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# taz.de -- Stichwahl in der Türkei: Wahlkampf gegen Geflüchtete
> Auch die türkische Opposition hetzt gegen Geflüchtete. Kemal Kılıçdaroğ…
> hofft auf diese Weise, in der Stichwahl besser abzuschneiden.
Bild: Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu will auch syrische Geflüchtete…
Können in einem undemokratisch regierten Land demokratische Wahlen
abgehalten werden? Bei der [1][am nächsten Wochenende stattfindenden
Stichwahl] um die Präsidentschaft in der Türkei gibt es immer noch
Hoffnungen auf einen Regierungswechsel – auch wenn die Voraussetzungen für
die Kandidaten alles andere als gleich sind. Im April sollen laut einer
Erhebung im Staatsfernsehen TRT dem Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan rund
32 Stunden Sendezeit gewidmet worden sein – dem Oppositionsführer Kemal
Kılıçdaroğlu dagegen 32 Minuten.
Dass die Pressefreiheit im Land seit Jahren schon dramatisch eingeschränkt
wird, hat zur Folge, dass es zudem kaum Zugänge gibt zu kritischen,
faktenbasierten Nachrichten in der eigenen Sprache über die politische
Realität im Land. Wie überall auf der Welt wirken sich natürlich auch in
der Türkei vor allem Social-Media-Bubbles auf das Wahlverhalten vieler
Bürger_innen aus.
Doch im Gegensatz zu manchen anderen Ländern existiert so gut wie keine
unabhängige Presse mehr, an der Fake News und Propaganda abgeglichen werden
könnten. Sprich: Fake News sind die News. Kritische Berichterstattung ist
dagegen – sobald sie ein größeres Publikum erreicht – ein Fall fürs
Gericht.
Dass Propaganda sich am besten durch dokumentierte Zahlen und Fakten
zerlegen lässt, daran glaubt in der Türkei also niemand mehr. Und so
verstrickt sich auch die Opposition zunehmend in frisierten Wahrheiten im
Zuge plumper Wahlversprechen, die bei der Stichwahl am 28. Mai ins Gewicht
fallen könnten.
In einer Rede am Donnerstag etwa versprach [2][Kılıçdaroğlu, er werde,
sollte er im zweiten Wahlgang gewählt werden, „alle Flüchtlinge nach Hause
schicken. Punkt.“] Im Satz vorher behauptete er, Erdoğan habe 10 Millionen
Geflüchtete ins Land gelassen, eine Zahl, die die ohnehin rassistische
Stimmung in der Gesellschaft weiter anheizen soll. Fakt ist: Die UNHCR
geht von derzeit 3,9 Millionen Geflüchteten aus, die in der Türkei leben
sollen, allein 3,6 Millionen von ihnen aus dem Nachbarland Syrien.
Sicherlich wird es eine Dunkelziffer undokumentierter Geflüchteter geben,
10 Millionen erscheinen aber unrealistisch.
Seit Jahren schon wendet sich der Unmut der Bevölkerung über
Wirtschaftskrise, Korruption und Arbeitslosigkeit mehr gegen geflüchtete
Menschen als gegen die politisch Verantwortlichen für diese Probleme. Die
Rhetorik der Opposition verbindet nun das Potenzial dieser rassistischen
Grundstimmung mit der Kritik an der AKP-Regierung: Erdoğan hat euch die
Flüchtlinge gebracht, ich werde euch von ihnen befreien, geht der Duktus.
## Es geht um 5,1 Prozent
Man mag das als letzte erfolgversprechende Strategie erkennen, im Kampf um
den 5,1-Prozent-Stimmenanteil des rechtsextremen Kandidaten Sinan Oğan aus
dem ersten Wahlgang. Dieser wird bei der Stichwahl neu verteilt und
entscheidend sein. Allen Beteiligten ist klar: Jetzt wird es hässlich.
Kılıçdaroğlu braucht im Grunde jede einzelne Stimme, die im ersten Wahlgang
an den drittstärksten Kandidaten ging, um noch gewinnen zu können.
Zugleich ist die Antiflüchtlingsparole nicht einmal ein Kurswechsel, wo
doch ultranationalistische bis rechtsextreme Flügel in beiden Allianzen
einflussreich sind. Dass Kılıçdaroğlu zugleich auf die Wählerstimmen der
prokurdischen Linken Yeşil Sol (ehemals HDP) zählt, mag den Rechten ein
Dorn im Auge sein, aber in der Hoffnung, Erdoğan abzuwählen, das geringere
Übel.
Hass auf schutzbedürftige Menschen aus Syrien wiederum erscheint als
einziger Kitt, der fast alle politischen Lager der Türkei zusammenhält. Und
so betreibt eben auch eine sich als „progressive“ verstehende Opposition
Hetze auf Geflüchtete, um deren Lebensbedingungen es unter Erdoğan sowieso
sehr schlecht steht. Das ist nicht nur grob fahrlässig, sondern vielleicht
die einzige Möglichkeit, bei der Stichwahl besser abzuschneiden.
20 May 2023
## LINKS
[1] /Wahlen-in-der-Tuerkei/!5934339
[2] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/tuerkei-stichwahl-kilicdaroglu-fluec…
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Türkei
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Kolumne Red Flag
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Kemal Kılıçdaroğlu
Schwerpunkt Pressefreiheit
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Präsidentschaftswahl in der Türkei
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