| # taz.de -- FAQ zu Naturweinen: Das Vollkornbrot unter den Weinen | |
| > Naturweine werden immer beliebter. Doch kaum jemand kann genau sagen, was | |
| > sie ausmacht. Unsere Autorin klärt auf und probiert sich durchs | |
| > Sortiment. | |
| Bild: Der Anbau erfolgt „ohne synthetische Mittel, biologisch, biodynamisch, … | |
| Früher ging es bei der Weinauswahl um die Frage: Rot oder weiß? [1][Um die | |
| Rebsorte, das Land und vielleicht noch den Jahrgang.] In den letzten Jahren | |
| kam ein neues Kriterium hinzu: Klassisch oder Naturwein? Doch was diesen | |
| auszeichnet, das können selbst begeisterte Naturwein-Trinker*innen nur | |
| selten erklären. Vielleicht sorgt der Besuch eines Naturweinshops für | |
| Klarheit. | |
| ## 1. Seit wann gibt es den Begriff „Naturwein“? | |
| Den Begriff gibt es schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Sauer geratene | |
| Weine wurden damals oft mit Zucker gesüßt. Um sich davon abzugrenzen, | |
| gründete sich 1910 der Verband Deutscher Naturweinversteigerer. Sie | |
| verkauften ausschließlich Spitzenweine aus Toplagen. Mit der Novellierung | |
| des Weingesetzes Anfang der 1970er wurde der Begriff Naturwein durch | |
| Prädikatswein ersetzt. Doch der hat mit dem heutigen Naturwein nichts zu | |
| tun. Die moderne Naturweinbewegung hat ihre Wurzeln im biodynamischen | |
| Weinbau. Im Kern geht es um naturnahes Arbeiten. Natur und Handarbeit statt | |
| künstlicher Zusatzstoffe und Technik. | |
| ## 2. Ist Naturwein das Gleiche wie Biowein? | |
| [2][Der Begriff Naturwein ist nicht geschützt.] Laut dem Naturweinverein | |
| Naturknall muss der Anbau „ohne synthetische Mittel, biologisch, | |
| biodynamisch, mit oder ohne Label“ erfolgen. Manch einem geht diese | |
| Definition nicht weit genug. Biodynamische Weine müsse wesentlich strengere | |
| Anforderungen erfüllen als jene mit Biosiegel. Einige Winzer verzichten | |
| vollständig auf die langwierige Zertifizierung. | |
| Grundsätzlich gilt: Jeder biologisch angebaute Wein ist ein Naturwein, aber | |
| nicht jeder Naturwein ist biozertifiziert. Ferdinand Boeselager, Sommelier | |
| und Naturwein-Experte, fasst es so zusammen: „Der Winzer macht so wenig wie | |
| nötig, die Natur so viel wie möglich.“ Der 36-Jährige arbeitet bei | |
| Viniculture, einer der ersten auf Naturwein spezialisierten Fachhandlungen | |
| Berlins – und damit auch des Landes. | |
| ## 3. Ist Naturwein ein reines Großstadtphänomen? | |
| Fakt ist: In Berlin schafften es Naturweine als Erstes auf die Karte. | |
| Richtig los, sagt Boeselager, ging es mit der RAW – der weltweit führenden | |
| Messe für Naturwein, die 2015 erstmals in Berlin stattfand. Dennoch: | |
| Begonnen hat es nicht in der Großstadt, sondern weit draußen, in den | |
| Weinbergen der Provinz. Mit Winzern wie Peter Bernhard Kühn, die klassische | |
| Anbaumethoden hinterfragten und wieder mehr mit der Natur arbeiten wollten. | |
| Als der Rheingauer Winzer vor mehr als 20 Jahren damit anfing, sei er | |
| ausgelacht worden, erzählt Boeselagers Kollege Philipp Deutsch. „Heute ist | |
| es andersrum: Alle wollen Naturwein machen.“ Unter Weintrinkern aber hat er | |
| – abseits der Großstädte – noch immer mit Vorurteilen zu kämpfen: Zu | |
| muffig, zu experimentell und trüb wie Apfelsaft aus dem Reformhaus sei | |
| der. | |
| ## 4. Ist Naturwein immer funky und trüb? | |
| „Naturwein kann auch klassisch“, sagt Boeselager und schenkt einen | |
| Grauburgunder aus biodynamischem Anbau aus. Schaut aus wie ein „normaler“ | |
| Wein. Er ist hellgelb und ungetrübt, schmeckt geschmeidig. „Hier zeigt | |
| sich, was Naturwein auch kann: Verständlich sein, präzise, klar.“ Dennoch | |
| verzichten viele Winzer bewusst auf die Filtration. Nach den Gründen | |
| gefragt, schenkt Boeselager ein zweites Glas ein: Selbe Rebsorte, diesmal | |
| aber unfiltriert. „Der hat ein ganz anderes Mundgefühl“, schwärmt er, | |
| „mehr Viskosität, mehr Aromatik.“ Der Wein riecht deutlich intensiver – | |
| nach Sauerteigbrot und Most. Und – im Gegensatz zum Ersten – ist er | |
| komplett ungeschwefelt. | |
| ## 5. Welche Rolle spielt Schwefel bei Naturwein? | |
| Der Vermerk „ungeschwefelt“ dient vielen als Orientierung beim | |
| Naturweinkauf. Schwefel dient dazu, die Gärung kontrolliert zu stoppen und | |
| den Wein zu stabilisieren. Da es bei Naturwein um natürliche Prozesse geht, | |
| verzichten viele Winzer auf die Zugabe von Schwefel. Grundsätzlich aber | |
| sind geringe Mengen selbst im biodynamischen Weinbau erlaubt. Auch durch | |
| die natürliche Vergärung entsteht Schwefel. Da der Stoff ab 11 Milligramm | |
| pro Liter deklarierungspflichtig ist, findet sich der Zusatz „enthält | |
| Sulfite“ mitunter auch auf Wein, dem keinerlei Schwefel zugesetzt wurde. | |
| ## 6. Was bedeutet „spontanvergoren“? | |
| Noch so ein Wort, das häufig fällt. Für die Vergärung von süßem Saft zu | |
| Alkohol braucht es Hefen. Im klassischem Weinbau werden Reinzuchthefen | |
| zugesetzt – gezielt gezüchtet, um Geschmack und Vergärung zu kontrollieren. | |
| Im Naturweinbau setzt man auf natürliche Hefen, die in der Umgebung | |
| vorkommen: „Wir atmen gerade auch Hefen ein“, sagt Boeselager. Wer mit | |
| Spontanvergärung, mit der Natur arbeitet, braucht Vertrauen und auch ein | |
| wenig Mut. Der Lohn: Weine, die überraschender, kantiger und oft auch etwas | |
| wilder seien. | |
| ## 7. Was hat es mit Orangeweinen auf sich? | |
| Kurz gesagt sind es Weißweine, die wie Rotwein gemacht werden. Nach dem | |
| Pressen werden die Trauben – gemeinsam mit den farbintensiven Schalen – in | |
| der Maische vergoren. Macht man dies mit weißen Trauben, wird der Wein | |
| dunkelgelb bis orangefarben. Nicht jeder Orange- ist automatisch ein | |
| Naturwein. Entscheidend ist, wie die Trauben angebaut und verarbeitet | |
| wurden. Viele Naturweinwinzer aber nutzen Maischevergärung (produzieren | |
| also Orangeweine), da sich in der Schale nicht nur Farb- sondern auch viele | |
| Mineral- und Aromastoffe befinden. | |
| Dadurch entstehen Weine, bei denen man die Umwelt, das Terroir, erschmecken | |
| kann. So wie bei dem bernsteinfarbenen Italiener, den Boeselager | |
| eingeschenkt hat. „Da passiert richtig viel. Als hätte man gerade ein | |
| Kräuterbeet abgemäht.“ Im Vergleich dazu riecht der erste Wein | |
| (biodynamisch, filtriert und geschwefelt) wie ein milder Saft. Ähnlich groß | |
| der Unterschied im Geschmack. Der orangefarbene ist würzig und kräftig, | |
| fast wie ein alter Rotwein. | |
| ## 8. Kann man Naturwein lagern? | |
| Der Experte antwortet mit einer Gegenfrage: „Was denkst du, welchen | |
| Jahrgang wir gerade getrunken haben?“ Auflösung: 2016. Dass man Naturweine | |
| nicht lagern könne, sei „absoluter Schwachsinn“. Wenn der Wein jetzt schon | |
| voller Geschmack und Komplexität steckt, dann wird das in zehn Jahren | |
| noch viel stärker rauskommen, ist er überzeugt. | |
| ## 9. Welche Länder haben die spannendste Naturweinszene? | |
| In Frankreich wie auch in Italien spielt der naturnahe Weinbau seit jeher | |
| eine große Rolle. [3][Die interessantesten Weine aber, meint Boeselager, | |
| kommen derzeit aus Ländern, „die man gar nicht auf dem Schirm hat“.] | |
| Griechenland – „leider unterschätzt“. Tschechien – „tolle Sachen, di… | |
| entstehen“. Auch Georgien hat den Naturwein (wieder)entdeckt. Das Land gilt | |
| als Wiege des Weinbaus. Schon vor rund 8.000 Jahren wurde Traubensaft in | |
| Tonamphoren vergoren. Die Methode wird bis heute genutzt und findet nun – | |
| im Zuge der Naturweinbewegung – auch international Beachtung. | |
| ## 10. Wie kombiniere ich Naturwein mit Essen? | |
| Weiß zu Fisch, Rot zu Fleisch – die alten Regeln seien „zum Glück | |
| überholt“, sagt Boeselager. Das gilt bei Naturwein umso mehr. Ein | |
| Orangewein kann es problemlos mit einem deftigen Fleischgericht aufnehmen, | |
| ein leicht gekühlter Roter passt wunderbar zu Spargelsalat oder kräftigem | |
| Fisch. Gekühlter Rotwein? Auch was die Temperatur betrifft, ist bei | |
| Naturwein vieles anders. Fruchtige, leichte Rote könne man mitunter bei 9 | |
| bis11 Grad servieren. | |
| ## 11. Wie viel kostet so ein Naturwein? | |
| Ein Winzer, der Naturwein macht, muss viel häufiger in den Weinberg, sagt | |
| Boeselager. Die Reben wachsen langsamer, die Erträge sind geringer. Das | |
| hat seinen Preis. Wer sich maßgefertigte Stiefel vom Schuster machen lasse, | |
| müsse auch mehr Geld hinlegen, sagt Boeselager. Ganz so viel müssen | |
| Naturweinliebhaber*innen nicht investieren. Eine gute Flasche sei | |
| schon ab 10 Euro zu haben. | |
| 16 Apr 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Verena C. Mayer | |
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