# taz.de -- Retrospektive Antonio Pietrangeli: Spott übers Frauenbild gießen | |
> Eine Retrospektive des Regisseurs Antonio Pietrangeli im Arsenal erzählt | |
> von ungerechten Geschlechterverhältnissen, aber charmant und mit guter | |
> Musik. | |
Bild: Das Spiel mit den Männern, das Bild der Frau: „Il magnifico cornuto“… | |
Ein kleiner Fiat, mit ihm durch Rom zu sausen, schien unabdingbar für die | |
Suche junger italienischer Frauen nach Unabhängigkeit in den 1950er und | |
1960er Jahren. So wichtig wie ein Stiftrock, ein lang gezogener Lidstrich | |
und der Twist, bei dem auch in enger Kleidung alle erotisierbaren | |
Körperteile in Vibration gerieten. In den Filmen von Antonio Pietrangeli | |
wird viel Auto gefahren, Party gefeiert und Twist getanzt. Tempo, Tempo. | |
Die Musik swingt oder jazzt cool, die Episoden sind oft so lang wie ein | |
Song. Schon dieser musikalische Drive macht Spaß an der Retrospektive der | |
Filme von Antonio Pietrangeli im Arsenal. | |
Die Moderne hält Einzug in Italien. Mit Hochhäusern aus Beton, | |
Kühlschränken und Fernsehern, die der Regisseur immer wieder ins Bild | |
setzt. Ein reicher Hutfabrikant baut sich eine riesige Villa und bangt | |
doch, die Hutträger könnten der Vergangenheit angehören. Die Stadt Rom ist | |
ein Versprechen, das junge Frauen und Männer ohne weiteren Plan für das | |
Leben anzieht. Zwischen ihren Heimatdörfern in der Provinz und der Stadt | |
scheint ein Abstand von Jahrzehnten zu liegen. Doch der Sprung in ein neues | |
Freiheitsversprechen wird überschattet; patriarchale Machtverhältnisse | |
holen die Aufbrechenden in kurzer Zeit ein. | |
Der Trauer um die Vergangenheit und verlorenen Glanz gilt eine Komödie, | |
eine Ausnahme in der Retrospektive: „Fantasmia a Roma“ von 1961 ist eine | |
vergnügliche Geschichte um einen alten und verarmten Prinzen, der sich | |
einen verfallenen römischen Palast mit ein paar Gespenstern teilt. Als der | |
Prinz bei der Explosion seines Heizboilers stirbt, müssen die Gespenster | |
aktiv werden, um das Haus mit den hohen Decken und Gewölben vor dem Abriss | |
zu retten. Marcello Mastroianni und Vittorio Gassmann gehören zu den | |
temperamentvollen Spukgestalten. | |
Die [1][meisten Filme des Autors und Regisseurs Pietrangeli] aber spielen | |
in modernen Architekturen; doch die neue Ausstattung des Lebens und der | |
Beziehungen gelingt nicht so leicht wie die der Wohnungen. Die Männer | |
scheitern an den verengten Narrativen in ihrem Köpfen; Pietrangeli gießt | |
reichlich Spott über ihr reduziertes Frauenbild, mit dem sie sich zum | |
Trottel machen. Aber tragischerweise bremsen sie damit auch den Aufbruch | |
der Frauen aus. | |
## Unzuverlässigkeit mit Freiheit verwechseln | |
Paolo ist „Lo Scapolo“ in einem Film von 1955. Er ist ein Aufschneider und | |
Angeber, der seine Unzuverlässigkeit mit Freiheit verwechselt, und ein | |
Feigling noch dazu. Immer überzeugt davon, dass jede Frau ihn begehrenswert | |
findet, stößt er sie reihenweise vor den Kopf und merkt nicht einmal, dass | |
sie ihm in Charakter und Bildung überlegen sind. Eine Stewardess, eine | |
Verkäuferin aus dem Kiosk, eine Angestellte aus der Wäscherei, eine | |
Studentin, eine junge Geschäftsfrau; sie alle sind fleißig, | |
abenteuerlustig, zupackend, temperamentvoll – aber dennoch darauf gepolt, | |
Mann und Familie für das Glück zu brauchen. | |
Ein zweites Prachtexemplar männlicher Ignoranz führt Pietrangeli in „Il | |
Magnifico Cornuto“ von 1964 vor. Der Hutfabrikant Andrea (Ugo Tognazzi) | |
betrügt seine Frau Maria Grazia (Claudia Cardinale) mit einer verheirateten | |
Frau. Weil das so einfach geht, kann er anschließend nicht mehr glauben, | |
dass seine Frau ihm treu ist, verfällt irren Vorstellungen, sie könnte die | |
männlichen Gäste, die ihr bei der Besichtigung der neuen Villa folgen, mit | |
einem Striptease verführen. | |
Schon wie die Filmbilder sich der Musik des Komponisten Armando Trovajoli | |
anschmiegen ist großartig, wie Claudia Cardinale in schwarzer Federboa | |
tanzt in seiner angstlustbesetzten Fantasie, und die Männer ihr wie in der | |
Revue bald zu Füßen liegen, ist hinreißend. Am Ende geht wenigstens sie | |
siegreich aus dem Gefecht mit seinen Wahnvorstellungen hervor. | |
Auch der Soundtrack von „Io la Conoscevo Bene“ von Piero Piccioni ist | |
großartig. Die junge Adriana driftet durch Träume von Aufstieg und Ruhm, | |
wechselt Männer, Frisuren und Kostüme, bezaubert alle, hält niemanden. | |
Einmal wird sie nach einem Flirt mit Freunden Zeugin eines Autounfalls, ein | |
Transporter voller unruhiger Pferde steht am Straßenrand neben einem | |
überfahrenen Radfahrer. Ab diesem Moment wartet man auf das Unglück in | |
ihrem Leben. | |
## Tragisches Ende der Geschichte | |
Doch zunächst sind [2][Modenschauen], [3][Boxkämpfe], Partys und | |
Filmaufnahmen die Schauplätze ihrer Suche nach einer eine Liebe und einer | |
Karriere. Und lange spielt sie das Spiel mit, über Kontakte zu Männern nach | |
Verbindungen zu suchen, bis sie merkt, dass ihre Offenheit und sexuelle | |
Freigiebigkeit ihr auch Verachtung eintragen. Ihre Geschichte endet | |
tragisch. | |
Dieser Film von 1965, mit dem die Retrospektive im Arsenal begann (noch mal | |
am 27. Mai) gilt als Pietrangelis Meisterwerk; wenige Jahre später | |
verunglückte er tödlich mit 49 Jahren beim Baden. Rückblickend zeichnen | |
seine Filme ein stets von Humor und Melancholie getragenes Bild einer | |
Gesellschaft. Deren alte Rollenbilder von Frau und Mann waren nicht mehr | |
haltbar, für Veränderungen fehlte aber zugleich der Mut. | |
Es sind die Frauen, die den Preis für diesen Zwiespalt zu tragen haben. Und | |
die sind in seinen Filmen alle ausgesprochen schön, sexy und witzig. Ein | |
Jammer, dass man dem schnellen italienischen Originalton im Lesen der | |
englischen Untertitelung mühsam hinterherstolpert. | |
10 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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