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# taz.de -- Gewerkschafter über Streik in Frankreich: „Politikern den Strom …
> Gewerkschafter wie Mathieu Pineau setzen gegen die Rentenreform auf
> unkonventionelle Methoden. Sein Ziel: Unternehmen sollen sich gegen
> Macron stellen.
Bild: Mathieu Pineau spricht mit den Arbeitern von TotalEnergies in Donges
taz: Herr Pineau, Sie streiken aus Protest gegen die von Präsident Emmanuel
Macron durchgesetzte [1][Rentenreform]. Sie sind leitender Angestellter bei
Electricité de France (EdF), der staatlich dominierten französischen
Elektrizitätsgesellschaft. Wie äußert sich Ihr Streik?
Mathieu Pineau: Wir, die bei EdF streiken, haben in unserem Departement
(ähnlich eines Landkreises; Anm. d. Red.) bei prekären Haushalten den Strom
wieder angestellt – Menschen, die ihre Rechnung nicht mehr bezahlen konnten
und denen der Strom vom Anbieter abgestellt worden war. Bei gemeinnützigen
Organisationen haben wir teilweise gratis Strom fließen lassen.
Wie funktioniert das?
Wir stoppen den Stromzähler. Dann fließt Strom, aber das landet nicht auf
der Rechnung. Bei manchen Kitas haben wir so dafür gesorgt, dass sie nur
ein Drittel ihres Verbrauchs zahlen müssen. Dem Senator Bruno Rétailleau
hingegen haben wir den Strom gedrosselt.
Ein Konservativer von den Republikanern, der die Rentenreform verteidigt
hat …
Genau. Und wir haben neulich einen Windpark vom Stromnetz abgekoppelt. Die
Anbieter müssen den Strom dann woanders finden, oft sind sie gezwungen, ihn
teuer zu importieren. Dasselbe passiert, wenn wir Gas- oder Kohlekraftwerke
vom Netz in unserem Gebiet abschneiden, wie in der Gemeinde Cordemais zum
Beispiel. Das Stromnetz ist dadurch geschädigt.
Und das alles, damit die Regierung die umstrittene Rentenreform
zurücknimmt? In Deutschland ist die Vehemenz dieser Proteste schwer
fassbar: Das Renteneintrittsalter soll von 62 auf 64 Jahre erhöht werden.
Hier arbeiten die meisten Menschen bis 67, und kaum jemand beschwert sich.
Frankreich hat gerade 413 Milliarden Euro in die Aufrüstung gesteckt,
angeblich um sich für [2][Kriege zu rüsten]. Andererseits könnten in fünf,
sechs Jahren etwa sieben Milliarden Euro für die Renten fehlen. Der Staat
hat kürzlich 150 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern an die 40 größten
Unternehmen Frankreichs gegeben, die ohnehin einen netto Jahresüberschuss
von 80 Milliarden Euro gemacht haben – das sind Rekordbeträge! Wir haben 43
Milliardäre in Frankreich, die gemeinsam 500 Milliarden Euro besitzen. Es
gibt Steuerbetrug und Steuerflucht, was einen Verlust für die Staatskassen
von 100 bis 140 Milliarden Euro jährlich bedeutet. Und jetzt fordert man
von den Franzosen, dass sie den Gürtel enger schnallen und zwei Jahre mehr
arbeiten sollen? Weil jährlich ein paar Milliarden Euro für die
Rentenauszahlungen fehlen könnten? Das ist einfach inakzeptabel.
Das gilt wohl besonders für physisch anstrengende Berufe.
Wir haben haufenweise Berichte von Leuten, die schon mit 55 Jahren völlig
fertig sind. Wenn man Fliesenleger ist, Maurer, wenn man als Dockarbeiter
Container entlädt, wenn man als Schichtarbeiter in Stromzentralen oder
Gasterminals arbeitet oder in Raffinerien, dann bekommen wir im Laufe
unseres Berufslebens einfach kaputte Rücken und Füße. Unsere
Lebenserwartung ist zehn bis 15 Jahre geringer als die von Menschen, die
körperlich weniger hart arbeiten. Erklären Sie mal Leuten, die eine
Lebenserwartung von 62 oder 63 Jahren haben, dass sie bis 64 arbeiten
sollen! Irgendwann reicht’s halt.
An vielen blockierten Streikposten greift die Polizei mittlerweile ein. Wie
ist es bei Ihnen im Département Loire Atlantique an der französischen
Atlantikküste?
In einer Ölraffinerie in Donges wurden die Angestellten festgenommen. Beim
Öldepot hier wurden die Proteste drei Mal aufgelöst – aber wenn die
Ordnungskräfte weg sind, kommen wir wieder und blockieren den Zugang zum
Tank.
Sie sagen „wir“, aber Sie sind bei der EdF, und nicht Angestellter des
Öldepots?
Hier in der Region gibt es eine berufsübergreifende Solidarität zwischen
den Streikenden. Wenn es um die Blockade eines Gasterminals geht, sind oft
Raffinerieangestellte, Elektriker und Hafenarbeiter dabei. Bei manchen
Blockaden des erwähnten Öldepots kamen auch Lehrer, Gesundheitspersonal und
Eisenbahner. Man ist solidarisch mit anderen streikenden Sektoren.
Was erhoffen Sie sich von dem Streik?
Ziel muss sein, die Wirtschaft und die Großunternehmen in Bedrängnis
bringen. Wir wollen, dass die Menschen, die an der Spitze solcher
Unternehmen stehen, Macron dazu auffordern, seine Rentenreform
zurückzunehmen. Auf die wird er hören.
Amnesty International und der Europa-Rat haben die [3][„exzessive
Polizeigewalt“] gegen die Protestierenden und Streikenden in Frankreich
kritisiert. Haben Sie das erlebt?
Klar. Als wir vom Öldepot geräumt wurden, haben wir die ganze Ladung
abbekommen: Knüppel, Gummigeschosse, Tränengasgranaten. Allerdings gab es
die letzten Male die Situation, dass die Ordnungskräfte zwar eingreifen
sollten – sie haben dann aber ihre Helme abgenommen, um zu zeigen, dass sie
unserem Kampf zustimmen. Die haben ja auch Familie und wollen nicht, dass
Menschen aus ihrer Familie bis 64 arbeiten müssen, erst recht nicht aus
angeblichen Kostengründen, wo wir überhaupt kein Finanzproblem haben.
Die Polizeikräfte werden also zu Verbündeten?
Nicht wirklich – sie sind immer noch nicht im Streik und auch nicht
komplett auf unserer Seite. Aber klar, wenn sie ihre Helme abnehmen, wenn
sie uns unvermummt gegenübertreten, dann schafft das eine andere
Umgangsform. Was der Regierung zurückgespiegelt ist wird: Sogar eure
Ordnungskräfte zeigen euch, dass auch sie die Rentenreform nicht wollen.
Der Streik dauert schon drei Monate. Ihre Gewerkschaft CGT hat
frankreichweit etwa 2,6 Millionen Euro Spenden für die „Streikkasse“
gesammelt. Reicht das?
Hier in unserem Département haben bisher nur die Putzfrauen Hilfe
angefragt: Denen hat die CGT ihre Streikstunden bezahlt. Denn die Zeit, in
der gestreikt wird, wird in Frankreich vom Lohn abgezogen. Sie kommen so
auf nur etwa 800 Euro, aber wollen unbedingt weiter demonstrieren und
streiken. Dafür haben wir dann also die Streikkassen eingesetzt. Ich
arbeite im Energiesektor, meine Frau im Hafen, zuletzt haben wir beide nur
ein halbes Gehalt bekommen.
Ermüden die Menschen nach so langer Zeit nicht?
Die Entschlossenheit ist unglaublich. Das sieht man an den Demonstrationen
und der Diversität: Es kommen Kleinunternehmer, Rentner, Studierende,
Angestellte, Beamte und Arbeiter. So eine Diversität ist neu. Natürlich,
finanziell fängt es an, wehzutun, das ist unbestreitbar. Aber die Ablehnung
der Rentenreform ist unerschütterlich. Manche Leute sind bereit, alles zu
geben, um die Regierung zu bezwingen.
5 Apr 2023
## LINKS
[1] /Proteste-in-Frankreich/!5925588
[2] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[3] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europarat-beklagt-polizeigewalt…
## AUTOREN
Lea Fauth
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