# taz.de -- Reden mit Rechten: Gedanken im Nebel | |
> "Ich bin nicht rechts, aber..." sagte der Mann in der Kneipe. Ich habe | |
> mit ihm geredet, um im Gespräch zu bleiben. Danach fühlte ich mich | |
> verraucht. | |
Bild: Nächstes Mal lieber im Freien reden – vielleicht verzieht sich dann de… | |
Rauch. Ich sitze im Rauch. Er raucht und wir reden. Es ist, als würde mein | |
Gegenüber seinen Raum mit dem Rauch erweitern. Seine Präsenz benebelt. Der | |
Mann mit dem ich spreche, sagt: „Ich bin nicht rechts, aber …“ | |
Aber, dieses Wörtchen, das sich so oft hinter Sätze schleicht: „Ich will ja | |
nichts sagen, aber …“ | |
„Aber diese neuen Mitbürger“, sagt er. „Neue Mitbürger, so nenne ich si… | |
Ein seltsamer Begriff. Warum nennt er sie „neu“ und warum sollen sie „Mit… | |
sein? Als wären sie nur mit dabei – dabei leben sie hier. | |
Wir sitzen in einer Kneipe. Der Rauch hängt dicht über dem Tresen. Der Mann | |
vor mir bezeichnet sich als „Gastarbeiterkind“. Aber zwischen ihm und | |
denen, die er „neue Mitbürger“ nennt, gäbe es einen riesigen Unterschied: | |
„Mein Vater wollte immer arbeiten. Er ist damals als Gast gekommen, um zu | |
arbeiten.“ | |
„Er ist jetzt noch hier?“, frage ich. | |
„Natürlich“, sagt er. „Aber er arbeitet eben.“ | |
„Die jetzt kommen, wollen nicht arbeiten?“ | |
Ich versuche, seine Sätze wiederzugeben, ihm damit auf die Spur zu kommen, | |
nicht mit ihm zu streiten. Die [1][Demokratie] sei in Gefahr, weil wir | |
verlernt hätten, miteinander zu reden, heißt es. Wir sollten andere | |
Meinungen aushalten, im Gespräch bleiben, weil sich die Gesellschaft sonst | |
zu stark aufspalte. | |
„Nein, die neuen Mitbürger bekommen hier vor allem Kinder“, sagt er. „Ei… | |
zwei, drei, vier“, zählt er und schaut mich an. „Und dann arbeiten sie | |
nicht. Denn sie bekommen ja für die Geld und wer zahlt das?“ Er nickt: | |
„Ich, du.“ | |
Sein Blick gleitet über die anderen Gesichter am Tresen und er nickt. Für | |
jedes Gesicht ein Nicken. Der Mann dreht sich die nächste Zigarette. Ich | |
bekomme Kopfschmerzen. Ich kann ihm nichts entgegenrauchen. Ich habe nur | |
mein Zuhören und Sprechen. „Wir brauchen junge Menschen“, sage ich. „Wir | |
haben einen starken [2][demografischen Wandel].“ Ich bemerke, dass ich | |
unbewusst auf seine Argumentationsebene steige. Als müssten Menschen, die | |
kommen, zu etwas nützlich sein. | |
„Ich glaube, wir brauchen sie nicht“, sagt er. „Und dann lassen sich die | |
Frauen hier mit ihnen ein. Hey, du und ich, wir beide könnten Kinder | |
machen.“ | |
Er tut, als wäre es ein Spaß, eine theoretische Idee. „Eins, zwei. Unter | |
uns Europäern.“ | |
Es fällt mir nun schwer, im Gespräch zu bleiben. Ich möchte weg aus dem | |
Rauch und weg von seinen Sätzen. Er spricht weiter von [3][Arbeit]. Arbeit | |
sei wichtig. Er arbeite viel. Und wer nicht arbeite, habe kein Recht, hier | |
zu sein. | |
Ich frage ihn, was er befürchtet. Oft hilft es, nach den Gefühlen zu | |
fragen, die unter der Unzufriedenheit liegen. Dem Gefühl unter dem Gefühl. | |
In die verzweigten Wege im Unterbau zu steigen, aus denen die Meinungen an | |
die Oberfläche steigen. | |
Sein Gesicht wirkt bitter. „Merkst du, wie alles abbaut“, sagt er. „Man | |
kriegt gar keinen Arzttermin mehr. Ich habe nichts gegen die. Aber …“ | |
„Aber viele wollen hier arbeiten und dürfen es nicht“, sage ich. | |
Er spricht wieder über Kinder. Ich spüre ein Gefühl von Ohnmacht im Rauch. | |
Ich merke, dass ich es nicht schaffe, mit ihm das Thema darunter zu | |
betrachten, mit ihm andere Sichtweisen einzunehmen. | |
Im Gespräch bleiben. Perspektivenwechsel. Das alles ist Arbeit. Als wir uns | |
verabschieden, sagt er: „Ich hoffe, ich habe dich nicht verschreckt mit | |
meiner Meinung.“ | |
Zu Hause riechen meine Kleider nach seinem Rauch. Ich fühle mich verraucht. | |
Ver-redet. Und ich frage mich, ist es richtig in jedem Gespräch zu bleiben? | |
Mir die Luft nehmen zu lassen. | |
Auch am nächsten Tag hängt der Rauch noch in meinen Kleidern und mir hängt | |
die Zeit mit ihm in Gedanken nach. Und ich denke: Ja, im Gespräch bleiben | |
ist wichtig. Aber nicht um jeden Preis. Das nächste Mal frage ich, ob wir | |
draußen vor der Kneipe reden. Aus dem Nebel treten und klare Luft atmen. | |
Gleichberechtigte Luft für alle. | |
5 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
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