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# taz.de -- Klüger werden durch Google: Kannst du vergessen
> Ich dachte, dass wir unser Gesamtwissen durch die Googelei erweitern
> würden. Das Gegenteil stimmt. Wissenschaftler sprechen gar von Digitaler
> Amnesie.
Bild: Keine nachhaltige Hilfe bei dem Projekt, klüger zu werden: Googlen im Al…
Fast alles, was einem auf die Schnelle nicht einfällt, kann man googeln –
toll! Nur die Namen der Kinder unserer Freunde oder wo sich gerade mein
Haustürschlüssel befindet – das weiß das Internet leider nicht.
Ich dachte lange Zeit, dass wir unser Gesamtwissen durch die Googelei
erweitern würden. Stimmt aber nicht. Im Gegenteil. Wissenschaftler sprechen
sogar von Digitaler Amnesie. Unser [1][Gehirn] spart nämlich Ressourcen und
merkt sich den ganzen Schrodder gar nicht mehr, den wir jederzeit im
Internet nachsehen könnten. Genaueres über die Studie, die das belegt,
erinnere ich nicht. Hab’s halt irgendwo im Internet gelesen.
Mir nicht mehr den Kopf zerbrechen zu müssen, wenn mir ein Schauspielername
nicht einfällt, finde ich praktisch. Ich habe aber festgestellt, dass es
nicht schadet, so etwas nicht nachzuschlagen. An den Moment, in dem mein
Gehirn mitten in der Nacht plötzlich den Namen „Daniel Brühl“ auswirft,
kommt ein Googlesuchergebnis ohnehin nie heran.
Ob ich mir aber offline Informationen aus Büchern wirklich besser merken
kann als online erworbene, bezweifle ich. Auf jeden Fall habe ich neulich –
wie jedes Jahr – in meinem analogen Pflanzenführer nachgeschaut, wie diese
kleinen weißen Blumen am Waldrand heißen.
Für völlig sinnlos bei der Beantwortung von Alltagsfragen halte ich offene
Internetforen. Einmal hatte ich eine große Menge an frischen Erdbeeren zur
Verfügung. Als nachts um zwei Uhr wirklich alle Bäuche und Behältnisse mit
Erdbeeren in jeglicher Form gefüllt waren, hatte ich immer noch welche
übrig.
Also erkundigte ich mich bei gutefrage.net, ob die Früchte besser bei
Kühlschrank- oder Raumtemperatur aufbewahrt werden. Die meisten der
Diskussionsteilnehmer begannen ihre Beiträge sinngemäß mit den Worten: „Ich
kenne mich damit zwar nicht aus, aber …“, und die restlichen
klugscheißerten, man dürfe Erdbeeren gar nicht lagern, sondern müsse sie
sofort verzehren. Dazwischen kam es zu Gelaber über Autos und Haustiere.
Als das jemand bemängelte, fingen alle an, sich gegenseitig zu beschimpfen.
Bei [2][Google] ist das viel bequemer. Man bekommt nicht nur einfache
Antworten, sondern sogar die Fragen angeboten. Wenn ich die Worte „Wie
lange hält“ eingebe, sind die ersten drei Vorschläge: „Fleischwurst im
Kühlschrank?“, „eine Autobatterie?“ „Botox?“ Das finde ich beruhigen…
offensichtlich aus meinen Cookies keine verwertbaren Informationen über
mich gesammelt werden konnten.
Neulich habe ich mal wieder „Pfingsten“ gegoogelt, weil ich immer vergesse,
was man da eigentlich feiert. Dazu wurde mir ein Kasten mit einer Reihe
schöner Fragen zum Thema angezeigt. Zum Beispiel: „Was ist der Unterschied
zwischen Himmelfahrt und Pfingsten?“ Die mitgelieferte Antwort dazu
lautete: „Pfingsten ist zehn Tage nach Himmelfahrt“.
Eine Antwort darauf, ob Jesus eigentlich mit einer Kiste Bier im
Bollerwagen in den Himmel aufgefahren ist, hatte Google nicht für mich.
Dafür aber die Vermutung, mich könnten folgende Fragen interessieren: „Ist
an Christi Himmelfahrt alles zu?“, oder: „Wann ist der offizielle
[3][Vatertag]?“
Ich wüsste gerne, wie Google die Fragen und Antworten generiert. Aber es
war wahrscheinlich naiv, das googeln zu wollen. Antworten wie: „Die PAA
Boxes sind, genau wie Featured Snippets SERP Funktionen“ zwingen mich in
die Google Endlosschleife. Also muss ich mein eigenes Gehirn bemühen: Wenn
genug Leute im Netz Schwachsinn verbreiten, müssen zwangsweise die
generierten Fragen und Antworten schwachsinnig sein. Aber weil sich das
ganze Zeug ohnehin keiner merkt, ist das wohl egal.
Mir nicht egal ist Folgendes: Die Blumen am Wegesrand heißen
Buschwindröschen, an Pfingsten war [4][die Sache mit den feurigen Zungen
vom Himmel] (als Zeichen für die Apostel in die Welt hinauszugehen und von
Jesus zu erzählen) und mein Schlüssel lag im Gemüsefach.
12 Jun 2023
## LINKS
[1] /Gehirn/!t5031734
[2] /Google/!t5007580
[3] /Der-Vatertag-wird-2020-noch-gruseliger/!5684259
[4] /Pfingsten-und-weltliche-Utopie/!5599610
## AUTOREN
Birte Müller
## TAGS
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