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# taz.de -- Krieg in Sudan hält an: Verbrannte Erde, verwesende Leichen
> Aus der sudanesichen Region Darfur fliehen immer mehr Menschen ins
> Nachbarland Tschad. Sie berichten von systematischen Massakern.
Bild: Die Stadt El Geneina liegt in der sudanesischen Region West-Darfur
Berlin taz | Sultan Saad Bahreldin hat es geschafft. Der traditionelle
Führer des Masalit-Volkes in der Stadt El Geneina im äußersten Westen
Sudans erreichte vorletzte Woche die Stadt Adré im Nachbarland Tschad. „Die
Straße zwischen El Geneina und Adré ist voller Leichen“, erklärte der
Sultan nach seiner Ankunft einem lokalen TV-Sender. 70 Prozent der
Stadtbewohner seien auf der Flucht, es gebe „systematische“ Tötungen.
Das bestätigen unzählige andere Flüchtige aus der Provinzhauptstadt von
West-Darfur, die in Adré mit UN-Vertretern, Helfern und lokalen Medien
gesprochen haben. „Überall hängt Leichengeruch“, El Geneina sei eine
„Geisterstadt“ geworden, wird einer zitiert. Es zirkulieren Fotos von
Straßen voller verwesender Toter, manche davon Kinder. „Die Milizen kamen
plötzlich und feuerten auf die Leute“, erinnerte sich ein Bewohner an einen
Tag.
Der zivilgesellschaftliche Aktivist Ibrahim Shamou, der Adré am 18. Juni
erreichte, zählte unterwegs 350 Tote. Von über 1.100 Getöteten in El
Geneina sprach das US-Außenministerium bereits am 15. Juni. Der
Masalit-Sultan brachte bei seiner Flucht nach Tschad einen Bericht über die
Massaker in der Stadt seit 24. April mit und zählte darin „über 5.000 Tote
und mindestens 8.000 Verletzte“.
Er sprach von einer „Reihe systematischer und blutiger Angriffe der RSF
(Rapid Support Forces), also der Janjaweed-Miliz, die Völkermord und
ethnische Säuberung rassistischer Art gegen afrikanische Zivilisten zum
Ziel haben“. Am 25. Juni vermeldete ein lokaler BBC-Journalist, in El
Geneina seien 1.760 Kinder unter 16 Jahren getötet worden.
## Eine Stadt, gezeichnet vom Darfur-Konflikt
Seit dem 15. April herrscht Krieg in Sudan. Aus dem Machtkampf zwischen dem
Anführer der paramilitärischen RSF (Rapid Support Forces), Hamdan Daglo
Hametti, und Staats- und Armeechef Abdelfattah al-Burhan wurde ein Krieg,
der nach den Worten von UN-Generalserkretär António Guterres Sudan „in den
Abgrund“ zerrt, mit rasanter Geschwindigkeit. Die UN zählt mittlerweile 2,8
Millionen Geflüchtete inner- und außerhalb des Landes.
El Geneina war bis vor Kurzem eine einigermaßen friedliche, gleichwohl von
den Spuren des grausamen [1][Darfur-Konflikts] gezeichnete Großstadt nahe
der Grenze zu Tschad. Rund 200.000 Menschen von meist arabischen
Volksgruppen leben in der Stadt. Drumherum, in den elendigen
Vertriebenenlagern, sammelten sich indes die nichtarabischen Völker wie die
Masalit – eine Spätfolge des Krieges, als die Masalit in den Aufstand
traten und Sudans Regierung sie mithilfe der Janjaweed-Reitermiliz brutal
niederkämpfte. Aus den Janjaweed wurde Hamettis RSF.
Als ab 2019 Massenproteste gegen die Militärherrschaft Sudan erschütterten,
schloss sich die jüngere Masalit-Generation aus den Lagern der
Protestbewegung an. Sie legte sich gern mit arabischen RSF-Ordnungshütern
an, immer wieder gab es bewaffnete Zusammenstöße mit vielen Toten.
Ab dem 24. April versuchte die RSF, gewaltsam die Kontrolle über Darfurs
Städte mit ihren Militäreinrichtungen zu gewinnen. Der Bericht des Sultans
dokumentiert zahlreiche Angriffe und Kämpfe in El Geneina ab diesem
Zeitpunkt. Am 14. Juni wurde sogar der Provinzgouverneur von West-Darfur,
General Khamis Abdullah Abbakar, ermordet: Er besuchte in El Geneina die
Zentrale der Antiaufstandspolizei CRF (Central Reserve Forces) und wurde
dort an die RSF übergeben, die ihn und seine Personenschützer umbrachte und
die Leichen verstümmelte. Zuvor hatte Abbakar der RSF „Genozid“ vorgeworfen
und der Armee mangelnden Schutz der Bevölkerung.
Damit war klar: In dieser Stadt ist niemand mehr sicher. Zu Fuß, auf
Kamelen, in Autos, auf Motorrädern machten sich die Menschen auf den Weg
Richtung Tschad. Innerhalb von drei Tagen erreichten 15.000 Menschen die
Grenze. Eine unbekannte Anzahl kam gar nicht so weit. Immer wieder
berichteten Augenzeugen, an Straßensperren kontrolliere die RSF die
Menschen: Masalit durften nicht durch, die anderen mussten meist ihr Hab
und Gut zurücklassen.
## Erinnerungen an Ruanda
„Die Janjaweed stoppten die fliehenden Frauen mit ihren Kindern und zwangen
sie, die Kinder nach Geschlecht zu sortieren, und töteten dann die
männlichen“, heißt es im Bericht des Sultans über die Flucht der Masalit
aus El Geneina. „Was [2][in Ruanda] geschah (beim Völkermord an den Tutsi
1994, d.Red.), wiederholt sich jetzt in El Geneina“, erklärte die
Ärztevereinigung der Stadt. „Ganze Familien wurden ausgelöscht und in
Massengräbern verscharrt“, sagte der stellvertretende Flüchtlingskommissar
der Provinz.
In El Geneina herrscht jetzt die RSF. Auswertungen von Satellitenaufnahmen
durch das „Sudan Conflict Observatory“ belegen großflächige Zerstörungen…
der Stadt: eine Fläche, die 98 Fußballfeldern entspricht, sei verbrannt.
Das ist aber möglicherweise erst der Anfang. Der US-amerikanische Aktivist
und Sudan-Experte Eric Reeves berichtet von systematischen Angriffen auf
andere Städte durch die RSF seit dem 21. Juni. In El Fasher, Hauptstadt von
Nord-Darfur, hätten ehemalige Darfur-Rebellen, die jetzt in die
Regierungsarmee integriert sind, den Angriff noch zurückgeschlagen. In
diesen Tagen sei nun Zalingei in Zentral-Darfur an der Reihe.
Analysten warnen, dieser Krieg sei nicht identisch mit dem vor zwanzig
Jahren. RSF-Chef Hametti habe sich eigentlich als Friedensbringer für seine
Heimatregion Darfur profilieren wollen, sagt der französische Analyst
Jerôme Tubiana. Aber er habe es nicht vermocht, Sympathien in Darfur für
seine Revolte zu gewinnen. Eric Reeves nennt die Eroberung von Darfur
einen „Plan B“ für Hametti, falls die Eroberung von Khartum scheitere.
## Bereits 245.000 Geflüchtete
Die Strategie hinter den Massenmorden ist den Opfern egal. Darfur brennt.
Und nun muss Tschad, wo schon vor den neuen Kämpfen fast eine halbe Million
Darfur-Flüchtlinge lebten, eine neue Massenflucht bewältigen. Das
[3][UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR] zählte am 19. Mai 72.000 neue
Darfur-Flüchtlinge in Tschad. Ende vergangener Woche waren es knapp
175.000. Die aktuelle Planzahl: 245.000.
Erst kurz vor dem neuen Krieg hatte das UN-Welternährungsprogramm WFP aus
Geldmangel seine Versorgung für Darfur-Flüchtlinge in Tschad halbiert und
gewarnt, ab Mai gebe es überhaupt nichts mehr. Das ist jetzt abgewendet.
Aber die Preise steigen, und in wenigen Tagen dürfte in dieser Region die
Regenzeit einbrechen. Wer dann keinen Schutz hat, findet keinen mehr.
28 Jun 2023
## LINKS
[1] /Darfur-Konflikt/!5185639
[2] /Finanzier-von-Ruandas-Voelkermord/!5880523
[3] /Jahresbericht-Fluechtlingswerk-UNHCR/!5940677
## AUTOREN
Dominic Johnson
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