# taz.de -- Tag der Arbeit in Griechenland: Züge und Schiffe stehen still | |
> Die konservative Regierung Griechenlands steht in der Kritik, | |
> insbesondere bei Arbeitern. Der dortige Sparkurs trifft vor allem | |
> Geringverdiener. | |
Bild: Für mehr Lohn und ein besseres Leben auf den Straßen Athens am 1. Mai 2… | |
Athen taz | Jannis Papageorgopoulos, Mitte fünfzig, Dreitagebart, steht an | |
diesem stark bewölkten 1. Mai auf dem zentralen Athener Verfassungplatz, | |
direkt vor der „Boule der Hellenen“, dem griechischen Parlament. Der | |
Gewerkschafter lässt kein gutes Haar an der konservativen Regierung unter | |
[1][Premier Kyriakos Mitsotakis]. „Die [2][Unzufriedenheit über die | |
Regierung] ist groß. Das ist eine Regierung der Großunternehmer, nicht der | |
Arbeitnehmer“, sagt er. | |
So wie er denken viele Griechen. In Athen standen am Montag alle Züge der | |
Metro und Elektrobahn still, in ganz Hellas blieben alle Passagierfähren | |
und sonstige Schiffe in den Häfen angebunden. Zehntausende Menschen gingen | |
auf die Straße, um am Tag der Arbeit für die Rechte der Arbeitnehmer | |
einzutreten. Zu den Protesten hatten die beiden Dachgewerkschaften GSEE und | |
ADEDY aufgerufen. | |
„Wir streiken und demonstrieren für die Abschaffung aller | |
arbeitsfeindlichen Bestimmungen. Gemeinsam kämpfen wir für einen | |
Mindestlohn, der den Bedürfnissen der Arbeitnehmer entspricht, für eine | |
freie Gewerkschaftsarbeit ohne Einmischung der Arbeitgeber und für die | |
Abschaffung des Gewerkschaftsregisters, das zur staatlichen Kontrolle der | |
Gewerkschaften führt. Wir kämpfen gegen unsere Verarmung und Verelendung“, | |
erklärte das streikende Athener Metro-Personal zum 1. Mai. | |
Apropos Mindestlohn: Zum 1. April hob ihn die Regierung Mitsotakis zwar auf | |
brutto 10.920 Euro im Jahr an. Netto bleiben davon genau 9.336 Euro übrig. | |
Damit kommt man hierzulande kaum über die Runden. Ohnehin sind die | |
Lebenshaltungskosten in Athen laut dem Online-Portal numbeo.com fast so | |
hoch wie in Berlin. Grundnahrungsmittel wie Milch, Eier sowie Wasser sind | |
sogar teurer. Das zehrt an der hiesigen Kaufkraft. In der EU-27 liegt | |
Griechenland in puncto Kaufkraft der Privathaushalte auf dem vorletzten | |
Platz, nur noch vor Schlusslicht Bulgarien (Stand: 2021). Vor allem | |
einkommensschwächere Haushalte leiden unter der hohen Inflation. Sie belief | |
sich 2022 im Schnitt auf 9,6 Prozent. | |
Griechenland ist ein Land der billigen Arbeit. Im Schnitt verdiente ein | |
Single ohne Kinder in Griechenland 15.119 Euro netto pro Jahr (Stand: | |
2021). Das sind fast 10.000 Euro weniger als im EU-Durchschnitt und | |
entspricht dem Gehaltsniveau in Hellas im Jahr 2004. Ein Paar mit zwei | |
Kinder brachte im Schnitt 33.044 Euro netto nach Hause, so wenig wie 2003 | |
und gut 20.000 Euro weniger als der EU-Durchschnitt (53.397 Euro). | |
## Weniger Lohn, um Staatsschulden zu tilgen | |
Das liegt an [3][dem rigorosen Sparkurs in Athen] nach dem faktischen | |
Staatsbankrott 2010. Stichwort: „intere Abwertung“. Auf Geheiß von Hellas' | |
öffentlichen Kreditgebern EU, EZB und IWF wurden die hiesigen Löhne, | |
Gehälter und Renten um bis zu 55 Prozent gekürzt. Arbeitnehmerrechte wurden | |
zudem ausgehöhlt sowie die meisten Tarifverträge abgeschafft. Ersetzt | |
wurden sie durch Firmenvereinbarungen sowie Individualverträge – zum | |
Nachteil der Arbeitnehmer. Gegenwärtig existieren im Privatsektor gerade 26 | |
Tarifverträge. Sie decken nur etwa 25 Prozent der Beschäftigten ab. | |
Vor den Parlamentswahlen am 21. Mai überbieten sich die Parteien in Sachen | |
Wahlversprechen. Premier Mitsotakis verspricht bis 2027 den Anstieg der | |
Gehälter auf im Schnitt 1.500 Euro. Sein Herausforderer, Ex-Premier Alexis | |
Tsipras von der radikallinken Syriza, will den Mindestlohn auf 12.320 Euro | |
pro Jahr anheben und zugleich die ersten 10.000 Euro von der | |
Einkommensteuer befreien. | |
1 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ferry Batzoglou | |
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