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# taz.de -- Bettwanzen in Paris: Sie ist wieder da
> Sie wäre gar nicht so schlimm, wenn ihre Bisse nicht so penetrant jucken
> würden: die Bettwanze. Paris fürchtet nun zum Welt-Wanzen-Hub zu werden.
Bild: Achtung, juckt!
Immer diese Bettgeschichten in der französischen Politik! Dabei kann man
den Hauptbeteiligten in diesem Fall nun wirklich keine mangelnde Diskretion
vorwerfen. Denn die Bettwanzen, um die es geht, tun alles, um nicht
aufzufallen. Die als erwachsene Tiere einen halben Zentimeter großen
Schnabelkerfe – klingt doch viel besser als Wanzen! – sind wahre Meister
darin, sich zu verbergen.
Sie sind flach wie Papier und können sich selbst in die schmalsten Ritzen
von Möbelstücken, unter Türleisten oder hinter Tapeten quetschen, was ihnen
den etwas überraschenden Kosenamen „Tapetenflunder“ eingebracht hat. Sie
richten kaum direkten Schaden an und übertragen keine Krankheiten, aber wir
müssen über ihre Ernährung sprechen: Sie saugen Blut. Am liebsten
menschliches.
Wenn der große Hunger kommt, krabbeln sie nachts aus ihren Verstecken und
steigen zu uns ins Bett. Dort stechen sie dann an irgendeiner gerade nahe
gelegenen Körperstelle zu, wobei ein Lokalanästhetikum in ihrem Speichel
dafür sorgt, dass wir in unseren Träumen nicht gestört werden. Dann lassen
sie sich bis zu zehn Minuten lang ordentlich volllaufen und sind danach
wieder verschwunden.
Der Blutverlust wäre auch bei massivem Befall zu verkraften, aber
blöderweise jucken die Einstichstellen zumindest bei einem Teil der Opfer
meist Tage später, und je öfter wir als Wanzentankstelle herhalten, desto
früher und kräftiger fällt die Reaktion aus. Oder um es mit Frankreichs
Gesundheitsminister Aurélien Rousseau zu sagen: „Wenn Sie Bettwanzen haben,
ist das die Hölle.“
## Klickmonster im TGV
[1][In Paris haben gerade sehr viele Menschen Bettwanzen], weshalb die
Tierchen nun zum Politikum geworden sind. Es herrscht Aufregung in den
sozialen Medien, seit dort Videos von über TGV-Sitze krabbelnden und in
Kinosesseln lauernden Kerfen die Runde machen und Klickzahlen generieren
wie sonst höchstens [2][ASMR-Influencerinnen] oder [3][Unboxing]-Kinder.
So wurden die Bettwanzen Gegenstand der Debatte der Nationalversammlung,
bei der die linkspopulistische Abgeordnete Mathilde Panot im Plenarsaal
nicht nur mit einer Kiste der Plagegeister herumwedelte, sondern auch freie
Desinfektionen für alle forderte, während die Regierung versprach, die
Tiere im Dezember mit einer Gesetzesvorlage zur Strecke zu bringen. Alle
eint die Sorge davor, dass die nächstes Jahr in Frankreich stattfindenden
Olympischen Spiele blutig enden könnten und Paris zum weltgrößten
Wanzen-Hub wird.
Dabei galten Bettwanzen in Europa eigentlich längst als mehr oder weniger
erledigt. Seit einigen Jahren legen sie aber ein furioses Comeback hin. Die
üblichen Verdächtigen machen natürlich wieder die Migration dafür
verantwortlich, aber tatsächlich verbreiten die Tiere sich über die Betten
von Luxus-Hotels genauso effizient wie über die in Sammelunterkünften. Mit
mangelnder Hygiene hat ihre Ausbreitung nichts zu tun, dafür aber mit
Mobilität und auch mit Ebay und „Zu verschenken“-Kisten, denn der Trend zum
Secondhand kommt ihnen als praktische Mitfahrgelegenheit sehr entgegen.
Aber letztlich sind all das nur Symptome, die Wanzen fänden so oder so
ihren Weg, auch wenn die Leute nur noch im Weserbergland wanderten und
ausschließlich farbrikneue Billy-Regale aufstellten. Ihr zwischenzeitlicher
Rückgang nach dem Zweiten Weltkrieg verdankte sich der flächendeckenden
Anwendung von DDT und anderen Insektiziden. Und ehe jetzt jemand deren
Wiederausbringung fordert: Die eigentliche Ursache ihres neuerlichen
Siegeszugs ist, dass die Wanzen inzwischen resistent gegen allerlei
Wirkstoffe geworden sind. Je mehr wir sinnlos sprühen, desto zäher werden
die Blutsauger.
Das freut Kammerjäger wie Kammerjägerin, denn eine Bekämpfung der
Plagegeister auf eigene Faust ist sinnlos und im Zweifel sogar
gesundheitsgefährdend durch unsachgemäßen Einsatz von Giften. Da müssen
Profis ran, was nicht nur zeitaufwendig ist und Nerven, sondern auch viel
Geld kostet. Am Ende bleibt es wohl ein steter Wettlauf zwischen Mensch und
Wanze, und es nicht schwer zu prognostizieren, wer am Ende eben doch immer
eine Stechrüssellänge vorne liegen wird.
10 Oct 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Heiko Werning
## TAGS
Wanzen
Paris
Insekten
Schwerpunkt Pestizide
Nachtzüge
Kolumne Stadtgespräch
Wildtiere
Insekten
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