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# taz.de -- Die Wahrheit: Bettwanzen willkommen!
> Neue Angebote für Übernachtungen in Insektenhotels. Der große Ansturm der
> schwirrenden Gäste kann kommen. Ein Saisonvorbericht.
Bild: Einladend liegt es da, das Insektenhotel
„Hören Sie mal, wie das Geschäft brummt!“ Hagen Sternburg, Geschäftsfüh…
des Dorint Ganglion Plaza in Bienenbüttel summt freudig erregt. Denn in
den Insektenhotels des Landes stellen sich mit den steigenden Temperaturen
endlich die sehnlich erwarteten Gäste ein. Ob familienbetriebene Pension,
der Landgasthof Zur Goldenen Grille oder Luxuskette à la Best Wespern:
Überall sirrt und surrt es geschäftig, werden Einfluglöcher gewienert,
Insektenportiers geschult und Nektarbars bestückt, um für den großen
Ansturm gewappnet zu sein.
Erstaunlich, dass der Hotelmanager unter diesen Umständen noch geduldig auf
den Journalisten des Insektenreisemagazins Fernfühler eingeht. Ausführlich
beantwortet der 47-tägige Hausbock unsere Fragen. Immerhin war selbst der
Begriff „Insektenhotel“ bis vor wenigen Jahren kaum geläufig. Reisende
Insekten, egal ob in Geschäften, touristisch oder auf Paarungsflug
unterwegs, mussten irgendwo in der freien Natur, Erdlöchern oder dafür
ungeeigneten menschlichen Behausungen übernachten.
Das ist heute zum Glück unvorstellbar. Die Kapazität der Insektenhotels
beträgt allein in Deutschland mittlerweile siebzehn Trilliarden
Gästebetten. Doch die ist auch nötig, denn der Anteil der kurzzeitreisenden
Kerbtiere ist hoch. „Was wir nicht so gerne haben, sind größere
Reisegruppen von Eintagsfliegen“, gibt Sternburg ehrlich zu. „Ein
Insektenhotel ist schließlich kein Stundenhotel. Je mehr Eintagsfliegen
kommen, desto öfter müssen die Zimmer vorbereitet werden. Das bedeutet dann
viel mehr Arbeit für unsere Stubenfliegen.“
Er unterbricht kurz das Gespräch, um einem Gast zu helfen. „Die
Schmeißfliegen fragen ständig nach dem Klo“, erklärt er entschuldigend und
fährt fort: „Natürlich sind uns Gäste lieber, die auch mal länger
übernachten. Gerade Puppen und Engerlinge haben wir sehr gerne hier. Ruhige
Gäste, die dauerhaft bleiben, und wenig Ärger machen. Eine Maikäferlarve
namens Udo Lindenberg lebt schon vier Jahre bei uns in der Madensuite.“
## Schwierige Gäste
Solche Kunden sind ein angenehmer Kontrast zu den eher schwierigen
Kandidaten. Exemplarisch nennt der Gastronom Termiten, die regelmäßig ihre
Zimmer verwüsten, und Wespen, die sich schon vor der Freigabe des
Frühstücksbuffets über die Auslagen hermachen. Heuschrecken wiederum seien
dafür berüchtigt, oft unangemeldet in riesigen Gruppen einzufallen. Und
Zikaden sind für lärmempfindliche Zimmernachbarn ein ebenso großes Ärgernis
wie Bienen, die im Stock darüber trampelnd neue Tanzschritte einüben.
„Vergleichsweise harmlos“, schnarrt Hagen Sternburg und muss nun doch ein
wenig grinsen, „sind die Nacktschnecken, die nach dem Besuch der Hotelsauna
ohne Bademantel über die Hotelflure kriechen. Da beschweren sich eigentlich
nur die Nonnenfalter und die Gottesanbeterinnen.“
Doch auch die individuellen Bedürfnisse gewöhnlicher Gäste sind logistisch
harte Nüsse. „Es gibt so viele Sonderwünsche wie es Insektenarten gibt.
Also unglaublich viele.“ Sternburg senkt die Stimme, ehe er weiter zirpt.
„Ich muss sagen, so leidvoll es auch für die Betroffenen ist: Das
gegenwärtige Insektensterben kommt uns im Gastgewerbe organisatorisch schon
zupass. Unter den herkömmlichen Bedingungen war es oft leider kaum möglich,
im Hotelalltag ausreichend auf die Forderungen des einzelnen Gastes
einzugehen.“
Er zählt auf: „Die Hausstaubmilben wollen keine Bettdecken; denen genügt
ein Kopfkissen. Flöhe wollen in einem fort unterhalten werden und verlangen
täglich grundgereinigte Mundwerkzeuge. Den Fruchtfliegen musst du jeden Tag
einen frischen Obstteller reinstellen, und die Käfer bestehen darauf, dass
ihre Mahlzeiten ausschließlich von Feinkost Käfer geliefert werden. Heikel
wird es auch, wenn Ameisen- und Bienenkönigin gleichzeitig buchen, weil wir
nur eine Fürstensuite haben. Da kann es passieren, dass wir eine unserer
besten Kundinnen an ein anderes Haus verlieren. Auf der anderen Seite
mindert das Großaufgebot an Sicherheitsbeamten den Komfort für die übrigen
Gäste. Alles hat immer zwei Seiten.“
Doch insgesamt, so hören wir, kommen die verschiedenen Arten erstaunlich
gut miteinander aus, sofern sie einander nicht gerade auffressen, aussaugen
oder abstechen. Für Insekten sind Toleranz und Diversität keine
Fremdwörter, diese Werte werden auch aktiv gelebt. So stört sich niemand
hier an Bettwanzen. Solange die keine Handtücher klauen oder die Minibar
heimlich mit Wasser oder Blut auffüllen, sind sie gern gesehene Gäste.
## Genügsame Gäste
Auch lässt sich in Insektenhotels das Souterrain hervorragend nutzen;
Kakerlaken und Silberfischchen prügeln sich fast um die Zimmer dort. Oft
ist das Untergeschoss, das man menschlichen Gästen gar nicht erst
anzubieten bräuchte, schon früh im Jahr komplett ausgebucht. „Wir Insekten
sind ohnehin genügsamer. Wer weiß, wie kurz das Leben ist, verschwendet die
kostbare Zeit eben weniger mit kleinlichem Genörgel. Ausnahmen bestätigen
die Regel.“
Man spürt, dass der Hausbock seine Gäste liebt. Eine Plage für ordentliche
Insektenhoteliers wie ihn sind hingegen wilde Wirtstiere, die
unzertifizierte Unterkünfte betreiben: die sogenannten Läusepensionen. Denn
es sind vor allem die notorisch klammen und unbedarften Läuse, die auf
derlei unseriöse Angebote hereinfallen. Speziell Filzläuse finden sich dann
nicht selten in entwürdigenden Unterbringungssituationen wieder. Sternburg
bemerkt korrekt: „In einem Haus des Insektenhotelverbandes wäre das nicht
passiert. Aber manche werden offenbar immer erst durch Schaden klug.“
Eine weitere Herausforderung besteht in Marktgiganten wie Holyday Innsect
mit ihren einfallslosen Standardzimmern mit Wildbieneninventar,
Ohrwurmquartier und Florfliegenkasten, oder auch die auf montagesreisende
Motten spezialisierte Kette Mottel One. „Hoffentlich überleben wir deren
Preisdumping – dreimal auf Chitin geklopft.“
Unser Gesprächspartner wird nun doch ein wenig unruhig. Auch ist draußen
gerade ein Reisebus mit Zecken angekommen. „Und jetzt schwirren Sie ab“,
summt er. „Ich muss arbeiten!“ Ich breite meine Hautflügel aus, und mache
mich auf den Flug in die Redaktion.
26 Apr 2023
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
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