# taz.de -- Deutsche Außenpolitik: Strategie für „megakomplexe Welt“ | |
> Sicher in die Zukunft – auf allen Feldern. Nach langem Ringen einigt sich | |
> die Bundesregierung auf eine Nationale Sicherheitsstrategie. | |
Bild: Bundeskanzler und Minister:innen beglückwünschen sich zur Nationalen Si… | |
Es kommt nicht oft vor, dass ein Papier so lange ein Geheimnis bleibt. Und | |
noch nie gab es solch ein Aufgebot mit Kanzler und Minister:innen in | |
der [1][Bundespressekonferenz], zumindest seit 1978, als man begann, dort | |
Statistik zu führen. Monatelang wurde um die Nationale Sicherheitsstrategie | |
gerungen, am Mittwoch präsentierten Kanzler Olaf Scholz, Außenministerin | |
Annalena Baerbock und Finanzminister Christian Lindner gemeinsam das rund | |
70 Seiten starke Papier. Zur Unterstützung sind Verteidigungsminister Boris | |
Pistorius und Bundesinnenministerin Nancy Faeser dazu geladen worden. | |
Wehrhaft, resilient und nachhaltig soll das Land werden. „Es bleibt die | |
zentrale Aufgabe des Staates, für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger | |
zu sorgen“, sagt Scholz. Die Strategie umfasst die ganze Palette, um gegen | |
Bedrohungen von außen und von innen gewappnet zu sein: militärische | |
Verteidigung, Katastrophenschutz, die Aufrechterhaltung der Versorgungslage | |
und der Schutz kritischer Infrastruktur. Erwähnt wird die globale | |
Gesundheit, der Klimawandel und die Entwicklungszusammenarbeit. Und dass | |
Angriffe aus dem Cyberraum genauso wie Desinformationen besser abgewehrt | |
werden sollen. | |
Sogar Bedrohungen im und aus dem All werden in dem Strategiepapier ein paar | |
Absätze gewidmet. Außenpolitisch möchte die Bundesregierung eine Haltung zu | |
den „Wertepartnern“ wie den USA finden, sagt Finanzminister Lindner. Oder | |
zu Russland und China auf der anderen Seite. Zusammengefasst also ein | |
sogenannter integrierter Sicherheitsbegriff. | |
Im Koalitionsvertrag war bereits verankert, dass es erstmals eine solche | |
Nationale Sicherheitsstrategie geben soll. Bisher hatte man sich auf ein | |
Weißbuch und vor allem die Verteidigungspolitik beschränkt. Mit dem | |
brutalen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 hätte man | |
begreifen müssen, dass Frieden und Freiheit nicht selbstverständlich sind, | |
sagt Außenministerin Baerbock. Und: Sicherheit sei mehr als Militär und | |
Diplomatie. | |
## Bekannte Sätze zu China | |
Sie spricht davon, dass die Bevölkerung vor der Manipulation russischer | |
[2][Bots] geschützt werden müsse oder davor, dass China die Menschen beim | |
Chatten ausspioniert. Auch müsse gewährleistet sein, dass die Menschen in | |
Deutschland mit sauberem Wasser duschen können. Die Beispiele folgen in | |
einer Reihe mit ausreichend gefüllten Gasspeichern und einem Lob an ihren | |
Partei- und Kabinettskollegen Wirtschaftsminister Robert Habeck, der es in | |
kürzester Zeit geschafft hätte, Deutschland unabhängiger von russischem Gas | |
zu machen. Die Welt ist eben „megakomplex“, wie Baerbock die vielen Aspekte | |
der Sicherheitsstrategie zusammenfasst. | |
Unabhängigkeit ist auch eines der Stichworte, wenn es um die | |
außenpolitische Haltung zu China geht. Zwar findet das Papier klare Worte, | |
doch bleibt offen, was daraus folgt. Wiederholt wird der mantraartige | |
Dreiklang, dass China „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ sei. | |
Doch hätten die Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs in den | |
vergangenen Jahren zugenommen. China versuche die internationale Ordnung | |
umzugestalten und handele dabei „immer wieder im Widerspruch zu unseren | |
Interessen und Werten.“ Peking setze die internationale Stabilität und | |
Sicherheit „zunehmend unter Druck“, missachte Menschenrechte und nutze | |
seine Wirtschaftskraft ein, um politische Ziele zu erreichen. Scholz | |
verweist stolz darauf, dass der fortgesetzte Dialog mit Peking geholfen | |
habe, dass China sich beim G20-Gipfel in Bali deutlich gegen Moskaus | |
Atomwaffendrohungen im Ukraine-Konflikt ausgesprochen hat. | |
Auch sei die von Berlin verfolgte Strategie des Risikoabbaus (Derisking) | |
statt einer Abkopplung (Decoupling) heute Konsens der EU- und der | |
G7-Staaten. Ansonsten wird darauf verwiesen, dass die Bundesregierung in | |
Scholz' Worten „bald“ ihre China-Strategie vorlegen wolle, die Baerbock | |
wegen der Uneinigkeit zwischen den beteiligten Ministerien süffisant als | |
„kleinen Cliffhanger“ bezeichnet. | |
Eigentlich hätte die Sicherheitsstrategie bereits zur [3][Münchner | |
Sicherheitskonferenz] im Februar präsentiert werden sollen, dann war rund | |
um Ostern der angepeilte Termin, jetzt ist es Juni geworden. Offenbar hat | |
die ressortübergreifende Formulierung, noch dazu erstmals in dieser | |
Koalition, gedauert. | |
## Sicherheitsstrategie ohne Sicherheitsrat | |
Zäh war anscheinend auch die Diskussion um einen ständigen Nationalen | |
Sicherheitsrat oder wenigstens ein koordinierendes Gremium. Den wird es nun | |
nicht geben, da insbesondere wohl das Außenministerium nicht hinnehmen | |
wollte, dass eine solche Institution dann im Kanzleramt angesiedelt worden | |
wäre. Was ebenfalls nicht geklappt hat, ist, den Katastrophenschutz stärker | |
auf die Bundesebene zu ziehen. Oder Ausgaben für die Verteidigung an | |
Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit zu koppeln. | |
Aber von Frust in der Koalition keine Spur. Statt Konflikt propagiert die | |
Ampel lieber traute Einigkeit und eine gemeinsame Außenpolitik aus einem | |
Guss, an der es keinen Zweifel geben soll. Ein gutes Gefühl in unsicheren | |
Zeiten zu vermitteln, scheint die Aufgabe. Vielleicht liegt es auch am | |
Geburtstag des Kanzlers, der sich mit der Sicherheitsstrategie wohl selbst | |
ein Geschenk gemacht hat. „Wir haben klasse Arbeit geleistet und deswegen | |
sind wir jetzt fertig“, sagt Scholz. Im Februar waren wir es wohl noch | |
nicht, schiebt er trocken hinterher. | |
Deutschland ist derzeit zweitgrößter Waffenlieferant an die Ukraine – nach | |
den USA. In Europa will die Bundesregierung in der Sicherheitspolitik eine | |
zentrale Rolle einnehmen. Um bei diesem Vorhaben glaubwürdig zu bleiben, | |
gibt es ein starkes Bekenntnis, zukünftig tatsächlich zwei Prozent der | |
Wirtschaftsleistung für Verteidigungsausgaben vorzusehen. Und das bereits | |
ab dem kommenden Jahr, sagt Finanzminister Lindner. | |
Auch Scholz und Baerbock betonen, dass die Bundeswehr auf dem | |
Zwei-Prozent-Ziel ihre Planung aufbauen kann und soll. Man will damit für | |
den Fall vorbereitet sein, dass das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro | |
für Investitionen in die Bundeswehr irgendwann erschöpft sein könnte. „Wir | |
haben über lange Zeit von einer Friedensdividende gelebt“, sagt Lindner. | |
Die Proportionen des Haushalts hätten sich verändert. Übersetzt heißt das | |
nichts anderes als: Mit der Finanzierung aller Sicherheitsmaßnahmen wird es | |
schwierig. Außer womöglich bei den Ausgaben für Rüstungsgüter und für die | |
Ausstattung der Bundeswehr. | |
## Kritik von Entwicklungsorganisationen | |
Vor allem Entwicklungsorganisationen sehen diesen Fokus enorm kritisch. | |
Vergeblich suche man nach einem Bekenntnis zu dem internationalen | |
Versprechen, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die | |
Entwicklungszusammenarbeit zu investieren, sagt Stephan Exo-Kreischer, | |
Direktor und Geschäftsführer der Entwicklungsorganisation ONE Deutschland. | |
„Klimawandel, Staatsverschuldung und Hunger beeinträchtigen die Stabilität | |
vieler Länder im Globalen Süden. Die Klimakatastrophe wütet in den Ländern | |
Afrikas mit bereits jetzt verheerenden Folgen für tausende Menschen. | |
Gleichzeitig wird eine nachhaltige menschliche Sicherheit wie Zugang zu | |
Bildung oder Gesundheitsversorgung vernachlässigt.“ So könne man weder | |
diese komplexen Probleme angehen oder gar lösen noch die notwendige | |
Stabilität herstellen. | |
14 Jun 2023 | |
## LINKS | |
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[3] /Muenchner-Sicherheitskonferenz/!5913965 | |
## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
Sven Hansen | |
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