Photovoltaikpumpen | |
für Kleinbewässerungsanlagen in Marokko. | |
## Lösungsorientiert muss es sein | |
„Alte Schule“ ist vermutlich ein passender Begriff für jemanden wie ihn, | |
der mehr Spott als Anerkennung für die „Letzte Generation“ übrig hat, | |
obwohl er den menschengemachten Klimawandel nicht bezweifelt. „Nicht | |
lösungsorientiert“, lautet sein Verdikt. Milliarden Menschen auf dem | |
Planeten hätten sich mit extremen Klimata arrangiert und sähen sich nicht | |
als „passive Opfer“. Bleibe nun häufiger der Regen aus, müsse man es eben | |
machen wie die Bevölkerung von Peru oder China schon vor Tausenden Jahren, | |
die Wasser gespeichert, Hänge terrassiert und Schöpfwerke betrieben habe. | |
Damit ist Wollner auch bei dem Thema, das ihn seit Jahren umtreibt und für | |
das er sich [2][beim Berliner Wassertisch und dem Wasserrat engagiert] hat: | |
Wie kann die Stadt den knappen und wertvollen Niederschlag besser nutzen? | |
[3][Wie kommt der Regen in den Boden und zu den Bäumen], anstatt von | |
versiegelten Flächen schnurstracks in die Kanalisation abzulaufen? Mit | |
diesen Fragen befasst sich mittlerweile die Berliner Regenwasseragentur, | |
mit der Wollner gute Kontakte pflegt, auch zum Vortrag in der Naugarder | |
Straße ist eine Vertreterin erschienen. | |
Grundsätzlich ist Wollners Vertrauen in die Verwaltung nicht sehr | |
ausgeprägt: Deren Umgang mit den Herausforderungen von Umwelt und Klima | |
hält er für wenig systematisch, um es vorsichtig auszudrücken. „Sehen Sie | |
sich diese Luftballons an, die da ohne Zusammenhang im Raum schweben“, | |
kommentiert er eine Grafik der Senatsumweltverwaltung, die zeigen soll, mit | |
welchen Problemen Förderprogramme für Dach- und Fassadenbegrünung zu | |
kämpfen haben. Er hat das Ganze dagegen säuberlich in ein Koordinatensystem | |
übertragen, „Hürden“ auf der X-, „Akteure“ auf der Y-Achse. Dem Laien | |
erschließt es sich vielleicht nicht sofort, aber Wollner ist überzeugt, | |
dass seine Herangehensweise „das Problem in Aufgaben zerlegt“ und so | |
beherrschbar macht. | |
„Wasser zahlt Wasser“ | |
Der vielleicht wichtigste Punkt in seiner Strategie lautet „Wasser zahlt | |
Wasser“. Heißt vereinfacht: Wenn Hauseigentümer den Regen von ihrer | |
Dachfläche zwischenspeichern und in Trockenperioden den Bäumen auf dem | |
Grundstück oder im angrenzenden Straßenraum zuführen, erhalten sie von den | |
Wasserbetrieben einen kräftigen Bonus auf die Wasserrechnung. | |
Heute ist es dagegen so: Wer dafür sorgt, dass der Niederschlag das | |
Grundstück nicht sofort verlässt, bekommt dafür lediglich die | |
„Niederschlagswassergebühr“ erlassen – jährlich 1,80 Euro pro entsiegel… | |
Quadratmeter. Ein Witz, findet Wollner. Für ihn hat das Wohlergehen der | |
Stadtbäume mit ihren vielfältigen ökologischen Funktionen einen enormen | |
Wert, der unbedingt anerkannt werden muss, auch monetär. | |
In der lebhaften Diskussion, die sich anschließt, gibt es viel Zuspruch, | |
vereinzelt aber auch leisen Zweifel, ob solche Lösungen praktikabel sind. | |
Wenn, wie im Vortrag gehört, ein durchschnittlicher Stadtbaum im Jahr 10 | |
Kubikmeter Wasser extra zum optimalen Gedeihen bräuchte, müssten die zu | |
bauenden Zisternen dann nicht gigantische Ausmaße annehmen? Und wie soll | |
das gesammelte Wasser zielgenau verteilt werden? Wollner lässt das nicht | |
gelten: „Techniker diskutieren das eenmal aus, dann läuft das!“ Im Übrigen | |
werde der Inhalt der Speicher ständig umgesetzt, es sei also ein Vielfaches | |
des Nennvolumens verfügbar. | |
Nach exakt zwei Stunden endet die Veranstaltung, der Vortragende selbst hat | |
im Vorfeld darum gebeten, um seine Kräfte zu schonen. Langer Applaus, | |
Wollner strahlt, der Wünschewagen steht bereit zur Rückfahrt. Eine | |
persönliche Frage noch: Woher nimmt er die Kraft, für eine Sache zu | |
kämpfen, wenn sich das Leben so spürbar dem Ende zuneigt? Er verweist auf | |
seine Biografie, auf die Begeisterung, weiterzugeben, was er in so vielen | |
Ländern erfahren und gelernt hat. Und auf seine Enkelin. Die 18-Jährige hat | |
ihn auch an diesem Abend begleitet. Hat er ihr seine Faszination für die | |
Ökologie vermitteln können? „Absolut!“ | |
In der ursprünglichen Fassung des Textes hieß es fälschlicherweise, die | |
Niederschlagswassergebühr werde monatlich (statt jährlich) erhoben. Wir | |
haben das korrigiert. | |
5 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Havarie-in-Gigafactory-von-Tesla/!5846680 | |
[2] https://www.berlinerwasserrat.de/regen-zu-baum | |
[3] /Trockenheit-in-Berlin/!5785526 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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