# taz.de -- Silvesterrandale in Berlin: Fahndung läuft, Prävention hakt | |
> Die Polizei sucht Verdächtige aus der Silvesternacht. Maßnahmen gegen | |
> Jugendgewalt lassen auf sich warten - und sind auf sieben Bezirke | |
> beschränkt. | |
Bild: Bei Kieztreffen sollen sich Feuerwehrleute und Anwohner*innen näher komm… | |
BERLIN taz | Die strafrechtliche Aufarbeitung der Silvesterkrawalle läuft | |
auf Hochtouren, 111 Ermittlungsverfahren sind eingeleitet. Erstmals wurde | |
in der vergangenen Woche auch eine Öffentlichkeitsfahndung mit Bild | |
eingeleitet, um zwei unbekannte Tatverdächtige namhaft zu machen. | |
Aber was ist aus den 29 Maßnahmen zur Prävention von Jugendgewalt geworden? | |
Diese hatte eine Expertenkommission auf Betreiben der damaligen Regierenden | |
Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) im Februar ausgearbeitet. Hauke | |
Cordts, Sprecher der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, | |
erklärte dazu auf taz-Nachfrage: „Das Maßnahmenpaket befindet sich derzeit | |
noch in einer intensiven Abstimmung bei den Gremien zwischen der Senats- | |
und der Bezirksebene.“ Grund für die Verzögerung sei eine [1][veränderte | |
Ressortzuweisung des neuen Berliner Senats]. | |
Rund 20 Millionen Euro für das Jahr 2023 will der Senat zur Bekämpfung von | |
Jugendgewalt bereitstellen. Das war das Ergebnis eines „Gipfels gegen | |
Jugendgewalt“, der Anfang des Jahres zweimal getagt hatte. Für 2024 wurde | |
ein Bedarf von 70 Millionen Euro ermittelt. 29 Maßnahmen wurden | |
beschlossen. Zugutekommen sollen die Mittel vier Bereichen: Eltern- und | |
Schulsozialarbeit (24,6 Millionen), Jugendsozialarbeit (22 Millionen), | |
Starke Stadtteile und Orte für Jugendliche (41 Millionen) sowie Stärkung | |
der Strafverfolgung durch sieben zusätzliche Stellen bei der | |
Staatsanwaltschaft (2,2 Millionen). | |
Die Haushaltsberatungen sollen im Juni stattfinden. Erst wenn [2][die | |
Mittel vom Abgeordnetenhaus und Senat bewilligt] sind, können sie in den | |
Ausbau der Präventionsmaßnahmen investiert werden. | |
## Maßnahmen nur in sieben Bezirken | |
Beschlossen ist offenbar aber schon, dass nur sieben der zwölf Berliner | |
Bezirke in den Genuss der Sonderförderung kommen sollen. Das berichtet der | |
Jugendstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, Detlef Wagner, der taz. | |
„Wütend macht mich das“, schimpft er. Steglitz-Zehlendorf, | |
Tempelhof-Schöneberg, Pankow, Köpenick und Charlottenburg-Wilmersdorf | |
gingen leer aus. „Wir bekommen keinen einzigen Cent.“ Dabei sei es in der | |
Silvesternacht auch in Charlottenburg-Wilmersdorf zu Gewaltausbrüchen | |
gekommen, hätten Autos gebrannt. „Egal ob sie Ali oder Klaus heißen – die | |
sogenannten [3][erlebnisorientierten Jugendlichen] gibt es auch bei uns“, | |
sagt Wagner. | |
Die Sondermittel seien bezirksgebunden, erklärte Wagner das Prozedere. Auch | |
landesweit agierende Projekte wie Gangway, zuständig für | |
Straßensozialarbeit, dürften die Mittel nur für Maßnahmen in dem Bezirk | |
einsetzen, der die Förderung erhalte. „Die Bezirke geben sie dann unter | |
dieser Prämisse an die Freien Träger weiter“, sagt Wagner. | |
Gleichzeitig warnte der Jugendstadtrat [4][vor allzu großen Erwartungen] | |
mit Blick auf das kommende Silvester. Es werde dauern, bis der Ausbau der | |
Präventionsmaßnahmen Früchte trage. | |
Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, sieht das ähnlich: | |
Nachhaltige Prävention, so seine Erfahrung, zahle sich erst nach zehn | |
Jahren aus. „Aber wir sollten nicht zehn Jahre warten, bis man anfängt“, so | |
Jendro. | |
## Noch keine konkreten Maßnahmen | |
Aber was genau ist eigentlich geplant? Nachfragen der taz bei Projekten, | |
die im Maßnahmenpapier als mögliche Zuwendungsempfänger genannt sind, | |
scheitern daran, dass sich derzeit niemand öffentlich äußern möchte. Und | |
Neuköllns neue Jugendstadträtin Sarah Nagel (Linke) reagiert noch nicht | |
einmal auf die Bitte der taz um Aufklärung. Neukölln gehört zu den | |
Bezirken, die Silvester Schauplatz von heftigen Ausschreitungen waren. | |
Nagels Vorgänger Falko Liecke (CDU), in der Vergangenheit bekannt durch | |
offene Worte, ist jetzt Jugendstaatssekretär unter der neuen Jugend- und | |
Schulsenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU). Die Maßnahmen zur Prävention | |
von Jugendgewalt hätten für ihn „absolute Top-Priorität“, sagte Liecke | |
letzte Woche zum Tagesspiegel. | |
Bestätigt wurde aus Kreisen der Senatsjugendverwaltung gegenüber der taz | |
nur das: Das [5][Landesprogramm der Stadtteilmütter] – auch in dem | |
Maßnahmenkatalog gelistet – wird von derzeit 210 Stellen um 30 weitere | |
Stellen aufgestockt. Dass das vor den Haushaltsberatungen mit Bestimmtheit | |
gesagt werden kann, liegt daran, dass in den Vorjahren ein kontinuierlicher | |
Stellenaufwuchs bei den Stadtteilmüttern beschlossen worden ist. | |
Auch Workshops mit der Feuerwehr sollen laut Maßnahmenpapier angeboten | |
werden, mit dem Ziel, Jugendlichen Respekt gegenüber den Rettungskräften zu | |
vermitteln. Ein Feuerwehrsprecher bestätigte das: Geplant seien etwa | |
Veranstaltungen in Kiezen, damit sich Feuerwehrleute und Bevölkerung | |
kennenlernen könnten. | |
## Öffentlichkeitsfahndung als letztes Mittel | |
Von den insgesamt 111 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den | |
Silvesterkrawallen richten sich 47 gegen unbekannte und 63 gegen bekannte | |
Tatverdächtige, teilte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Sebastian | |
Büchner, mit. 54 Verfahren hätten Angriffe auf Polizei, Rettungskräfte und | |
Feuerwehr zum Gegenstand. Sechs Strafbefehlsanträge seien inzwischen | |
erfolgt. Zwei davon seien rechtskräftig, beendet mit jeweils 30 Tagessätzen | |
à 30 Euro wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. 39 Einstellungen seien | |
erfolgt, 37 Verfahren noch offen. | |
Dass jetzt mit [6][Fotos von der Silvesternacht nach zwei Tatverdächtigen] | |
gefahndet wird, begründete Büchner wie folgt: Öffentlichkeitsfahndungen | |
seien stets als „letztes Mittel“ zur Namhaftmachung von Tatverdächtigen | |
vorgesehen. Für diese gelte schließlich die Unschuldsvermutung. Zur | |
Vermeidung einer Stigmatisierung müssten daher zuvor alle anderen möglichen | |
Ermittlungsanhalte erfolglos ausgeschöpft worden sein. | |
13 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Schwarz-rote-Koalition-in-Berlin/!5927366 | |
[2] /Haushaltspolitik-in-Berlin/!5909721 | |
[3] /Debatte-ueber-Silvesternacht/!5905139 | |
[4] /Debatte-ueber-Jugendgewalt/!5904835 | |
[5] /Die-Muetter-mit-Vorbildcharakter/!287712/ | |
[6] https://www.tagesspiegel.de/berlin/angriffe-auf-polizisten-an-silvester-ber… | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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