# taz.de -- Proteste in Frankreich: Macron reformiert – um jeden Preis | |
> Der französische Präsident ist durch die unbeliebte Rentenreform | |
> angeschlagen. Davon profitiert vor allem die Rechtspopulistin Marine Le | |
> Pen. | |
Bild: Proteste gegen Macrons Rentenreform in Bordeaux am 28. März | |
Paris taz | Die malerische Kulisse war mit Bedacht gewählt. Die | |
schneebedeckten Berge und der türkisblaue See in Savines-le-Lac sollten von | |
den Protesten gegen die Rentenreform ablenken. Vom [1][Müll], der sich | |
wochenlang in Paris und anderen Großstädten stapelte, und von der | |
[2][Gewalt zwischen Demonstrierenden und der Polize]i. Doch so ganz wurde | |
Staatspräsident Emmanuel Macron beim Besuch in den französischen Alpen vor | |
wenigen Tagen das Rententhema nicht los. Dutzende Menschen versammelten | |
sich vor seiner Ankunft, um lautstark seinen Rücktritt zu fordern. | |
Ein Jahr nach seiner mühsamen Wiederwahl gegen die Rechtspopulistin Marine | |
Le Pen ist der Staatschef unbeliebt wie nie. Nur noch 28 Prozent haben laut | |
einer Ende März veröffentlichten Umfrage eine gute Meinung vom Präsidenten | |
– 6 Prozentpunkte weniger als im Vormonat. Und seine Partei Renaissance | |
würde im Fall vorgezogener Parlamentswahlen deutlich verlieren. | |
Macron hat sich den Einbruch selbst zuzuschreiben: Als klar wurde, dass | |
seine Reform in der Nationalversammlung keine Mehrheit bekommen würde, | |
[3][aktivierte er den Verfassungsartikel 49.3], der eine Durchsetzung ohne | |
Abstimmung am Parlament vorbei ermöglicht. Das Misstrauensvotum, das damit | |
verbunden war, gewann das Regierungslager nur ganz knapp mit neun Stimmen. | |
Das Manöver des Präsidenten fachte die Wut der Menschen, die seit Wochen | |
gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre auf die | |
Straße gehen, noch an. Unterstreicht es doch den Vorwurf, der 45-Jährige | |
führe sein Land autoritär und selbstherrlich. | |
## Macron fehlt die Mehrheit in der Nationalversammlung | |
Seit den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr fehlt Macron die absolute | |
Mehrheit in der Nationalversammlung. Und auf die konservativen Républicains | |
kann sich der Präsident nicht verlassen, da die Fraktion selbst gespalten | |
ist. Auch die Linksallianz Nupes gab in der Rentenreform ein schlechtes | |
Bild ab: Ihre Abgeordneten blockierten mit Tausenden Änderungsanträgen die | |
parlamentarische Debatte und sorgten mit Zwischenrufen und Gesängen für | |
Chaos in der Assemblée Nationale. | |
Profitieren konnte lediglich die [4][Rechtspopulistin Marine Le Pen]. Als | |
die Regierung auf den Verfassungsartikel 49.3 zugriff, war für die | |
Oppositionschefin die Stunde der Abrechnung gekommen. „Das ist ein völliges | |
Scheitern von Emmanuel Macron“, tönte die 54-Jährige. Macron hatte die | |
Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr mit 58,5 zu 41,5 Prozent gegen Le | |
Pen gewonnen. Viele, die ihn damals wählten, wollten vor allem die Tochter | |
des mehrfach wegen Rassismus und Antisemitismus verurteilten Jean-Marie Le | |
Pen als Staatschefin verhindern. | |
Damals versprach Macron einen neuen Stil, der die Bürgerinnen und Bürger | |
mehr einbeziehen solle. Die Brutalität, mit der er die Rentenreform | |
durchsetzt, zeugt vom Gegenteil. „Die extreme Rechte wird gestärkt aus der | |
Reform hervorgehen“, sagt der Soziologe Jean Viard. Die Regierung habe es | |
nicht geschafft, die Menschen von ihrem Vorhaben zu überzeugen. | |
Die Beliebtheit Le Pens ist im Zuge der Rentenreform deutlich gestiegen. | |
Inzwischen rangiert die Juristin auf Platz zwei hinter Ex-Regierungschef | |
Édouard Philippe, der selbst sagt, dass Le Pen die Favoritin für die | |
Präsidentschaftswahlen 2027 sei. | |
## Macrons Reformeifer stoppten 2018 die Gelbwesten | |
Macron kann dann nicht mehr gewählt werden, weil er bereits zwei Amtszeiten | |
hinter sich hat. Doch er droht ein gespaltenes Land zu hinterlassen. 2017 | |
als Reformer angetreten, schien ihm vieles zu gelingen: Er setzte die | |
Bahnreform durch und reformierte das Arbeitsrecht. Doch die | |
[5][Gelbwestenproteste] stoppten 2018 seinen Elan und legten den Graben | |
zwischen den Eliten und dem Volk offen. Dieser bricht nun mit der | |
Rentenreform wieder auf. Denn die Rente mit 64 trifft vor allem diejenigen, | |
die wenig verdienen und früh angefangen haben zu arbeiten. | |
Doch für Macron ist die Reform das zentrale Projekt seiner zweiten | |
Amtszeit. Mit ihr will er nicht nur in Frankreich, sondern auch im Ausland | |
zeigen, dass er noch reformieren kann. Kompromissvorschläge der gemäßigten | |
Gewerkschaft CFDT lehnt er deshalb ab. Die Sturheit, mit der er sein | |
Projekt vorantreibt, sorgt inzwischen sogar in den eigenen Reihen für | |
Verwunderung. | |
Die Devise des zunehmend isolierten Präsidenten scheint zu lauten: | |
reformieren um jeden Preis. | |
3 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/paris-muell-103.html | |
[2] /Proteste-in-Frankreich/!5921714 | |
[3] /Macrons-Rentenreform/!5922548 | |
[4] /Le-Pens-Klientel/!5847219 | |
[5] /Prozess-gegen-Gelbwesten-in-Frankreich/!5756894 | |
## AUTOREN | |
Christine Longin | |
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