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# taz.de -- Die Wahrheit: Affen, ihr inspirierenden Wesen!
> Die Wahrheit-Sommerserie „Wahre Wunder“ (2): Würdigung zweier Makaken,
> die neulich tagelang durch den Wald rasten und die Freiheit genossen.
Bild: Hat den Durchblick, was Freiheit bedeutet: Makake
Große himmlische Wunder bedürfen bisweilen einer kleinen menschlichen
Starthilfe. In diesem Fall war Gottes Werkzeug ein bekiffter 42-Jähriger,
der am Abend des 12. Juni 2023 in den Zoo der tschechischen Stadt Děčín
ein- und dort einen Elektrozaun aufbrach. Neun Exemplare der Makakenart
Macaca nigra nutzten die Chance und flohen aus ihrem plötzlich
ungeschützten Gehege: Die Schopfaffen waren los!
Und hier nahm das Wunder von Tetschen erst richtig Fahrt auf. Bis zum
folgenden Mittwoch konnten sieben der Tiere zwar leider wieder eingefangen
werden, zwei von ihnen jedoch schlugen sich bis ins nahegelegene
Deutschland durch. Sie hatten es geschafft, sie hatten erfolgreich
„rübergemacht“. In den wildromantischen Bergen und Schluchten des
Elbsandsteingebirges fanden sie eine neue Heimat, ihre erste richtige
überhaupt. Nach Jahren der Gefangenschaft im nordböhmischen
Mittelstadts-Grau durften die Regenwaldbewohner endlich grölen: „Auf die
Bäume, ihr Menschen, der Wald wird gefegt!“
Zwei Urmenschen im Paradies – wenn das keine Schöpfungsgeschichte
biblischen Ausmaßes ist, eine „Schopfungsgeschichte“ gewissermaßen! Schon
bald sprang die Boulevardpresse auf die tierische Flucht an und taufte das
äffische Duo in nur vager Kenntnis osteuropäischer Kultur auf die Namen
„Lolek und Bolek“.
## Kurzes Glück
Doch das Glück währte nur kurz. Denn nachdem das Affenpaar sich in ein paar
harmlosen Spielereien ergangen hatten – Wandernden den Proviant stibitzen,
kleine Brände legen, Wölfen die Kehle durchbeißen –, sahen sich die
Behörden gezwungen zu reagieren. Auf der Internetpräsenz des Landkreises
Sächsische Schweiz-Osterzgebirge prangte bald ein Warnhinweis: „Achtung!
Hier treiben aggressive Primaten ihr Unwesen, die rohe Laute ausstoßen und
mit Exkrementen werfen. Und seit Kurzem sind auch noch zwei Schopfaffen
unterwegs.“
Als die teilalphabetisierte Bevölkerung (Bundestagswahl 2021: AfD 33
Prozent) davon Kenntnis erlangte, war der Aufschrei programmiert.
„Problemaffen konsequent abschieben!“, „Affenschrei – zurück in die
Tschechei!“ und „Wer sich laust, soll in die Lausitz!“ waren nur drei der
Parolen, die ein aufgebrachter Pöbel fortan Montag für Montag durch das
Elbtal skandierte.
Schließlich sprach Sachsens Landesvater Michael Kretschmer ein Machtwort,
dabei trommelte er sich mit beiden Fäusten auf der behaarten Brust herum.
„Wir müssen das Problem am Schopf packen. Die Grenzen zu schließen,
erscheint mir im Moment aber noch übertrieben. Stattdessen sollten wir auf
verschärfte Grenzkontrollen setzen, außerdem werde ich ein sofortiges
Importverbot für Bananen verhängen. Das sind die Menschen hier im Osten ja
gewohnt. Auf keinen Fall dürfen wir Anreize für ungezügelten Zuzug affen,
äh: schaffen.“ Doch war es zu spät: Lolek und Bolek hatten sich bis in die
Landeshauptstadt durchgeschlagen.
## Natürliches Habitat
Angezogen von der Farbe ihres natürlichen Habitats, des indonesischen
Regenwaldes, drangen sie in das Grüne Gewölbe ein und rissen sich den
funkelnden, glitzernden Sachsenschatz unter den Nagel, zumindest das, was
davon noch übrig war. Spätestens jetzt wurden die beiden als „kriminelle
Art“ oder „invasive Vereinigung“ per Haftbefehl gesucht. Selbst der
Bundeskanzler sprach sich dafür aus, die Tiere festzusetzen, notfalls
einzuschläfern, zum Beispiel mit einer Scholz-Rede.
Schließlich gingen die beiden Affen der „Soko Meerkatz“ ins buchstäbliche
Netz, konnten sich einer Verurteilung jedoch entziehen, indem sie schwere
Entwicklungsrückstände (vgl. Darwin) geltend machten. Von Dresden aus
reisten sie mit dem Zug nach Chemnitz (49-Euro-Ticket gilt auch im IC auf
dieser Strecke!), wo sich ihre herzhaft duftende Spur zunächst verlor.
Die Děčíner Mirakel-Makaken tauchten unter: in Aschaffenburg, am
Frankfurter Affentorplatz, in Hannes Jaenickes Garage oder inkognito bei
Trigema. Bis zwei Kellnerinnen eines Ausflugslokals die Primaten mit einem
Stück Wassermelone anlockten und sie festgenommen wurden, also die Affen.
Im Gedächtnis der Deutschen wird sie so oder so für alle Ewigkeit bleiben:
die magische Zeit im Sommer 2023, als zwei Exemplare einer vom Aussterben
bedrohten Spezies unter ihnen weilten und zeigten, was es heißt, dem Affen
Zucker zu geben.
23 Jun 2023
## AUTOREN
Torsten Gaitzsch
## TAGS
Tiere
Freiheit
Affen
Christian Lindner
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Sozialverhalten
Kolumne Die Wahrheit
Mode
Spanien
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