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# taz.de -- Tucker Carlson startet Twitter-Show: Mit der Wahrheit lügen
> Der Ex-Fox-News-Moderator sammelt auf Twitter viel Aufmerksamkeit. Das
> zeigt, Hetzer brauchen klassische Medien nicht mehr.
Bild: Ex-Fox-News-Gesicht Tucker Carlson
Klassische Medien sind nicht mehr nötig für Erfolg. Das will, das muss
Tucker Carlson beweisen. Und so ärgerlich es in diesem Fall ist: Der
rechte, hasssäende Moderator und Verbreiter von Verschwörungserzählungen
dürfte damit recht haben – zumindest für den Fall, dass man, wie er, schon
eine Fanbase in den klassischen Medien aufgebaut hat, für die nicht mehr
der Kanal, sondern der polarisierende Inhalt zählt, bei ihm unter anderem
ein bestimmtes Narrativ über Medien und Wahrheit.
Carlson wurde [1][Ende April vom Fernsehsender Fox News entlassen].
[2][Laut Medienberichten wegen privater Nachrichten], in denen er eine
Gewalttat von Turmp-Anhängern an einem Gegendemonstranten verherrlichte.
Zudem verbreitete Carlson unter anderem Lügen über einen angeblichen
Wahlbetrug durch den Wahlmaschinenhersteller Dominion. [3][Fox News musste
in einem Vergleich wegen der Unterstellungen, die im Sender gemacht wurden,
beinahe 790 Millionen Dollar an Dominion zahlen].
Wirklich überraschend waren die Chat-Nachrichten von Carlson wohl für
niemanden. Seit Jahren ist er dafür bekannt, rechte Ressentiments und Hass
zu fördern. Genau das war ja das Erfolgskonzept seiner Sendung, eines
Aushängeschilds von Fox News. Dienstagabend hat Carlson nun auf Twitter in
einem Video angekündigt, dass er ab jetzt auf eben dieser Plattform seine
Abendshow ausstrahlen werde. Schon 14 Stunden nach dem knapp dreiminütigen
Video wurde es beinahe bei 80 Millionen Accounts in den Feed gespült und
dort präsentiert. So wichtig findet Twitter diesen Menschen. Über 17
Millionen haben das Video dann auch tatsächlich abgespielt.
Carlson kündigte darin aber nicht nur sein Programm an. Nein, er goss darin
auch ein Fundament, das er braucht, um sein neues mediales Zuhause
möglichst stabil zu bauen: Er argumentierte gegen klassische Medien und
bediente sich dabei klassischer Narrative aus der Szene von Desinformation
und Verschwörungsideologie. „Oft hört man Menschen sagen, die Nachrichten
seien voller Lügen. Aber das ist nicht ganz richtig“, erklärte er. Vieles
sei richtig. Was man im Fernsehen sehe oder bei der New York Times lese,
würde Fact-Checks auch überstehen. „Aber das macht sie nicht wahr.“
## Gewöhnliches, journalistisches Prozedere
Es würden grundlegende Informationen verheimlicht. Sie würden damit lügen,
jeden Tag in der Woche, jede Woche im Jahr. Es sei eine „Lüge der
verschlagensten und heimtückischsten Art“. Dann sprach er die Zuschauenden
wieder direkt an: „Sie werden manipuliert.“
Carlson spricht damit einen Grundmechanismus des Journalismus an: die
Nachrichtenauswahl. Was ist wichtig? Was zeigen wir den Leser*innen und
Zuschauer*innen? Journalist*innen kuratieren täglich Nachrichten, viele
Nachrichten schaffen es nicht ins TV-Abendprogramm oder auf die Seite, weil
jene Journalist*innen andere Nachrichten als wichtiger einordnen. Das
ist normal. Und ja, es hat einen Einfluss auf die Rezipient*innen.
Das, was dabei entsteht, ist jedoch keine Lüge. Es ist das Ergebnis einer
durch Ressourcen gegebenen Notwendigkeit. Vor allem ist es ein an das
Publikum gerichteter Service, denn nicht jede Nachricht ist tatsächlich für
alle wichtig und die Aufnahmefähigkeit von Menschen ist nicht unendlich.
Carlson weiß das ganz genau. Deswegen liefert er auch keine Beweise für
seine Unterstellung. Er möchte ja selbst manipulieren. Er stellt sich
selbst und ein ominöses, nicht genauer definiertes „wir“ als diejenigen
dar, die die Wahrheit haben. Das macht er auf der „weltweit größten,
einzigen Plattform“, auf der seiner Ansicht nach noch freie
Meinungsäußerung herrscht: Twitter. Das ist das, was Carlsons Fans hören
wollen: Ihr seid die mit dem Durchblick! Hier ist unser neues Zuhause!
Durch den wahren Teil seiner Erzählung, also die notwendige tägliche
Nachrichtenauswahl in Redaktionen, wird sein Vorwurf der Lüge umso
attraktiver, glaubwürdiger – gefährlicher.
Dass Carlson dafür ausgerechnet Twitter auserkoren hat, ist
nachvollziehbar. Elon Musk, mit dem Carlson gerüchteweise schon im Vorfeld
über seine Show auf Twitter gesprochen hat, hat seine Plattform als Ort der
freien Meinungsäußerung ausgerufen, sich selbst hat Musk zu einem Ultra der
Redefreiheit ernannt. Dass er dabei auf Twitter gegen unliebsame Personen
und Institutionen vorgeht, sie blockt, teilweise von der Plattform
verbannt: geschenkt. Ebenso seine negative Einstellung zu kritischen
Medienhäusern, die er gerne auch mal verleumderisch auf Twitter als
„Staatsmedien“ brandmarkt.
## Deutsches Beispiel
Carlsons drohender Erfolg besteht aus mehreren Zutaten. Zum einen ist da
die Selbstdarstellung als Wissens- und Wahrheitsträger, als Widerständiger.
Zum anderen ist da aber seine Basis aus Fans, auf denen er aufbaut. Auch
Julian Reichelt hat seine Fans mitgenommen, als er das Format [4][„Achtung,
Reichelt!“] auf Youtube startete. Mit seinen Videos polarisiert der
ehemalige Chefredakteur der Bild-Zeitung und bedient damit die Bedürfnisse
jener, die er schon vor seinem Abgang beim Springer-Verlag begeistern
konnte. Ohne seine Vergangenheit dort wäre Reichelts Kanal heute aber
vermutlich nicht halb so bekannt.
Bild, Fox News und Twitter und viele andere Social-Media-Plattformen
funktionieren auf eine ähnliche Weise: Sie packen uns an unseren Ängsten,
an unserer Wut. Dabei brauchte Fox News den charismatischen Lügner Carlson
ebenso wie der Moderator Fox News. Seine Strategie wird vermutlich auch auf
Twitter funktionieren.
11 May 2023
## LINKS
[1] /Umstrittener-US-Moderator/!5929806
[2] https://www.nytimes.com/2023/05/02/business/media/tucker-carlson-text-messa…
[3] /Vergleich-zwischen-Fox-News-und-Dominion/!5926276
[4] /Achtung-Reichelt-auf-Youtube/!5914322
## AUTOREN
Johannes Drosdowski
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