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# taz.de -- Stromsparen in Baden-Württemberg: Bürger sollen den Markt regeln
> Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW bittet seine Konsumenten darum, zu
> bestimmten Zeiten Energie zu sparen.
Bild: Bürger sollen abens Strom sparen, also die Wäsche trocknen lassen und n…
Freiburg taz | Der baden-württembergische Übertragungsnetzbetreiber
TransnetBW bittet die Bürger im Südwesten immer wieder darum, in bestimmten
Zeitfenstern ihren Stromverbrauch zu senken. Vergangenen Freitag etwa
sollten Konsumenten von 20 bis 22 Uhr Strom sparen. In dieser Zeit müssten
nämlich mehr als [1][500 Megawatt aus dem Ausland nach Baden-Württemberg
importiert] werden.
Seit einigen Wochen nutzt der Übertragungsnetzbetreiber seine
[2][„StromGedacht-App“], um Nutzer zu animieren, „mit einem angepassten
Stromverbrauch selbst einen aktiven Beitrag“ zur Regelung des Netzes zu
leisten. Zugleich betont das Infrastrukturunternehmen jedoch: „Die Meldung
der StromGedacht-App bedeutet nicht, dass Stromabschaltungen zu befürchten
sind“. Vielmehr gehe es darum, der Bevölkerung zu signalisieren, „dass
[3][TransnetBW] mehr als gewöhnlich dafür tun muss, das Stromnetz stabil zu
halten“.
Warum das so ist, hat TransnetBW jedoch nie erklärt: Es ist die verquere
Architektur des Strommarkts, die zunehmend regulatorische Eingriffe nötig
macht. Um das zu erläutern, muss man etwas ausholen. Am Spotmarkt der
Strombörse werden täglich zur Mittagszeit die Strommengen für den Folgetag
gehandelt.
Somit ergibt sich für jede Stunde ein individueller Strompreis aus Angebot
und Nachfrage. Dieser Preis ist deutschlandweit einheitlich und bestimmt
die Einsatzzeiten aller regelbaren Kraftwerke in Deutschland für den
nächsten Tag.
## Böses Erwachen am nächsten Tag
Signalisieren die Windprognosen für Norddeutschland am Folgetag eine hohe
Stromerzeugung, ergeben sich für die betreffenden Stunden niedrige
Spotmarktpreise. Für diese Zeiten können zum Beispiel auch
Pumpspeicherkraftwerke in Süddeutschland günstig Strom einkaufen.
Am nächsten Tag, wenn der gekaufte Strom dann geliefert werden soll, folgt
immer öfter das böse Erwachen: Der Windstrom kann die Pumpspeicher – etwa
jene am Schluchsee im Schwarzwald – gar nicht erreichen, weil es nicht
genug Leitungen gibt. Da die Betreiber der Anlagen aber am Vortag
Lieferverträge abgeschlossen haben, muss [4][TransnetBW als
Systemverantwortlicher] sicherstellen, dass die Pumpspeicher ihren Strom
auch tatsächlich bekommen.
Weil der gekaufte Strom aus dem Norden aber nicht durchkommt, muss dann
eben Strom aus Nachbarländern oder aus Reservekraftwerken in Süddeutschland
einspringen. Solche Notkäufe („Redispatch“) abseits des regulären Marktes
sind teuer; die Kunden bezahlen sie über ihre Netzentgelte.
Das führt zu einer bizarren Situation: Während Pumpspeicherkraftwerke große
Mengen Strom verbrauchen, ruft TransnetBW die Bürger auf, Strom zu sparen.
So war es auch wieder vergangenen Freitag: Um 21 Uhr, mitten in jener
Phase, als die Bürger Strom sparen sollten, zogen die
Pumpspeicherkraftwerke des Schluchseewerks gut 600 Megawatt aus dem Netz.
Sie pumpten damit Wasser empor und füllten ihre Speicher – was
betriebswirtschaftlich attraktiv, aber aus Sicht des Systems wenig
hilfreich war.
Diese Konstellation resultiert aus der Tatsache, dass Deutschland
bundesweit im Großhandel nur einen einheitlichen Strompreis für das ganze
Land kennt. Der Markt bildet also die physische Situation des Netzes nicht
korrekt ab. Gäbe es – orientiert an den tatsächlichen Netzkapazitäten –
eine Nord- und eine Südzone, könnten die Pumpspeicher in Baden-Württemberg
nur dann billigen Strom kaufen, wenn er im Süden auch tatsächlich
ausreichend vorhanden ist. Andernfalls wäre er teurer.
## Auch Nachbarländer leiden
Weil regionale Preise ein Netz besser regelbar machen, verfügen manche
Länder über mehrere Preiszonen. Norwegen zum Beispiel hat fünf, Schweden
vier. Erfahrungen mit der Auftrennung von Marktgebieten gibt es auch: 2018
wurde die bisher einheitliche Strompreiszone von Deutschland und Österreich
geteilt, nachdem diese zu immer stärkeren Verwerfungen im Markt geführt
hatte.
Weil die deutsche Marktarchitektur auch die Nachbarländer zunehmend in
Mitleidenschaft zieht, wächst der Druck der EU auf Deutschland. Die vier
hiesigen Übertragungsnetzbetreiber sind auf Anweisung der europäischen
Regulierungsbehörde Acer bereits dabei, im Rahmen eines „Bidding Zone
Review“ mögliche alternative Zuschnitte der Preiszonen zu erarbeiten. Eine
entsprechende Studie soll in diesem Jahr abgeschlossen werden.
Bis zu vier Preiszonen für Deutschland werden geprüft. Sollten diese
kommen, dürfte die „StromGedacht-App“ die Bürger erheblich seltener darum
bitten müssen, ihren Verbrauch zu senken.
10 Mar 2023
## LINKS
[1] /Zu-langsamer-Ausbau-der-Stromnetze/!5902431
[2] https://www.stromgedacht.de/
[3] /Regierung-will-Netzbetreiber-kaufen/!5915024
[4] /Nord-Sued-Ausbau-des-Stromnetzes/!5340708
## AUTOREN
Bernward Janzing
## TAGS
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