# taz.de -- Gentrifizierung in Berlin: Unten angekommen in der Elendsspirale | |
> Angesichts des Ergebnisses der Sanierung des ehemaligen Kunsthauses | |
> "Tacheles" in Mitte, fürchtet unser Kolumnist Schlimmes für das Quartier. | |
Bild: „Behutsam“ sollte das ehemalige Kulturzentrum Tacheles saniert werden… | |
Es sieht fürchterlich aus nach der „behutsamen Sanierung“ des ehemaligen | |
Kunsthauses an der Oranienburger Straße: Hundert Waben aus Beton und Glas. | |
Auf ihrer [1][Seite] drohen die Bauherren noch „mehr Kultur“ an, | |
„namensgebend“ für das gesamte Quartier: „Kultur wird ihre inspirierende | |
Kraft entfalten“. | |
Wie ähnliche besetzte Großobjekte in Athen, Paris und Amsterdam verlief die | |
Ruine in Mitte, die einst als Prachtpassage gebaut und gleich | |
pleitegegangen war, in Richtung glänzenden Elendsspirale: [2][Künstler- | |
Journalisten-Touristen-Investoren-Tote Hose]. | |
1989/90 sollte der Bau gesprengt werden. Das konnten ihre Besetzer mit | |
Denkmalschützern, Bezirksamt und dem „Runden Tisch“ verhindern. Sie bekamen | |
sogar 700.000 Euro jährlich für ihre „Kulturarbeit“. Das Tacheles konnte | |
damit eine Artistenschule, eine Hunde-Schurschule und einen „Tresorraum“ | |
erhalten. | |
Nur gut, dass gerade das Buch von Su Tiqqun, „bis 1997 Weichensteller der | |
Karrieren der Anderen im Kunsthaus Tacheles“, erschienen ist: „Zeugin und | |
Täter. Zur Geschichte des Kunsthauses Tacheles in Berlin“. Da kann man die | |
Wandlungen der Immobilie verfolgen – vom Kaiserreich bis zum neuen | |
Besitzer, dem schwerreichen Jülicher August Jagdfeld, dem man zuvor [3][die | |
Besetzer/Künstler] aus seinem Investitionsweg geräumt hatte. Dazu vor allem | |
Erzählungen über die Wandlungen der vielen Nutzer vom überkochenden | |
Künstler zum koksenden Arschloch. | |
## Kunsthaus mit bewegter Geschichte | |
Das ist die eigentliche Geschichte: Von 1990 bis 2012, die „Tacheles-Zeit“ | |
voller „ungezügelter, kreativer Kraft“, die von der Autorin ebenso | |
akribisch wie dramaturgisch aufgearbeitet wurde, wobei sie mit vielen | |
Tachelern auch abrechnet. Auch implizit: Wenn sie den „Selbstmord“ einer | |
Künstlerin, die ihre Amphetamine selbst herstellte, schildert, die tot auf | |
dem Grundstück neben einem zur Kunst erklärten Krankenwagen lag, wo sie von | |
Besuchern für Teil des Kunstwerks gehalten wurde – bis ein Kind die | |
Wahrheit entdeckte. | |
Das Tacheles-Kollektiv selbst hatte 2009 ein „Schwarzbuch“ über den | |
[4][Investor August Jagdfeld] und seine „Fundus-Gruppe“ veröffentlicht, | |
Inhaberin der wertvollsten DDR-Objekte (u. a. Heiligendamm, die Halbinsel | |
Wustrow, Hotel Adlon). 1999 erhielt Jagdfeld das Bundesverdienstkreuz. Aber | |
dann ging es bergab mit seiner „Fundus-Gruppe“ – dem „größten | |
Immobilienunternehmen in Deutschland“ laut Wikipedia. Immer mehr Ärger, | |
Prozesse, Verkäufe, Namensänderung… Ein „Wieder-Klein-Werden schaffen“,… | |
einige Pariser Philosophen das genannt hätten. „Das ist der Preis für | |
Größenwahn“, so das Manager-Magazin. | |
Das Tacheles, ein 25.000 Quadratmeter großes „Filetstück“, für rund 50 | |
Millionen Euro von ihm gekauft, veräußerte er mit einem Gewinn von 150 | |
Millionen an die New Yorker Vermögensverwalter Perella und Weinberg, die | |
daraufhin verlauten ließen: „Man wolle einen Teil der Innenstadt aktiv | |
mitgestalten“. | |
15 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tacheles.de/ | |
[2] /Gentrifizierung-in-Berlin-Mitte/!5371462 | |
[3] /Kulturbotschaft-Lichtenberg/!5531505 | |
[4] /Archiv-Suche/!368940&s=August+Jagdfeld&SuchRahmen=Print/ | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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