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# taz.de -- Textilmuseum in der Lausitz: Das zerrissene Gewebe der Fabriken
> Aus dem „preußischen Manchester“ wurde eine sterbende Stadt. Das
> erneuerte Textilmuseum in Forst soll ein Ort zum Bleiben sein.
Bild: Gewebte Geschichte: das Textilmuseum in Forst
Forst taz | Gerade erst hat Klara Geywitz die Deutschen aufgerufen,
[1][aufs Land zu ziehen]. Jetzt steht die Bundesbauministerin am
östlichsten Zipfel des Landes, im Hof einer ehemaligen Textilfabrik in der
Lausitz, und lächelt in die Kameras. „Ich bin mir sicher, dass das Museum
ein neues touristisches Highlight für die Region wird.“
Es ist ein Wohlfühltermin, für den die SPD-Ministerin aus Berlin angereist
ist. In Forst an der Neiße wird an diesem Donnerstag der Grundstein für den
Umbau und die Erweiterung des [2][Brandenburger Textilmuseums] gelegt. 7,4
Millionen aus dem Bundesprogramm Nationale Projekte des Städtebaus stehen
zur Verfügung.
Auch die Finanzierung einer neuen Dauerausstellung, die 2025 öffnen soll,
ist aus Landesmitteln über das Strukturstärkungsgesetz gesichert. Knapp
drei Millionen Euro hat das Land Brandenburg bewilligt. Die Gelder für den
Strukturwandel in der Lausitz gehen also nicht nur in ehemalige
Braunkohlereviere, sondern auch in eine Stadt wie Forst, die als
Textilstadt einst das „deutsche Manchester“ genannt wurde.
Aber macht das Sinn, soviel Geld in eine Stadt zu pumpen, die vielleicht
gar keine Struktur mehr hat, die sich wandeln kann? 26.000 Menschen lebten
1990 in Forst an der Grenze zu Polen, heute sind es nicht einmal mehr
18.000. Jeder Dritte ist weggegangen.
## Gewebe aus Inseln
Man sieht die Lücken, die gerissen wurden, der Stadt förmlich an. Die
ehemalige Textilstadt Forst ist wie das polnische Łódź etwas Besonderes.
Keinen mittelalterlichen Kern mit Kirche und Marktplatz kann sie aufweisen,
eher gleicht sie einem industriellen Archipel. Textilfabriken,
Fabrikantenvillen und Mietskasernen bildeten jeweils eng beieinander
liegende Inseln, zusammen sind sie ein städtisches Gewebe. Inzwischen ist
dieses Gewebe aber so zerrissen, dass es fraglich ist, ob die Stadt
überhaupt eine Zukunft hat.
Immerhin soll diese Frage auch im neuen Museum gestellt werden, sagt dessen
Leiter Jörn Brunotte. Er erzählt, dass die Themen der neuen
Dauerausstellung – Textil, Kohle, sozialer Wandel – einen Bogen in die
Gegenwart schlagen sollen. „Aber auch die Zukunft spielt eine Rolle“, sagt
Brunotte. „Die Vergangenheit nennen wir Archive und die Zukunft Labore.“
Das denkmalgeschützte Museumsgebäude ist so ein „Archiv“, weil es selbst
viel über Forst erzählt. Die dort ansässige Textilfabrik von Daniel Noack
ging 1897 an den Start, mit den anderen Fabriken war sie durch die
„Schwarze Jule“ verbunden, die Fabrikbahn. Dass diese im Hof des Museums in
einem Neubau ausgestellt wird, freut Brunotte.
## Lokomotiven in den Straßen
Wie es in Forst aussah, schildert ein Bericht aus dem Jahr 1927: „Ein Wald
von Schornsteinen mit langen Rauchfahnen bildet die charakteristische
Silhouette dieser Stadt. Lokomotiven durchfahren die Straßen und schleppen
Waggon um Waggon, auf Rollböcke gesetzt, in die zahllosen Fabrikhöfe.“ Die
fast 40.000 Forster waren stolz auf ihr „Manchester“.
Nicht nur nach Fabrik roch es damals, sondern auch nach Zukunft. Dann kam
der Krieg, und 88 Prozent der Gebäude wurden zerstört. Der sowjetische
Stadtkommandant wollte Forst sogar aufgeben und zur „toten Stadt“ erklären.
Nur den Flüchtlingen aus dem Osten ist es zu verdanken, dass es Forst noch
gibt.
Auch [3][Daniel Noacks Fabrik] in der Sorauer Straße mit ihrer markanten
Klinkerfassade überlebte. Nach dem Krieg wurde der Betrieb als VEB Forster
Tuchfabriken wieder aufgenommen. Ab den siebziger Jahren gehörte der VEB
zum [4][Textilkombinat Cottbus]. Doch nach der Wende war 1992 Schluss. 1995
wurde aus der Fabrik das Textilmuseum, das nun runderneuert wird.
Kann das zerrissene Gewerbe der Stadt wieder zusammenwachsen? Jörn Brunotte
hofft es. Zu einer „kulturellen Mitte“ der Stadt will er das Museum machen.
Schon im vergangenen Sommer hat er eine Literaturreihe in der
„Traumfabrik“, einer Eventlocation in den Ruinen einer benachbarten
Textilfabrik, organisiert.
## Suche nach bezahlbaren Räumen
Brunotte berichtet von einem Erzählsalon, bei dem ein junger Mann gesagt
habe, dass er aus Cottbus komme, dort aber vergeblich bezahlbare Räume für
ein Projekt gesucht habe. „In Forst gibt es diese Räume“, sagt Jörn
Brunotte. Er glaubt, dass Forst von Cottbus, der großen Gewinnerin des
Strukturwandels, profitieren werde.
So sind die Lücken im Gewebe also auch eine Chance. Damit der
Strukturwandel ankommt, braucht es Menschen, die in die Stadt kommen. Und
es braucht die, die bleiben. Das hat auch viel mit Identität zu tun, weiß
der Brandenburger Lausitzbeauftragte Klaus Freytag. „Wir dürfen nicht
vergessen, wo wir herkommen“, sagt er. „Die Textilindustrie ist bis heute
Teil unserer Geschichte.“
Dass Forst am Rande liegt, will er nicht gelten lassen. „Wir sind mitten in
Europa.“ Bei der Grundsteinlegung ist deshalb auch Czesław Fedorowicz
dabei. Der Chef der Euroregion Spree-Neiße-Bober glaubt: „Auch viele Polen
werden ins Forster Museum kommen.“
28 Mar 2023
## LINKS
[1] /Geywitz-Plaene-gegen-Wohnungsnot/!5923803
[2] https://www.forst-lausitz.de/brandenburgisches-textilmuseum.120256.htm
[3] http://www.kulturwege-forst-lausitz.de/inhalte/kulturweg-256-164.php
[4] https://cottbuswiki.de/textilkombinat/
## AUTOREN
Uwe Rada
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