# taz.de -- Religionsjournalist Raphael Rauch: Mehr Tiger als Bettvorleger | |
> Seit gut drei Jahren leitet Raphael Rauch „kath.ch“. Provokation zählt zu | |
> seinem Programm. Jetzt verlässt er das Portal. | |
Bild: Raphael Rauch, 37 Jahre alt, hat bei „kath.ch“ seine erste Leitungspo… | |
Mit seiner sanften Stimme könnte er gut Hörfunksendungen moderieren. | |
Beinahe wäre er auch bei der Religionsredaktion im Schweizer Radio | |
geblieben, nachdem er sich auf die Annonce „Frauenteam sucht Männerstimme“ | |
beworben hatte und genommen wurde. Er könnte auch gut vor der Kamera | |
stehen, einige öffentlich-rechtliche Fernseherfahrungen hat er schon. | |
Während des Studiums jobbte der heute 37-Jährige bei der ARD in Genf. | |
Später ging’s in den Mainzer Newsroom von heute.de. Der Allgäuer Raphael | |
Rauch ist ein journalistisches Multitalent. | |
Studiert hat er Geschichte, Politikwissenschaft und Katholische Theologie. | |
In seiner Masterarbeit beschäftigte er sich mit „Islam im Rundfunk“, in | |
seiner Doktorarbeit mit den Auswirkungen [1][der US-Serie „Holocaust“] auf | |
die westdeutschen Fernsehproduktionen. Er hatte Lehraufträge an der | |
Theologischen Fakultät der Universität in Fribourg und ist Moderator des | |
Zürich Film Festivals. | |
Doch vor gut drei Jahren entschied sich Raphael Rauch ausgerechnet für die | |
katholische Kirche und wurde Redaktionsleiter beim Nachrichtenportal | |
kath.ch in Zürich. Für ihn war das kein Abstieg, sondern ein | |
Karrieresprung, wie er sagt. Erstmals hätte er in seinem Berufsleben eine | |
Leitungsfunktion übernehmen und eigene Themen setzen können. „Ich habe noch | |
nie so viel Staub aufgewirbelt wie bei kath.ch. Wenn man guten Journalismus | |
macht, wirbelt man automatisch Staub auf. Guter Journalismus heißt: sagen, | |
was ist. Ungeschminkt. Klartext. Pointiert. Das hab ich gemacht“, erklärt | |
Rauch. | |
Es kommt nicht oft vor, dass Kirchenjournalisten in säkularen Medien gelobt | |
werden. Anfang Dezember 2022 titelte die NZZ: „Raphael Rauch hat das einst | |
brave Internetportal kath.ch auf Krawall gebürstet“. Langweilig sei es mit | |
Raphael Rauch nie, denn er wolle „Religionsgeschichten mit Sprengstoff“, er | |
sei „eher ein Tiger als ein Bettvorleger“. | |
## Fundamentalisten als Kritiker | |
Dem hohen Klerus unterwirft er sich nicht. Seine Abneigung gegenüber dem | |
früheren Bischof Vitus Huonder aus Chur und seinem Gefolge machte Rauch in | |
bissigen Artikeln für alle Welt öffentlich. Den Generalvikar Martin | |
Grichting bezeichnete er als „Spaltpilz“, weil er die Wahl des neuen Churer | |
Bischofs mit „schmutzigen Spielchen“ hintertrieb. Weihbischof Marian | |
Eleganti, der früher gerne Clown spielte, wurde bei Rauch zum | |
„Horrorclown“, weil er die Anticoronamaßnahmen seiner Mitbrüder, keine | |
Mundkommunion, leere Weihwasserbecken, torpedierte, als gäbe es keine | |
Pandemie. | |
„Die Aufgabe eines Journalisten ist es nicht, den Bischöfen zu gefallen, | |
sondern ihnen kritisch auf die Finger zu schauen“, sagt Rauch. Das alles | |
gepaart mit Artikeln über Frauen- und LGBTIQ-Themen auf kath.ch. Rauch | |
weiter: „Auf die meiste Resonanz stoßen wir bei den | |
Hardcore-Fundamentalisten, die es schlimm finden, dass wir neutral über das | |
Thema Ehe für alle berichten und nicht sagen: Queere Menschen sind des | |
Teufels!“ | |
Rauch sieht seine Aufgabe auch darin, diejenigen medial zu begleiten, die | |
römisch-katholische Regelverstöße begehen. Im Sommer letzten Jahres etwa | |
hatte die Theologin und Gemeindeleiterin Monika Schmid gegen alle | |
Vorschriften in einer Messe das Hochgebet mitgesprochen, vor laufender | |
Kamera, gedreht von kath.ch. Die demonstrative Regelwidrigkeit kann sich | |
jeder und jede [2][bis heute auf Youtube anschauen]. | |
„Es ist ein Videobeweis, wie eine Frau sich über die bischöflichen Regeln | |
hinwegsetzt, weil sie sagt: Mein Bild von Jesus ist einladend. Wir finden, | |
das Video ist ein Dokument der Zeitgeschichte. Frauen machen. Sie warten | |
nicht, dass Männer ihnen etwas zugestehen, sondern sie gehen mutig voran. | |
Dieses Video ging um die Welt. Dieses Video war Thema im Vatikan“, sagt | |
Rauch mit hörbarem Stolz. | |
## Die Bischöfe als Auftraggeber | |
Er sei daher der von rechten Katholiken meistgehasste Journalist in der | |
Schweiz, [3][behauptet die NZZ]. Gemessen an dem konservativen Schäumen | |
seiner Gegner könnte das sogar stimmen. Sie werfen ihm | |
tendenziös-aggressive Regelüberschreitungen bis hin zu | |
antikatholisch-blasphemischen Entgleisungen vor. Erst im Herbst 2022 ging | |
die Gegenplattform swiss-cath.ch an den Start, ohne jedoch an die | |
Aufmerksamkeitswerte von kath.ch heranzureichen. Unter Rauch dagegen haben | |
sich die Klickzahlen von kath.ch verdreifacht. Sein Claim: „katholisch – | |
aktuell – relevant“. | |
Obwohl auch er Grenzen seines Tuns benennt. Geschmacklosigkeiten gegen den | |
Papst unter der Gürtellinie, [4][für das etwa das Titanic-Magazin stehe,] | |
würde er auf seinem Kirchenportal nicht machen, sagt er im Interview. Das | |
hindert ihn aber nicht daran, wenige Wochen später zu melden: „Homo-Erotik | |
– ‚Saunaurlaub‘ mit Georg Gänswein: ‚Titanic‘ veröffentlicht | |
Satire-Testament von Benedikt XVI.“ Als Meldung zitiert Rauch dann doch | |
genüsslich aus der bissigen Anti-Papst-Satire. Provokation ist | |
offensichtlich Teil seines journalistischen Programms. | |
Dabei sind die Bischöfe seine Auftraggeber. Genauer: kath.ch ist eine | |
Dienstleistung des Katholischen Medienzentrums im Auftrag der | |
römisch-katholischen Kirche in der Schweiz. Kaum verwunderlich, dass die | |
Bischöfe ihren Kirchenredakteur wieder loswerden wollten. Doch vergeblich. | |
Denn Kirche ist mehr als der hohe Klerus. Vor allem Laiinnen und Laien in | |
der Schweiz stärkten Rauch den Rücken. In einer Mediation verständigten | |
sich im Dezember letzten Jahres die Schweizer Bischofskonferenz und das | |
Katholische Medienzentrum in Zürich, dass „ein Spannungsfeld von | |
redaktioneller Unabhängigkeit und Loyalität gegenüber dem kirchlichen | |
Auftraggeber systemimmanent ist.“ | |
Und es gebe viele, wenn nicht viel mehr kritische Katholiken, die sich | |
freuten, dass kath.ch die innerkirchliche Reformdiskussion kritisch | |
widerspiegele, sagt Rauch. | |
## Lamas statt Allgäukühe | |
Rauch wurde in Stuttgart geboren und ist in Leutkirch im Allgäu groß | |
geworden. Er fühle sich in der Schweiz sehr wohl und sei mit Überzeugung | |
Katholik, sagt er. Immerhin gehörte seine Heimatregion früher zum | |
Klosterbezirk St. Gallen mit den Heiligen Magnus, Gallus und Columban, die | |
das Allgäu einst christianisierten. Von seiner Heimatstadt aus könne man | |
den Säntis sehen. Heraus kam aber bei ihm keine Hochgebirgs-Piefigkeit. | |
Sein Vater gehörte zur ersten Generation von Laientheologen, die unter | |
Kasper, Ratzinger und Küng in Tübingen studierten und große Hoffnungen in | |
die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils in den 1960er Jahren | |
setzten. Der Vater studierte auch Agrarökonomie, die Mutter war Lehrerin. | |
Seine Eltern gingen dann als Entwicklungshelfer nach Guatemala und später | |
mit ihm nach Bolivien. Der kleine Raphael sah jetzt Lamas statt Allgäukühe. | |
„Damals war ich noch blond, alle Mädchen wollten ein Küsschen von mir. In | |
Bolivien erlebte ich Katholizität im besten Sinne zwischen Pontifikalämtern | |
und Messen mit Indigenen, in denen Coca-Blätter Teil der Eucharistie sind. | |
Nicht als Droge, sondern als kraftspendende Heilpflanze“, erinnert sich | |
Rauch. | |
Nach drei Jahren Lateinamerika kehrte er ins Allgäu zurück und durchlief | |
eine „klassische katholische Karriere“: Erstkommunion, Ministrant, | |
Oberministrant. Zum Weltjugendtag 2005 schrieb er seine erste Kolumne für | |
die Schwäbische Zeitung „Benedikt berichtet“. Ein kleines Wortspiel, wie | |
der damalige Papst heißt er mit vollem Namen Raphael Benedikt Joseph Rauch. | |
## Rückgrat bewiesen | |
Der Journalismus war von Anfang an sein Ding. Schon in der 3. Klasse begann | |
er seine Schülerzeitungskarriere, dann ab der 5. Klasse arbeitete er sich | |
zum Chefredakteur auf dem Gymnasium hoch. Schon da wollte er lieber | |
Bulldozer oder Vorschlaghammer sein, als vom Schulleiter geliebt zu werden. | |
„Ich bin ein Adrenalin-Typ. Ich will Action und Skandale aufdecken“, sagt | |
er. | |
Sein Privatleben ist tabu. So viel verrät er dann aber doch: Er ist | |
vergeben. Die Liebe seines Lebens habe er 2006 in Tübingen gefunden. Und | |
Gruß aus seiner Küche: Die Deutschen würden das Schweizer Raclette nicht | |
verstehen. Statt billigem in Plastik eingepackten Käse müsse man | |
höhlengereiften Topkäse in die Schaufel legen. Ananas und das ganze Gedöns | |
könne man sich dann sparen. | |
Nun verlässt Raphael Rauch Ende März kath.ch. Mit seinen mindestens 30 | |
Berufsjahren, die er noch vor sich hat, wolle er als Wirtschaftsredakteur | |
beim Boulevardblatt Sonntagsblick der Ringier AG Neues wagen. Dort wird er | |
sich aber sowohl wirtschaftsethischen Themen als auch ab und zu seinen | |
bisherigen Kirchenthemen widmen wollen, verspricht er. Und wie geht es ohne | |
ihn bei dem katholischen Portal aus Zürich weiter? | |
Mit Blick auf kath.ch komme es künftig vor allem darauf an, wieder | |
qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen, sagt er: „Ein junger Mensch, der was | |
draufhat, will zum Spiegel, zur FAZ, zur NZZ, will zu den | |
Öffentlich-Rechtlichen, aber nicht zu kath.ch. Wir buhlen um sie. Wir | |
müssen klar machen: Wir sind klein, aber fein. Bei uns kannst du alles zum | |
Thema Religion machen – von der spirituellen Pflanze Ayahuasca bis zum | |
Zölibat. Wir denken nicht in Schichtplänen und Sendezeiten und | |
Exceltabellen, sondern wir sehen den Menschen im Zentrum, weil wir wissen: | |
der Mensch ist die wichtigste Ressource.“ | |
Aber er meint auch, dass viele Angst hätten, in einem toxischen System wie | |
der Kirche zu arbeiten. Unter angehenden Journalisten und Journalistinnen | |
gebe es eine regelrechte Religionsallergie. Daher müsse kath.ch | |
journalistisch weiter frei arbeiten können und durch flexible | |
Arbeitsverträge noch attraktiver werden. | |
Vielleicht ist Raphael Rauch der beste Beweis dafür, dass man sich auch im | |
Kirchenjournalismus durchsetzen kann, wenn man Rückgrat beweist. Seine | |
Linie, seine Message: „Wahrheit tut weh, Journalismus tut weh. Aber anders | |
sind wir nicht glaubwürdig als Kirche, wenn wir nach diesen ganzen | |
Skandalen nicht sagen: Unabhängigkeit ist ein hohes Gut. Wir leisten uns | |
einen kritischen, unabhängigen Journalismus.“ | |
23 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Serie-Holocaust-und-die-ARD/!5642872 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=fuTNKFIBM_M | |
[3] https://www.nzz.ch/schweiz/raphael-rauch-der-lieblingsfeind-rechter-katholi… | |
[4] /Titanic-Chefredakteurin-ueber-Satire/!5912011 | |
## AUTOREN | |
Thomas Klatt | |
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