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# taz.de -- Politische Gefangene im Iran: Bitte werdet zu unserer Stimme
> Die Gefangene Sepideh Qolian appelliert an Abgeordnete aus Land, Bund und
> EU. Sie sollen als "kollektive Stimme" für die politischen Gefangenen
> sprechen.
Bild: Großdemonstration gegen das Mullah-Regime im Iran im Oktober in Berlin
Liebe politische Pat*innen der politischen Gefangenen im Iran. Ich grüße
Sie. Mein Name ist Sepideh Qolian und ich bin eine politische Gefangene.
Nachdem ich mehr als vier Jahre im Gefängnis verbracht hatte, wurde ich im
März dieses Jahres freigelassen und am gleichen Tag wieder verhaftet. Ich
hatte vor dem Evin-Gefängnis Parolen gegen Khamenei (religiöser Führer der
Islamischen Republik Iran) gerufen. Auf dem Weg in meine Heimatstadt nahm
man mich deshalb am gleichen Tag erneut fest und ich wurde zu weiteren zwei
Jahren Haft verurteilt – für das Rufen einer Parole.
Mein Verbrechen besteht darin, dass ich eine „Frau“ bin, die „Freiheit“…
„Leben“ nicht nur für sich selbst, sondern für alle Menschen dieses Landes
will. Da ich im Gefängnis Jura studiere und mehr denn je über Gerechtigkeit
nachdenke, kann ich mit Sicherheit sagen, dass jede Form von Kompromiss und
Toleranz gegenüber der herrschenden Tyrannei und dem eingeschlagenen Weg
der Islamischen Republik Iran nicht zu Gerechtigkeit führen wird.
Für viele von uns politischen Gefangenen – und sogar für diejenigen, die
nicht eindeutig aus politischen Gründen angeklagt sind, aber aufgrund
politischer Umstände und Entscheidungen Inhaftierung, Folter und
Hinrichtung ausgesetzt sind, ist es ein wichtiges Zeichen der Solidarität,
dass über 400 deutsche Abgeordnete bereit sind, politische Patenschaften
für politische Gefangene in Iran zu übernehmen.
## Schwieriger Wendepunkt der Revolution
Heute, acht Monate nach dem staatlichen Femizid an Jina Mahsa Amini, einer
22-jährigen Kurdin aus Saquez, stehen wir an einem schwierigen Wendepunkt
unserer Revolution. Kurdistan hat sich nach diesem Mord erhoben,
Belutschistan hat sich erboten, Iran hat sich erhoben. Die Menschen waren
sich einig. Bis das Regime mit massiven Tötungen, Verhaftungen und
Todesurteilen dafür sorgte, dass die Straßenproteste zurückzudrängen. Das
Regime macht keine Rückzieher, sondern treibt seine Politik des
systematischen Mordens voran. Wird die eine [1][Hinrichtung] nicht
vollstreckt, so ist es am nächsten Tag eine andere.
Vor allem Belutschi*innen, Kurd*innen und Araber*innen sind Opfer
dieser Politik. Aber die Islamische Republik konzentriert sich bei ihrer
Politik des Mordens nicht nur auf eine Region oder eine Bevölkerungsgruppe.
Anfang Mai wurde [2][Habib Chaab], ein schwedisch-iranischer Staatsbürger,
den das iranische Regime 2020 während einer Türkeireise entführte, von
genau diesem Regime hingerichtet.
Jetzt wurde das Todesurteil gegen Jamshid Sharmahd, einen deutschen
Staatsbürger, bestätigt. Auch meine Mitinsassin, die deutsche
Staatsbürgerin Nahid Taghavi, ist noch immer eine Geisel der Islamischen
Republik. An dieser Stelle ziehe ich meinen Hut vor den Töchtern von
Jamshid Sharmahd und Nahid Taghavi, Gazelle Sharmahd und [3][Mariam
Claren]. Deren Eltern sind deutsche Staatsbürger*innen und werden hier
in Iran als Geiseln gehalten, während ihre Töchter unerschrocken gegen das
Regime ankämpfen.
## Wegen „Kriegsführung gegen Gott“ hingerichtet
In der Nacht auf 19. Mai wurden drei Männer aus Isfahan unter anderem wegen
„Kriegsführung gegen Gott“ hingerichtet. Sie sollen angeblich
Sicherheitskräfte bei einer Demonstration getötet haben. Majid Kazemi,
einer dieser Angeklagten, gab an, dass alle vor Gericht verwendeten
[4][Geständnisse unter Folter] entstanden seien. Genauso wie wir gefoltert
wurden, um Geständnisse abzulegen. Genauso wie Sepideh Rashno gefoltert
wurde, um ein Geständnis abzulegen. So wie auch Habib Chaab und Jamshid
Sharmahd sowie Tausende von Gefangenen gefoltert wurden, um Geständnisse
von ihnen zu erzwingen.
Als eine von vielen politischen Gefangenen bezeuge ich, dass die
Formulierung „politischer und nicht politischer Gefangener“ lächerlich ist.
Denn wenn es der Islamischen Republik gelingt, Belutsch*innen wegen
lächerlicher Drogendelikte zu töten, kann sie den Galgen gleich dauerhaft
stehen lassen. Wenn das Regime Jina Mahsa Amini töten kann, kann es auch
weiterhin wegen Verstößen gegen die Zwangsverschleierung morden. Wenn sie
in der Lage sind, Kinder wie den 9-jährigen Kian Pirfalak zu töten, können
sie jeden einzelnen von uns töten. Das ist die Vorstellung der Islamischen
Republik Iran von Politik.
Unter der Herrschaft der Islamischen Republik im Iran gibt es keine
Politik. Alles, was existiert, ist Gewalt und Mord, um die Menschen daran
zu hindern, durch einen revolutionären Prozess wieder zu Menschen zu
werden.
Liebe politische Pat*innen, bitte ergreifen Sie die Initiative und
entwickeln Sie eine Strategie. Sie können unsere kollektive Stimme sein,
abgesehen von der individuellen Stimme eines Gefangenen, dessen politische
Patenschaft Sie übernommen haben. Sie können die Ihnen zur Verfügung
stehenden demokratischen und parlamentarischen Mittel nutzen und sich gegen
die gesamte Tötungsmaschinerie des Regimes im Iran stellen.
Bitte setzen Sie auf echte Iran-Expert*innen und fordern Sie dies auch von
Ihren Kolleg*innen. Bitten Sie die Medienhäuser, die Propaganda der
Islamischen Republik in Bezug auf Gefangene nicht zu wiederholen – weder
mit politischen noch mit unpolitischen Anschuldigungen. Klären Sie die
Öffentlichkeit auf. Sie können unsere Stimme sein, indem Sie die Politik
Deutschlands als eines der mächtigsten Länder Europas verändern. Wenn das
unschuldige Gesicht des ermordeten Jina Mahsa Amini Sie bewegt, dann
beenden Sie die Beschwichtigungspolitik gegenüber der Islamischen Republik.
Damit werden Sie zur Stimme iranischen Bevölkerung werden, die derzeit
keine eigene Stimme hat. Frau. Leben. Freiheit. Jin. Jiyan. Azadi.Sepideh
Qolian, 18. Mai 2023, Evin-Gefängnis, Teheran
Aus dem Farsi von Mina Khani
23 May 2023
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