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# taz.de -- Die Wahrheit: Olé, olé, olé, o Lesen!
> Spanien-Woche auf der Wahrheit: Die Ibererinnen und Iberer pflegen
> kontroverse Buchbräuche, wie ab Mittwoch die Frankfurter Buchmesse zeigen
> wird.
Diese Woche widmet sich die Wahrheit in all seinen großen und kleinen
Aspekten Spanien. Denn das ehrwürdig hitzige Spanien ist in diesem Jahr
Gastland der am Mittwoch beginnenden Frankfurter Buchmesse.
Es ist so sicher wie das Amen in der Sagrada Família: Am Eröffnungstag der
Frankfurter Buchmesse wird es jede Menge Ramba, Zamba und Karacho geben.
Mehrere Buchrechtsorganisationen wie People for the Ethical Treatment of
Literature (PETLI) haben angekündigt, sich an neuralgischen Punkten im
Messegelände zu postieren und ausgesuchte Veranstaltungen zu stören – vor
allem die geplanten Zeremonien. Denn spanische Literaturrituale sind seit
jeher umstritten, am heftigsten wohl die Corrida de autores, der
Autorenkampf: Hochgezüchtete Erfolgsschriftsteller, die man zuvor rasend
gemacht hat, zum Beispiel mit falschen Zitatwiedergaben, werden mit Hilfe
roter Lesezeichen über eine Interviewbühne gehetzt und mit Fragen
gelöchert, bis sie buchstäblich zusammenbrechen.
Eine solche Corrida ist für den allerersten Publikumstag angesetzt, und die
Protestgruppe Excerption Rebellion will sie gewaltsam verhindern, nämlich
„indem wir eine Herde iberischer Kampfstiere in der Halle loslassen“, wie
es in einer Erklärung heißt. „Falls wir die nicht durch die Security
bekommen, begnügen wir uns mit deutschen Hornochsen (Denis Scheck).“
## ¡Zafónista, Zafónista!
Die Veranstalter reden sich immer wieder mit dem Schlagwort Tradition
heraus. Und tatsächlich: Die EU stellt Spektakel wie die „Zafónista“ –
Wälzer von Carlos Ruiz Zafón werden aus einem Hochdruckrohr in die Luft
katapultiert und von pensionierten Wachteljägern abgeschossen –
ausdrücklich unter Schutz. Und vor Kurzem hat die spanische Regierung eine
Rechtfertigung mit dem Titel „¿Tortura o cultura? ¡Papa y patata!“ auf ih…
Webseite gestellt. Von „Messen mit zweierlei Maß“ ist die Rede: „Wer uns…
wunderschönen, jahrhundertealten Spiele und Gebräuche als buchquälerisch
verdammt, muss auch der Paella den Titel des immateriellen Weltkulturerbes
aberkennen. Oder zumindest darauf verzichten, lebende Kaninchen in seine
Paella zu werfen.“
Zwar gehört das safrangelbe Reisgericht weder zum Kulturerbe noch lebendes
Kaninchen in es hinein (es sind lebende Mäuse), doch das hat mehrere
Verlage der Halbinsel nicht davon abgehalten, das „Jahr der
Paella-Literatur“ auszurufen. Dutzende Publikationen sollen heuer
vorgestellt werden, die Sachbuch und Belletristik in einem sind, wie Fisch
und Fleisch in einer Pfanne. Eine eindeutige Verletzung der Genfer
Literaturkonvention, aber die Buchmesseleitung schaut weg.
Beziehungsweise hat handfestere Sorgen. Bis Mittwoch muss entschieden
werden, ob auf der Agora wirklich wie angedacht ein zwölf Meter hoher Turm
errichtet werden soll, von dem zu jeder vollen Stunde eine
Cervantes-Gesamtausgabe fallen gelassen wird. Ein ähnlicher Brauch im
Örtchen Manganeses de la Polvorosa wurde bereits vor etlichen Jahren
abgeschafft, dort benutzte man allerdings Ziegen statt Bücher.
Wenn kiloschwere Bände vor einer grölenden Masse auf dem Boden
aufklatschen, sorgt das bei nicht wenigen für Entsetzen. „Die sind
teilweise noch in Originalfolie eingeschweißt, ganz jung und unschuldig“,
ereifert sich eine Sprecherin des hiesigen Protestvereins Kein Trumm vom
Turm!, der sich letzten Monat gegründet hat. „Identität hin oder her, aber
ausgerechnet in Frankfurt so ein Monument des Schreckens aufzustellen, ist
mehr als zynisch. Schließlich haben wir hier schon einen Goetheturm im
Stadtwald. Da könnte man auch was runterstoßen, den ollen „West-östlichen
Divan“ zum Beispiel.“ Ein Pro-und-Kontra-Forum soll nun Klarheit schaffen,
anberaumt direkt nach der Diskussionsrunde „Franco – Visionär oder Rüpel?…
am Stand des Antaios Verlags.
## ¡Librotina, Librotina!
Weniger ethisch bedenklich, dafür aber ökonomisch, ist eine Gaudi namens
Librotina, angelehnt an die alljährlich in Buñol stattfindende Tomatina,
bei der sich Tausende Menschen Straßenschlachten mit überreifen Tomaten
liefern. Bei der Librotina werden öffentlich Remittenden-Exemplare
eingeweicht und zu einem zähflüssigen Pulp zermanscht (Fachbegriff: La
Mancha), in dem sich dann drei Tage lang Feierwütige wälzen und kabbeln.
Gegner sprechen von einem Auswuchs von Dekadenz und Wegwerfmentalität. Die
eingestampften Werke könne man ja noch einsetzen, etwa im Straßenbau. Zudem
sei der Spaß nicht ungefährlich. 2018 ertranken 120 Personen in Brei aus
nicht verkauften Exemplaren der katalanischen Übersetzung von Jan Weilers
„Das Pubertier“. Als hätte der Schmöker nicht schon genug Leid verursacht!
Überhaupt stößt der „Living la vida loca“-Geist einigen Ewiggestrigen
innerhalb der traditionell staubtrockenen, humorbefreiten deutschen
Literaturszene äußerst sauer auf. Nicht zuletzt der in diesem Sommer wieder
angelaufene Mallorca-Tourismus trage Schuld daran, wenn diese Buchmesse zu
einem reinen Fun-Event verkomme. Das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels
warnt vor Unsitten wie Komablättern und „Binge-Reading“, die mittlerweile
auch bei einheimischen Jungleserinnen und -lesern um sich griffen. „Der
neueste ‚kulturelle‘ Import ist das sogenannte Eimer-streamen“, weiß das
Fachblatt, „das darin besteht, ein Smartphone in einen Eimer zu legen und
darüber, schallverstärkt, Hörbücher auf Spotify zu konsumieren. Quo vadis,
Leitkultur?“
Sind die Vorwürfe der Buchverachtung also nur ein Vorwand? Fürchten die
alten Eliten nicht bloß einen Angriff auf ihre stocksteife Wichtigkeit,
wenn sie hinter vorgehaltener Hand von „Hispanisierung“ raunen? „Am Ende
betreiben wir hier Tapas-Lektüre, schlucken Texte häppchenweise statt uns
meine bedeutenden Traktate slowfoodmäßig auf der Zunge zergehen zu lassen“,
so Trash-TV-Queen Thea Dorn in einem Radiogespräch. „Beim
Steck-dem-Esel-den-Schwanz-an-Turnier in Halle 4 werde ich trotzdem
mitmachen. Mit Volker Weidermann habe ich eh noch eine Rechnung offen!“
17 Oct 2022
## AUTOREN
Torsten Gaitzsch
## TAGS
Spanien
Die Wahrheit
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