# taz.de -- Kritischer Aktionär über Aktivismus: „Druck ist am effektivsten… | |
> Torten bei der VW-Hauptversammlung, Resolution beim Aktionärstreffen von | |
> Shell: Wie Aktivisten Macht bei Konzernen erlangen, erklärt Tilmann | |
> Massa. | |
Bild: Klima-Aufruhr bei der VW-Hauptversammlung vor zwei Wochen, später kam no… | |
taz: Herr Massa, wie viele Tortenwürfe auf Hauptversammlungen haben Sie | |
schon gesehen? | |
Tilman Massa: Das war tatsächlich mein erster. | |
Worum ging es? | |
Der Tag der VW-Hauptversammlung war der 80. Geburtstag von | |
Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Porsche. Der Wurf war wohl ein kritisches | |
Statement gegen die Familien-Clan-Strukturen, in denen der Konzern geführt | |
wird und die die Mehrheiten im Aufsichtsrat in der Hand halten. Auch | |
konservative Fondsgesellschaften fordern schon lange, dass nach drei, | |
spätestens vier Wahlperioden so ein Aufsichtsratsmandat niedergelegt werden | |
sollte, das hat Porsche längst überschritten. | |
Sie selbst sind auch mit Kritik an VW zur Hauptversammlung gekommen. Was | |
haben Sie dort gemacht? | |
Der Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre vertritt | |
Kleinaktionäre auf Hauptversammlungen vieler großer Konzerne. Die Aktionäre | |
übertragen uns ihre Stimmrechte, sodass wir dort kritische Fragen stellen | |
können, etwa zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, | |
Klimaschutz oder Umweltschutzmaßnahmen. Wichtig ist uns, Betroffenen von | |
Menschenrechtsverletzungen entlang der Wertschöpfungsketten der Konzerne | |
vor Ort die Möglichkeit zu geben, ihre Kritikpunkte und Forderungen äußern | |
zu können. | |
Wen haben Sie diesmal eingeladen? | |
Haiyuer Kuerban vom Weltkongress der Uiguren. Er [1][verdeutlichte in einem | |
Redebeitrag die Situation der Uiguren] in der chinesischen Region | |
Ostturkistan/Xinjiang. Er sprach von Völkermord, den grausamen | |
Haftbedingungen und Zwangsarbeit in Fabriken. In dieser Region betreibt | |
Volkswagen im Rahmen eines Joint Venture „SAIC-Volkswagen“ ein Werk. Herr | |
Kuerban fragte den Vorstand, was denn nun die tatsächliche | |
[2][Einflussnahme von VW auf dieses Werk] ist und wie er ausschließen kann, | |
dass dort keine Menschenrechte verletzt werden. | |
Was sagte der Vorstand? | |
Der blieb weiterhin vage. Er beharrte darauf, dass es so etwas in dem Werk | |
und auch in den Lieferketten nach aktuellen Kenntnisstand nicht gebe. Auch | |
bei Nachfragen auf konkrete Zulieferer, die im Zusammenhang mit dem | |
Arbeitsprogramm der chinesischen Regierung und der dort stattfindenden | |
Zwangsarbeit in Verbindung stehen, blieb er hart. Deswegen ist es schon | |
unglaubwürdig, weiterhin von keiner Kenntnis zu sprechen. Hinzu kommt, dass | |
unabhängige Prüfungen der Zulieferer in der Region unmöglich sind, darum | |
haben sich selbst Zertifizierungsfirmen wie TÜV-Süd und andere aus der | |
Region zurückgezogen. | |
Auch eher konservative Investoren wie Deka und Union Investment äußerten | |
sich sehr kritisch gegenüber dem Vorstand. Hat Sie das überrascht? | |
Nicht direkt, weil beide schon im Vorfeld im Dialog mit VW dazu standen und | |
auch zuvor schon Nachfragen gestellt haben. Deka Investment hat neulich | |
entschieden, VW nicht mehr in ihre nachhaltigen Fonds aufzunehmen. Solche | |
Maßnahmen können dazu führen, dass es für VW schwieriger wird, sich über | |
Kredite oder Anleihen Geld zu beschaffen. Es ist auf jeden Fall ein | |
wichtiges Zeichen, dass auch Investoren sagen: Wenn ihr uns gegenüber nicht | |
glaubhafter machen könnt, dass ihr genug tut, um Zwangsarbeit in euren | |
Lieferketten auszuschließen, entziehen wir wirklich Gelder. | |
Es scheint VW aber nicht zu beeindrucken. | |
Es ist natürlich immer die Frage, was am effektivsten ist. Ein Argument | |
ist: mit Divestment, also dem Abzug von Geldern, werden auch | |
Einflussmöglichkeiten aufgegeben. Aber insgesamt fehlt uns der Nachweis, | |
was diese Prozesse oder kritische Nachfragen wirklich etwas bringen. Ich | |
denke, es ist am effektivsten, wenn so ein Konzern Druck von allen Seiten | |
bekommt: von der Zivilgesellschaft und Medien wie auch von Investoren. | |
Machen die Investoren genug Druck auf VW? | |
In Bezug auf die Risiken von Zwangsarbeit müsste das Land Niedersachsen als | |
großer wichtiger Aktionär von VW öffentlich sagen: Wir erwarten hier | |
deutlich mehr nachvollziehbare Antworten und Transparenz, was genau der | |
Konzern unternimmt. Und dass ein Zeitplan und klare Bedingungen formuliert | |
werden, bis wann der Konzern vorlegen muss, was getan wird. Es müssten dann | |
auch Konsequenzen folgen. Natürlich sehen die Anteilseigner auch, dass etwa | |
eine Schließung des Werks im politischen Kontext von China noch viel | |
weitere Konsequenzen hätte, aber die Maßgabe muss sein: Menschenrechte sind | |
unverhandelbar. | |
Könnte über solche Bedingungen auf der Hauptversammlung abgestimmt werden? | |
Nach dem Aktiengesetz hat die Hauptversammlung zum operativen Geschäft kein | |
Mitspracherecht. Das ist allein dem Vorstand vorbehalten. Wir schauen | |
gerade, wie man das Aktienrecht in dieser Hinsicht reformieren könnte. | |
Nicht, weil wir glauben, für relevante Abstimmungen auch sofort eine | |
Mehrheit der Aktionäre überzeugen zu können, sondern um zumindest | |
Transparenz zu schaffen. Dann könnte man sehen, wie sich andere Aktionäre, | |
beispielsweise bei VW die Familien Porsche-Piëch und eben auch das Land | |
Niedersachsen, zu der Forderung von unabhängigen Prüfungen der Lieferketten | |
in China verhalten. Es würde vermutlich auch die Relevanz bestimmter | |
Themen auf Hauptversammlungen stärken. | |
In den USA ist das möglich. Am heutigen Dienstag sollen Investoren von | |
Shell über eine sogenannte Activist Resolution von aktivistischen | |
Aktionären abstimmen. | |
Das ist auch eine Initiative, die versucht, mit Unterstützung kleiner | |
Aktionäre klarere Ausstiegspläne aus fossilen Energien mit konkreten | |
Maßnahmen einzufordern. Das ist ein Beispiel, wie in den USA das Format | |
genutzt wird, dass über einen bestimmten konkreten Punkt abgestimmt wird. | |
Haben Sie denn das Gefühl, dass Investoren heute stärker auf Umwelt- und | |
Menschenrechte achten? | |
Wir sehen vor allem, dass viele Maßnahmen oder das, was unter dem Label ESG | |
(zu Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) läuft, dieses | |
Versprechen nicht einlöst – zumindest nicht so, wie wir uns das vorstellen. | |
Und insgesamt muss sich die ganze Finanzbranche und auch die | |
Vermögensverwaltung die Frage stellen, welchen Einfluss sie genutzt haben, | |
um Verbesserungen herbeizuführen, wenn es um Umweltschäden, | |
Menschenrechtsverletzungen, Arbeitsrechtsverletzungen oder die | |
Unterdrückung von Gewerkschaften etwa in kritischen Bereichen wie im | |
Rohstoffsektor geht. | |
Im [3][EU-Lieferkettengesetz] werden gerade Sorgfaltspflichten auch von | |
Investoren verhandelt. | |
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die menschenrechtlichen | |
Sorgfaltspflichten, wie sie etwa im deutschen Lieferkettengesetz für große | |
Konzerne in Bezug auf ihre direkten Zulieferer gelten, müssten genauso für | |
den Finanzsektor gelten. Denn gerade Banken und Versicherungen haben es | |
bisher – auch durch erfolgreiche Lobbyarbeit – vermieden, gesetzlich in die | |
Pflicht genommen werden zu können. | |
23 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kritischeaktionaere.de/volkswagen/im-direkten-umkreis-ihres-wer… | |
[2] /VW-Werk-in-China/!5747095 | |
[3] /Neues-EU-Gesetz-zu-Lieferketten/!5927475 | |
## AUTOREN | |
Leila van Rinsum | |
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