Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Getöteter Journalist in der Ukraine: Ohne Schutzweste an der Front
> In Cherson ist ein ukrainischer Journalist von russischen Scharfschützen
> erschossen worden. Er war für ein italienisches Presseteam im Einsatz.
Bild: Nicht so sicher wie eine kugelsichere Weste: Press-Schild
Der italienische Journalist Corrado Zunino und sein ukrainischer Kollege
Bohdan Bitik berichteten am Mittwoch über die Lage im Gebiet Cherson, im
Süden der Ukraine. In der Nähe der Antoniwkabrücke, die im November 2022
beim Rückzug der russischen Truppen aus der Stadt Cherson gesprengt und im
nördlichen Bereich komplett zerstört worden war, gerieten die Journalisten
unter Beschuss. Der ukrainische Kollege starb sofort, der italienische
Korrespondent erlitt leichte Verletzungen.
Während ihrer Arbeit in Cherson besuchten die Journalisten die zerstörte
Brücke, die früher das linke und das rechte Ufer des Dnjepr-Flusses
verbunden hatte. Jetzt ist das Ufer faktisch zur Frontlinie und zu einem
der gefährlichsten Orte in der Region Cherson geworden.
Das Ufer trennt die von der ukrainischen Armee kontrollierten Gebiete am
rechten Flussufer von Gebieten am linken Flussufer, die die russische Armee
kontrolliert. Hier herrscht Dauerbeschuss – mit Artillerie, Drohnen,
Panzern, Flugzeugen und von Scharfschützen. Den Untersuchungen zufolge
erwischten die Scharfschützen die Journalisten beim Erklimmen der
Brückenreste.
Nachdem das Team von La Repubblica sich der Brücke mit dem Auto genähert
hatte, gingen Bitik und Zunino zu Fuß weiter. „Wir stiegen aus dem Auto
aus, dann hörten wir ukrainische Soldaten schreien: 'Geht weg!’“,
berichtete Zunino später. „Wir gingen sofort los, und ich hörte sie
‚Presse‘ sagen. In diesem Moment hörte ich ein zischendes Geräusch, ich
hatte das Gefühl, dass meine Schulter brennt. Dann sah ich, wie Bohdan zu
Boden fiel“. Einer vorläufigen Version zufolge durchschlug die Kugel den
Hals von Bitik und traf dann Zunino.
## Sechs Stunden tot auf der Brücke
“So, wie ich es im Kriegsvorbereitungskurs gelernt habe, verließ ich die
Beschusszone sofort – ich drehte mich kurz um und Bohdan war immer noch auf
der zerstörten Brücke. Eine halbe Stunde später wurde mir gesagt, dass er
immer noch da sei und nicht weggebracht werden könne – denn die Zone stand
unter Beschuss“, so der Journalist gegenüber La Repubblica.
Nach dem Vorfall wurde Zunino mit einer Verletzung an der rechten Schulter
zunächst in ein Krankenhaus der Stadt Cherson und dann in die Stadt Odessa
gebracht. Am Donnerstag flog der italienische Journalist nach Hause. Die
Leiche des toten ukrainischen Journalisten lag mehr als sechs Stunden lang
auf der Antoniwkabrücke und konnte erst in der Nacht zu Donnerstag geborgen
werden. Bitik hinterlässt eine Frau und einen Sohn.
Zunino zufolge hatte sein Journalistenteam zweimal eine Genehmigung für die
Arbeit in diesem Gebiet beantragt. „Wir hatten eine allgemeine Erlaubnis,
eine lokale Genehmigung. Drei ukrainische Kontrollpunkte haben wir passiert
– keiner hat uns aufgehalten, keiner hat uns untersagt, dorthin zu gehen“,
erklärt Zunino.
Gleichzeitig erklärte das ukrainische Zentrum für Strategische
Kommunikation, dass der italienische Journalist die Warnungen des
ukrainischen Militärs ignoriert habe, „als Folge wurden diese Journalisten
höchstwahrscheinlich Opfer eines Angriffs russischer Scharfschützen“. In
einer Erklärung fügt das Zentrum für Strategische Kommunikation hinzu:
“Zunino hat es versäumt, seine journalistische Tätigkeit bei den
zuständigen Presseoffizieren in der Stadt zu melden.
## „Die Russen schießen auf alle“
Vor Ort hat er die Warnungen des ukrainischen Militärs ignoriert: 'Danger,
Sir!’ riefen ihm die Soldaten zu.“ Das Zentrum weist auch darauf hin, dass
der italienische Journalist „als Gruppenleiter darauf hätte achten müssen,
dass alle Mitglieder 'Presse’-Westen mit inneren Panzerplatten tragen“. Der
Italiener habe gegen die Verhaltensregeln für Journalisten in
Kriegsgebieten verstoßen, heißt es in der Erklärung weiter.
Nach Angaben des ukrainischen Instituts für Massenkommunikation (IMI) trug
der ukrainische Journalist keine kugelsichere Weste, lediglicheine mit der
Aufschrift „Presse“. Der italienische Korrespondent trug zu dem Zeitpunkt,
wie er selbst berichtet, eine kugelsichere Weste: „Ich hatte eine blaue,
kugelsichere Weste mit einer sehr großen Aufschrift ‚Press‘. Die beiden
ukrainischen Soldaten, die uns aufforderten, zu gehen, haben sofort
verstanden, dass wir Journalisten waren. Aber die Russen schießen einfach
auf alle“.
Ungeachtet der gegebenen Umstände verurteilen das Zentrum für strategische
Kommunikation und das IMI die Verletzung und Tötung von Journalisten im
Einsatz. „Diese Situation ist ein Kriegsverbrechen der Russen gegen
Journalisten“, sagte IMI-Direktorin Oksana Romanyuk.
Zugleich forderte der Präsident der Nationalen Journalistengewerkschaft der
Ukraine, Serhiy Tomilenko, die italienischen Journalistengewerkschaften und
La Repubblica auf, für Rechte und Schutz von ukrainischen Journalisten und
Fixer als Mitglied des italienischen Medienteams zu sorgen. Nach Angaben
der IMI war Bitik der 54. Medienschaffende, der seit Beginn des russischen
Angriffskrieges in der Ukraine ums Leben kam – neun davon, während sie im
Einsatz waren. Die meisten waren Ukrainer.
Aus dem Russischen von Gemma Terés Arilla
27 Apr 2023
## AUTOREN
Anastasia Magasowa
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Kriegsverbrechen
Feinde der Pressefreiheit
GNS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Krieg in der Ukraine: Tod im Morgengrauen
Russische Truppen haben mehrere Regionen in der Ukraine unter Beschuss
genommen. Unter den Opfern sind mindestens zwei Kinder.
Ukrainische Freiwillige an der Front: Nur Idioten haben keine Angst
In der Ukraine kämpfen auch Polizeieinheiten gegen die Invasoren. Eine
Gruppe der Kyjiwer Polizei kümmert sich in der Ostukraine um befreite
Dörfer.
Krieg in der Ukraine: Espresso an der Front
Soldaten sind Ex-Zivilisten, die sich ihres individuellen Seins versichern.
Und sei es mit einem Espresso. Ein Text des Schriftstellers Andriy Lyubka.
Reporter*innen in der Ukraine: Mensch bleiben
Ukrainische Journalist*innen berichten – sind aber auch Bürger*innen
ihres Landes. Vier von ihnen reflektieren über zwei Monate Krieg.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.