Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Bunny und das Eierkratzen
> Ostern ist ein wichtiges Fest. Aber was hat der gemeine Hase mit dem
> gesamten Vorgang zu tun? Eine letztgültige Erklärung für das Hoppelwesen.
Gleich nach dem Winterschlussverkauf und Mariä Heimleuchtung ist Ostern die
drittwichtigste Sause im christlichen Festkalender, noch vor Jesu
Sommerfrische, Oktoberfest und Los Wochos de los Muertos. Doch gerät die
tiefere religiöse Bedeutung der hasigen Feiertage immer mehr ins
Hintertreffen. Kein Wunder. Kaum ein Pfaffe kann noch fehlerfrei die
Septuaginta aufsagen, kaum ein Mesner dürfte in der Lage sein, ohne
künstlichen Sauerstoff einen zünftigen Vierwochenpsalter zu überstehen, und
sogar im Kindergottesdienst führt die Heilige Inquisition nur mehr ein
Schattendasein.
Dabei ist theologisches Know-how auch im modernen Alltag unverzichtbar.
Dass der Papst ein Kotzbecken ist und Pharisäer schön duhn machen, dürfte
den meisten Laien noch bekannt sein, aber wie der Hase ins Zentrum des
Ostergetümmels geraten konnte, ist sogar überzeugten Klerikalfaschisten
eine Bibel mit sieben Siegeln.
Wäre ein Zombie als Maskottchen der Auferstehungsfeier nicht die
sinnfälligere Wahl, eine zusätzliche Osterschicht für das Christkind nicht
ökonomischer oder wenigstens ökumenischer? Und warum zum Teufel überbringt
kein Otter die frohe Botschaft? Urbi und orbi lieben Otter, aber die Bibel
erwähnt sie nicht einmal.
Aber auch über die Mümmelmänner schweigt sich das Alte Testament aus.
Lapidar wird die göttliche Bastelei an „Vieh, Gewürm und Tieren des Feldes�…
am sechsten Tag vermerkt, ohne explizit die Schöpfung der Hasenartigen zu
würdigen. Im Dschungelbuch der Genesis steht die Schlange im grellen
Rampenlicht, während Meister Lampe unerwähnt durch das Paradies hoppelt.
Erst im Kleingedruckten des dritten Buchs Mose hat er zusammen mit Kamel
und Klippdachs seinen Auftritt, nur um rüde abgekanzelt zu werden. „Sie
spalten die Klauen nicht. Darum sind sie unrein“, befindet der zoologisch
unbedarfte Jahweh. Vom Verzehr der hauseigenen Produkte rät der
wankelmütige Kreationist ab. Der Herr scheint überhaupt ein heikler Esser
zu sein, an Hauptgerichten hat er von Schwein bis Schalentier allerhand
auszusetzen.
Da erstaunt es umso mehr, dass der Schöpfer auf leicht verderbliche
Eierspeisen ganz versessen scheint. Jedenfalls erteilt er neben der
nachvollziehbaren Aufforderung, Blut aus dem Soufflee zu entfernen, dem Ei
keine gastronomischen Auflagen. Damit ist der Weg ins Osterkörbchen frei.
Kirchenlehrer Ephraim der Syrer halluziniert in der Spätantike eine
passende Symbolik herbei. „Gleich einem Ei springt das Grab auf“, soll der
heilige Asket in seiner Einsiedelei über den Zusammenhang von Jesu Grablege
und Hasi Eilege schwadroniert haben.
## Meister Lampe steht theologisch nicht im Scheinwerferlicht
Schwer dagegen fällt der Karnickelsprung ins fromme Festgewerbe: Auch im
Neuen Testament steht der Hase nicht gerade im Scheinwerferlicht der
Fundamentaltheologie. Zwar spannt Gottessohn und Nebenerwerbsdompteur Jesus
von Kamel (geht durch ein Nadelöhr) bis Weißfisch (macht wunderbar satt)
allerhand Getier vor seinen religiösen Karren, zum Hasen aber schweigt er.
Kein einziges Rammelwunder findet sich in Evangelien und Apokryphen, kein
Gleichnis vom Häschen in der Grube lädt zur Exegese ein. Jesu Apostel
schwärmen in alle Welt aus, von Kleintierställen aber halten sie sich fern.
Nur Paulus schreibt jeden Karnickelzüchterverein von Ephesus bis
Thessaloniki an, aber kaum einer meldet sich zurück.
Nur mit potenter Beharrlichkeit schafft Meister Lampe den Quereinstieg ins
christliche Brauchtum. Zuvor hatte der vierbeinige Reproduktionskünstler
als Posterboy naturnaher Fun-Kulte gearbeitet und war damit bei der
bevorzugten Zielgruppe christlicher Mission eingeführt. Venerablen Damen
von Astarte bis Aphrodite war das Häslein als bezaubernder Assistent mit
weißer Blume beigesellt worden, bis das Playboy-Patriarchat die
Machtverhältnisse später umkehrte. Die spirituelle Präsenz des Mümmlers
bleibt jedenfalls nicht unbemerkt, der Hase wechselt die Religion, bleibt
aber Markenbotschafter der fleischlichen Minne.
Spätestens im fickrigen Mittelalter greift haltlose Hopplerbegeisterung um
sich. Wenig bekannt ist, dass die Kreuzzüge ins Heilige Land im
Bunny-Kostüm absolviert werden mussten, um in Rom vollständige Absolution
zu erhalten. Noch weniger bekannt sind die Beschlüsse des Konzils von
Haselünne 1216, bei dem sich das Langohr vor Delfin (zu prätentiös),
Schnabeltier (noch nicht entdeckt) und Kellerassel (zu eklig) endgültig als
österliches Maskottchen durchsetzt. Konkurrent Ochse, der dem Hasen den
Platz an der Weihnachtskrippe abspenstig gemacht hatte, wird wie der
Heilige Geist mit der Repräsentation des öden Pfingstfestes abgespeist.
Kurz entzweit sich das Abendland noch einmal, als Gegenpapst Clemens VII.
in Avignon darauf besteht, dass der Hase zwar die Kinder, aber der Storch
die Eier bringt. Küchenpapst Paschalis der Naschhafte lässt schließlich im
Jahr 1517 erstmals ein unbotmäßiges Karnickel mit heißer Schokolade
überziehen, bald darauf wird aus der brutalen Leibstrafe eine beliebte
Süßigkeit. Damit ist der Siegeszug des modernen Osterhasen nicht mehr
aufzuhalten: Der Nürnberger Meister Albrecht Dürer skizziert den betenden
Schmunzelhasen, die noch heute gültige Gussform der christlichen
Schokoladenindustrie von Köln bis Zürich.
## Der freiheitliche Strahlenkranz des Mümmelmanns verblasst
Im Drei-Hasen-Fenster des Paderborner Doms kulminiert Karnickelverehrung
und westfälische Sinnenfreude, doch kurz darauf entwickeln Moraltheologen
das Konzept der Bausünde. Reumütig muss Paderborn konstatieren, dass es
eine Katzenklappe auch getan hätte. Als Bußübung hat der Domstift außerdem
wahrheitswidrig zu verbreiten, dass der pikante Hasendreier im Gesims die
göttliche Dreifaltigkeit und nicht etwa ausgelassene Fickfreude
symbolisiert.
Die spirituelle Libertinage geht dem Osterfest endgültig verloren, auch in
der Kunstgeschichte verblasst der Strahlenkranz des Mümmelmanns. In Tizians
Hasenmadonna gerät das weiße Kaninchen zur Staffage, in Lewis Carrolls
Wunderland geht es in den Untergrund. Der Tiefpunkt ist erreicht, als
Joseph Beuys versucht, einem toten Hasen Bilder zu erklären.
Im tristen Osterkörbchen der Gegenwart erinnert der mopsige Schokohase eher
an Adipositas als an Trinitas, von der guten alten Todsünde Wollust gar
nicht zu sprechen. Doch noch immer zeugen klandestine Osterbräuche von der
unverwüstlichen Sinnlichkeit des hedonistischen Hasenfestes. Zu nennen ist
vor allem das öffentliche Eierkratzen am Ostersonntag, das in abgelegenen
Gegenden des Burgenlandes, aber vor allem in jeder U-Bahn zelebriert wird.
Als Zeichen froher Ostern.
8 Apr 2023
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
Ostern
Osterhase
Brauchtum
Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Die Wahrheit
Papst Franziskus
Kolumne Die Wahrheit
Desiderius-Erasmus-Stiftung
Die Wahrheit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Im Ossi-Himmel brennt noch Licht
Die DDR gab es nie. Sie wurde im Kalten Krieg vom Westberliner Springer
Verlag erfunden. Inklusive der Anführungszeichen.
Die Wahrheit: Die verpfuschte Provinz
Kaum verlässt man die Metropolen, begibt man sich in den hässlichen
Herrschaftsbereich gnadenloser Heimwerker.
Die Wahrheit: „Was würde Hopper tun?“
Die längst überfällige Analyse zum Drehbuchstreik der schreibenden Zunft in
Hollywood. Jetzt auch mit Hoffnungsschimmer!
Katholische Kirche im Wandel: Papst lässt Frauen etwas mitwählen
Bei der Bischofssynode der Katholischen Weltkirche sollen künftig auch
Frauen mitwählen dürfen. Deren Quote liegt allerdings bei nur zehn Prozent.
Die Wahrheit: Neues vom Bommelding
Eine neue Protestaktion der Letzten Generation. Wieder einmal am Flughafen.
Was sollte es auch sonst sein, das da auf dem Handy gemeldet wird?
Die Wahrheit: Sammelbecken für Mumien aller Art
Die deutschen Parteistiftungen, ihre politischen Aufgaben und
gesellschaftlichen Absichten. Ein didaktisches Essay mit überzeugenden
Argumenten.
Die Wahrheit: Reserverad voll im Eimer
Die wahre, königliche und ein für alle Mal letztgültige Rezension des
englischen Prinzenbuches namens „Reserve“ nur bei uns.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.