# taz.de -- Bürgermeister zu Kosovo und Serbien: „Noch nie einen serbischen … | |
> Seit 15 Jahren ist das Kosovo unabhängig. Das Land strebt in die EU, die | |
> junge Generation wandert aus. Bürgermeister Alban Hyseni bleibt im Land. | |
Bild: Bürgermeister Alban Hyseni (Vetëvendosje!, LVV) im Rathaus der Gemeinde… | |
taz: Herr Hyseni, das Kosovo ist nun seit 15 Jahren unabhängig und Serbien | |
erkennt diese Unabhängigkeit nicht an. Derzeit wird über [1][einen | |
Grundlagenverstrag] diskutiert, wie das Kosovo und Serbien sich akzeptieren | |
könnten. Wirken sich diese Debatten auf Ihre Arbeit als Bürgermeister aus? | |
Alban Hyseni: Nicht so sehr wie im nördlichen Teil des Kosovo, wo der | |
Anteil der Serben an der Bevölkerung hoch ist. Gleichzeitig sind auch wir | |
nah an der Grenze. Ich glaube vor allem, dass durch die Diskussionen mit | |
Serbien und über die serbische Minderheit die Situation anderer | |
Minderheiten im Kosovo etwa vergessen wird. | |
Wie meinen Sie das? | |
Wir haben zum Beispiel die Roma-Community in Gjilan. 18 von insgesamt rund | |
130 Familien haben keine Häuser. Deshalb wollen wir nun Sozialwohnungen | |
bauen. Die Roma befinden sich insgesamt in einer schwierigen Situation. Sie | |
gehen in die Schulen der serbischen Minderheit. Dadurch sprechen auch viele | |
in der Roma-Community kaum Albanisch, was es schwierig macht, sich in eine | |
Gesellschaft zu integrieren, in der mehr als 90 Prozent der Menschen | |
Albaner sind. | |
Aktuell ist das Bildungssystem im Kosovo aufgeteilt. Die Gemeinden mit | |
serbischer Mehrheit haben eigene Schulen. Viele Kinder dort lernen zu Hause | |
und in der Schule nur Serbisch. Wie begegnen Sie dem Problem? | |
Ich hatte in meiner Generation noch nie einen serbischen Freund. Mein Vater | |
hatte einen, weil Serben und Albaner zusammenlebten und gemeinsam zur | |
Schule gingen. Jetzt gibt es serbische Minderheitengemeinden und Dörfer, | |
die in ethnische Gruppen aufgeteilt wurden. Das schafft Enklaven. Und | |
dadurch wird die Freundschaft zwischen den Menschen unterbunden. | |
Wie kann sich das verbessern? | |
Wir müssen mehr Kontakt zueinander aufbauen. Im Grunde werden alle Probleme | |
zwischen dem Kosovo und Serbien von der Politik geschaffen, aber nicht von | |
den Menschen. Auf dem Markt kaufen wir gemeinsam ein, da hören Sie die | |
Leute auf Serbisch oder Albanisch reden. Die Menschen wollen einfach nur | |
ihr Leben leben und die Probleme lösen, wie Arbeitslosigkeit, ein | |
schlechtes Bildungssystem oder ein schlechtes Gesundheitssystem. | |
Auf Ihrem Tisch steht neben der kosovarischen Flagge, die die | |
Multiethnizität des Landes repräsentieren soll, auch die albanische Flagge. | |
Steht Ihre Partei Vetëvendosje! weiterhin für die Idee, dass sich Kosovo | |
mit Albanien vereinen könnte? | |
Wir wollen ein demokratisches Land aufbauen, das alle Rechte respektiert | |
und auch die anderen ethnischen Gruppen, die nicht die Mehrheit bilden. | |
Aber wir sind Albaner und können unsere Herkunft nicht verleugnen. Uns mit | |
unserem Heimatland zu vereinen, ist daher unser politischer Wille. Aber es | |
darf nicht erzwungen werden und es bedeutet auch nicht, dass wir ohne die | |
anderen ethnischen Gruppen leben wollen. | |
Meinen Sie nicht, dass diese Idee vor allem der serbischen Minderheit im | |
Land Sorgen bereiten könnte? | |
Sie sind gleichberechtigte Bürger und sollten so behandelt werden. Es gibt | |
vermutlich kaum ein Land, das den ethnischen Gruppen so viele Rechte | |
einräumt. Serben, Roma, Türken, Goranen, Ägypter, Aschkali und Bosniaken | |
haben garantierte Sitze im Parlament. Ich hatte viele Treffen mit der | |
serbischen Gemeinschaft in Gjilan. Aber wenn man sie ins Rathaus einlädt, | |
kommen sie nicht: Nicht weil wir Albaner sind, sondern weil sie kein | |
Vertrauen in die Institutionen haben. Das ist unter Albanern nicht anders. | |
Die Menschen misstrauen der Politik? | |
Ja und sie haben allen Grund dazu. Es gibt Politiker, die sich große | |
Vorteile verschafft haben, die ihre Kinder zur Ausbildung in die EU oder | |
die USA schickten, während in das öffentliche Bildungssystem im Kosovo | |
nicht genug investiert wurde. Deshalb müssen wir erreichen, dass die | |
Menschen wieder Vertrauen in die Institutionen fassen, dass es jemanden | |
geben kann, der das Land nicht ausraubt und sich für die Zukunft seiner | |
Bevölkerung einsetzt. Das Durchschnittsalter im Kosovo liegt bei etwa 30 | |
Jahren. Wir müssen diese junge Generation für die Politik interessieren. | |
Sie sind seit zehn Jahren in der Politik. Wollte Sie schon immer Politiker | |
werden? | |
Ehrlich gesagt: nein. Mein Traum war es, Mitglied der kosovarischen | |
Streitkräfte zu werden. Das hat wohl mit meinem Alter zu tun und mit dem | |
Krieg in den neunziger Jahren. Aber ich sah dann eine andere Möglichkeit, | |
meinen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, habe Jura studiert und | |
promoviere nun im Strafrecht. | |
Zog es Sie nie ins Ausland? | |
Zumindest nicht, um dort länger zu leben. Das war nie mein Ding. | |
Vielen Leuten aus dem Kosovo geht das anders. Es gibt starke Abwanderung. | |
Warum? | |
[2][Mehr als 40.000 Menschen haben letztes Jahr das Kosovo verlassen.] Etwa | |
35 Prozent der Gesamtbevölkerung Gjilans leben im Ausland. Es gibt also | |
eine ziemlich große Diaspora, mit der die Familien verbunden sind. Und in | |
dieser Region waren auch die Investitionen bislang recht niedrig. | |
Was ist hier zu tun? | |
Da geht es auch um Grundbedürfnisse. Die Gesamtgemeinde umfasst neben der | |
Stadt noch rund 50 Dörfer. 15 davon haben keinen Zugang zu Trinkwasser. Wir | |
brauchen also Investitionen in die Infrastruktur, in die | |
Trinkwasserversorgung, in das Schwarzwassersystem, ebenso in die Bildung | |
und Gesundheitsfürsorge. | |
Das Gesundheitssystem im Kosovo hat große Probleme … | |
Die Basisversorgung wird von uns kommunal verwaltet. Wir haben etwa ein | |
Familiengesundheitszentrum, das gute Arbeit macht, und investieren in ein | |
neues medizinisches Versorgungszentrum. Auch das Krankenhaus bräuchte viele | |
Investitionen. Wir versuchen, so nah wie möglich an die Menschen | |
heranzukommen. In diesem Jahr haben wir ein neues Labor für Blutanalysen in | |
einem der Dörfer gebaut. | |
Es müssen Zuzahlungen für die medizinische Behandlungen geleistet werden. | |
Wie ist das für arme Menschen? | |
Genau deshalb müssen wir auch die Dienstleistungen dezentralisieren: Manche | |
Menschen können es sich einfach nicht leisten, zur hausärztlichen | |
Versorgung in die Stadt zu fahren. Insgesamt ist die Beteiligung für | |
Gesundheitsdienstleistungen aber gering. Man zahlt zum Beispiel einen Euro | |
für eine Infusion oder zwei Euro für eine Spritze. Menschen, die | |
Sozialhilfe bekommen, müssen nichts bezahlen. | |
Werden viele Menschen in Gjilan von ihren Familien im Ausland unterstützt? | |
Ja, die Rücküberweisungen, die in unserer Region ankommen, sind ziemlich | |
hoch. Das Geld wird im Wesentlichen für den Lebensunterhalt verwendet. Aber | |
aus der Diaspora kommen auch Unternehmen, die in Gjilan investieren wollen. | |
Wir planen eine große Wirtschaftszone, um ihnen etwas anzubieten. | |
Wen wollen Sie anlocken? | |
Unser Ziel sind besonders Unternehmen im Bereich der Technologie. An der | |
Universität in Gjilan gibt es viele Informatikstudenten, das Potenzial ist | |
groß. Gleichzeitig versuchen wir, den Tourismus zu fördern. Rund um Gjilan | |
ist eine schöne Natur und wir grenzen an Nordmazedonien und auch an | |
Serbien. Es gibt in der Nähe eine Burg aus der Römerzeit, die ist der | |
perfekte Ausgangspunkt für einen langen Wanderweg. | |
17 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
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