# taz.de -- Hanau-Betroffene über Vernetzung: „Wir können uns stärken“ | |
> Serpil Temiz Unvar gründete nach dem Hanau-Attentat eine | |
> Bildungsstiftung. Nun reist sie, um sich mit anderen Terrorbetroffenen zu | |
> vernetzen. | |
Bild: Serpil Temiz Unvar, die Mutter des in Hanau ermordeten Ferhat Unvar | |
taz: Frau Temiz Unvar, nachdem Ihr Sohn Ferhat im Februar 2020 [1][bei dem | |
Hanau-Attentat] ermordet wurde, gründeten Sie die Bildungsinitiative Ferhat | |
Unvar, um Rassismus zu bekämpfen. Nun reisen Sie für diese durch das | |
Ausland, diese Woche geht es nach Istanbul. Mit welchem Ziel? | |
Serpil Temiz Unvar: Wir wollen Rassismus fundamental bekämpfen. Deshalb | |
arbeiten wir mit Jugendlichen, sie sind die Zukunft. Mit unserer Stiftung | |
gehen wir bundesweit an Schulen, geben Workshops oder Vorträge. Aber der | |
Rassismus macht nicht an den Grenzen halt. Rechtsextreme vernetzen sich | |
über Landesgrenzen, im Internet oder direkt. Aber wir tun das nicht. Das | |
wollen wir verändern. | |
Sie trafen sich in Athen mit Magda Fyssa, deren Sohn 2013 von einem | |
Mitglied der rechtsextremen Goldenen Morgenröte ermordet wurde. | |
Das war sehr intensiv, sehr emotional. Magda kämpft den gleichen Kampf | |
gegen Hass und Diskriminierung wie ich, aber seit 10 Jahren schon. Als die | |
Goldene Morgenröte vor drei Jahren als kriminelle Vereinigung verurteilt | |
wurde, kam sie aus dem Gericht und rief: Du hast es geschafft, mein Sohn! | |
Ich kannte Magda nicht, aber als ich davon gehört habe, hat mich das sofort | |
mit ihr verbunden. Solche Sätze sage ich auch immer zu Ferhat: Mein Sohn, | |
wir werden den Kampf gewinnen! Bei dem Treffen haben Magda und ich uns auch | |
sofort verstanden. | |
Sie wollen sich mit anderen Terrorbetroffenen vernetzen? | |
Ja. Wir teilen die Trauer und den Schmerz, und viele wollen nun auch | |
Veränderungen in der Gesellschaft. Wir können unsere Erfahrung austauschen, | |
voneinander lernen, uns stärken und vielleicht einen Weg finden, | |
zusammenzuarbeiten. Mir gibt das Kraft, zu wissen, ich bin nicht alleine. | |
Ich brauche diese Kraft, um weitermachen zu können. | |
Auch in Brüssel trafen Sie kürzlich, am 11. März, dem Europäischen | |
Gedenktag für Terroropfer, andere Betroffene und warben dort in einer Rede | |
für eine Vernetzung. Mit Erfolg? | |
Die Rede stand eigentlich nicht auf dem Programm, aber ich wollte sie gerne | |
halten und war froh, das zu dürfen. EU-Kommissarin Ylva Johansson war da | |
und ich hatte den Eindruck, dass die EU wirklich etwas gegen Rassismus tun | |
will. Ich glaube, dass meine Worte gehört wurden. Es war beeindruckend, so | |
viele Betroffene zu treffen und sich auszutauschen. Ich habe zum Beispiel | |
Mokhtar kennengelernt, dessen Bruder 2018 in Straßburg von einem Islamisten | |
erschossen wurde. Auch er will ein Bildungsprojekt starten, da können wir | |
doch gut voneinander lernen. | |
Was steht jetzt in Istanbul an? | |
Dort werde ich Stiftungen besuchen, zum Beispiel Hakikat, die sich für ein | |
angemessenes Gedenken an politische Gewaltverbrechen einsetzen. Vielleicht | |
können auch sie mir Kontakte vermitteln. Eine Zusammenarbeit auch mit | |
türkischen Betroffenen fände ich sehr wichtig. | |
Was können die anderen [2][aus Hanau] lernen? | |
Wir können zeigen, wie man sich organisiert und vernetzt. Und uns ist es | |
gelungen, ein anderes Narrativ zu dem Anschlag zu schaffen: Diesmal steht | |
nicht der Täter im Fokus, sondern wir, die Betroffenen. Wir wollen im | |
Frühjahr 2024 auch Betroffene zu einer internationalen Konferenz nach Hanau | |
einladen, genauso wie Zivilgesellschaft und Politik, und dann mal nicht | |
über Probleme reden – sondern über Lösungen, wie wir diese Probleme | |
überwinden. | |
Und was haben Sie bisher von den anderen auf Ihren Reisen gelernt? | |
Noch gehen die Reisen ja erst los, aber ich sehe, dass man viel Engagement | |
und Ausdauer braucht, um etwas zu verändern. Das habe ich mir auch | |
vorgenommen, es ist mein Versprechen an Ferhat. Ich will in den nächsten | |
Monaten noch nach Oslo, Paris und Straßburg reisen. Ich will Dinge | |
erledigen, solange ich noch die Kraft dafür habe. Es wird ein hartes Jahr, | |
aber es wird gut. | |
4 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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