| # taz.de -- Galeria schließt Filialen: Das Leben ist kein Kaufhof | |
| > 52 seiner noch 129 Warenhäuser will Galeria Karstadt Kaufhof bis Ende | |
| > Januar 2024 schließen. Kann daraus endlich etwas Neues entstehen? | |
| Bild: Das ehemalige Hertie-Warenhaus in Rendsburg wird nun als Altenheim genutzt | |
| Da ist jetzt wieder viel Wehklagen, in Paderborn und in Leverkusen, in | |
| Offenbach und in Kempten, in Cottbus und in Rosenheim – in so vielen | |
| Städten; Menschen, meist fortgeschrittenen Alters, erinnern sich an die | |
| erste Rolltreppenfahrt, an Warenhäuser, die Träume weckten und erfüllen | |
| konnten. Ausflugsziele waren das, für die Leute aus der Stadt und auch die | |
| vom Land drum herum; Magnete, die Menschen zum Bummeln in die Innenstädte | |
| zogen. Wenn die Warenhäuser weg sind, was bleibt dann noch? | |
| [1][52 seiner noch 129 Warenhäuser] will der Konzern mit dem | |
| Namenskonglomerat Galeria Karstadt Kaufhof – das die Geschichte langen | |
| Siechens schon verrät – in zwei Wellen bis Ende Januar 2024 schließen. Zwar | |
| wird sich die Liste noch verändern – für die Häuser in Erlangen, Bayreuth, | |
| Leipzig, Oldenburg und Rostock ist ein Weiterbetrieb nun doch in Sicht –, | |
| aber nach der soundsovielten Schrumpfphase sollte klar sein: das | |
| Geschäftsmodell Warenhaus funktioniert nicht mehr. Mehrere tausend | |
| Arbeitsplätze verschwinden, was tragisch ist. Andererseits hatten diese | |
| wohl keine Zukunft, und es werden gerade überall Verkäuferinnen und | |
| Verkäufer gesucht. Das Schicksal der Schlecker-Frauen dürfte sich also | |
| nicht wiederholen. | |
| Aus der Zeit gefallen sind diese riesigen Häuser, die alles anbieten, sich | |
| aber zu unflexibel auf die Bedürfnisse an einem Standort einstellen. Das | |
| aufregende Einkaufserlebnis bieten sie lange schon nicht mehr, und gegen | |
| den Onlinehandel haben sie langfristig kaum Chancen. Wesentliche Teile des | |
| kaufhaustypischen Sortiments erwerben Kunden online; da ist die Auswahl | |
| größer, und wenn was doch nicht passt oder gefällt, schickt man’s zurück. | |
| Für 2023 erwartet der Einzelhandelsverband, dass die Umsätze des | |
| stationären Handels inflationsbereinigt um 4 Prozent schrumpfen und im | |
| Onlinehandel im gleichen Maße zunehmen. So geht es immer weiter. | |
| Aber: [2][Schiebt man die Nostalgie beiseite], schaut man sich Städte an, | |
| die das Ende ihres Warenhauses bereits miterlebt haben, dann sieht es nicht | |
| so schlecht aus. Da kann Neues entstehen; etwas, das besser in die Zeit | |
| passt; etwas, das die Städte belebt, Menschen anlockt und die Warenhäuser | |
| nur noch als ein Zeitphänomen erscheinen lässt. Schön, dass es sie mal gab | |
| – aber so ging es nicht weiter. | |
| ## Erste Idee: Ein Pflegeheim | |
| Eine, die darüber viel erzählen kann, ist Nina Hangebruch. Die Raumplanerin | |
| der TU Dortmund hat für ihre Promotion das Schicksal von 220 Warenhäusern | |
| untersucht, die zwischen 1994 – nach der Fusion von Karstadt und Hertie | |
| sowie Kaufhof und Horten – und 2019 geschlossen wurden. Hangebruch | |
| aktualisiert ihr Forschungsfeld fortlaufend, inzwischen kennt sie die | |
| Geschichte von 260 geschlossenen Warenhäusern. Sie sagt: Für 95 Prozent der | |
| Häuser – und damit auch der sie umgebenden Stadtzentren – ging es gut aus, | |
| diese Häuser stehen nicht leer. 70 Prozent wurden umgenutzt, aus der Krise | |
| ist etwas entstanden, was trägt. Da wohnen jetzt Menschen drin, da finden | |
| Veranstaltungen statt, da gibt es Kultur- und Bildungseinrichtungen, | |
| Museen, Hotels, Kitas, Büros, Co-Working-Spaces und neuen Handel mit | |
| zeitgemäßen Konzepten. Lagen Warenhäuser – Monolithen, die sie sind – na… | |
| Geschäftsschluss, an Sonn- und Feiertagen leblos da, ist da nun Leben. | |
| Wird ein Warenhaus geschlossen, müssen sich Städte Gedanken machen, müssen | |
| Investoren gewinnen, Bürger beteiligen, Ideen sammeln und verwerfen. Das | |
| erfordert viel Arbeit, natürlich. Einfacher wäre es, so ein Haus | |
| abzureißen. Nur nachhaltig ist das nicht – und man hat vielleicht jahrelang | |
| eine Brache mitten in der Stadt, so wie in Schleswig. Dort klafft seit 2019 | |
| ein Loch, wo Hertie vorher war. | |
| Dass es sich lohnt, neu zu denken, zeigt Rendsburg. Im ehemaligen Hertie | |
| wohnen heute um die 100 Menschen, ein Pflegeheim ist dort entstanden. Die | |
| Ausgangsbedingungen waren günstig, sagt Jes Hansen, der in das | |
| Architekturbüro seines Vaters Werner Schaffer eingestiegen ist. Schaffer | |
| konnte, nachdem lokale Investoren das Haus übernommen hatten, | |
| altersgerechte Zimmer einbauen, weil es frei im Stadtraum steht, nicht | |
| gefangen zwischen anderen Gebäuden. In die Fassade wurden Fenster | |
| geschnitten, ein Lichthof eingebaut, um Tageslicht hineinzubringen. Im | |
| Innern merkt man, dass das Haus nicht als Pflegeheim konzipiert wurde. Es | |
| ist ein Kompromiss, aber kein fauler, wie Schaffer findet: Unterschiedlich | |
| geschnittene Räume, kein tristes Einerlei, das belebe das Haus. | |
| ## Keine Monolithen mehr | |
| Allerdings: Ein Haus umzuwandeln ist nicht leicht. Jes Hansen sagt, dass es | |
| keine Umbauordnung gebe in Deutschland, die würde Umnutzungen weniger | |
| kostspielig machen. Es ist nämlich so: Als Kaufhaus hatte das Gebäude alle | |
| Genehmigungen – Brandschutz, Schallschutz und so weiter – und hätte als | |
| solches weiterbetrieben werden können. Wird ein Gebäude umgenutzt, wird es | |
| wie ein Neubau behandelt. Das ist aufwendig und teuer. | |
| [3][Bauen im Bestand hat aber auch Vorteile]. Würde ein Gebäude abgerissen, | |
| dürfte es unter Umständen nicht in derselben Größe errichtet werden, | |
| Nutzfläche ginge verloren. | |
| In Rendsburg wohnen jetzt Menschen im alten Hertie, manche haben dort | |
| früher eingekauft. Es ist ein Ort entstanden, der Geschichte in sich trägt | |
| und sie weiterspinnt. Aus der Krise ist etwas Vorbildhaftes entstanden. | |
| Ein Pflegeheim wird sich nicht überall einbauen lassen, auch wenn in einer | |
| alternden Gesellschaft viele gebraucht werden. Der Architekt Jes Hansen | |
| sagt, es müsse für jeden Ort überlegt werden, was er braucht und was dort | |
| machbar ist. Auch das ist die Abkehr vom Kaufhaus-Monolithen, der nahezu | |
| überall das gleiche Angebot machte. | |
| ## Zweite Idee: Zurück ins Mittelalter | |
| Weiter im Süden, in Worms, entsteht gerade im alten Galeria Kaufhof etwas | |
| Neues, das eigentlich etwas ganz Altes ist. Der Projektentwickler Ehret und | |
| Klein aus Starnberg will das Haus, das er 2020 übernommen hat, mit den | |
| Funktionen wiederbeleben, die die mittelalterliche Stadt ausmachten: | |
| Handel, Wohnen, Leben, Arbeiten. Mixed Use heißt das Konzept, K32 das | |
| Projekt, benannt nach der Adresse in der Kämmererstraße. Ins Rückgebäude – | |
| den ehemaligen Verwaltungstrakt – ist die Stadt mit Büros gezogen, sie | |
| brauchte Platz. Das eigentliche Kaufhausgebäude wird umgebaut. | |
| Marco Ulivieri, der bei Ehret und Klein für K32 verantwortlich ist, | |
| beschreibt, was passiert. Fenster, die zugemauert wurden, werden wieder | |
| geöffnet, auf das Dach werden in Holzbauweise elf Wohnungen gesetzt. Man | |
| kann dann dort mit Blick auf den Wormser Dom leben. In die ehemaligen | |
| Kaufhausetagen sollen Bildungseinrichtungen ziehen, Co-Working-Plätze sind | |
| geplant, Kultureinrichtungen, ein Supermarkt, ein paar ausgewählte Läden. | |
| Mehrere Workshops haben sie veranstaltet, um die Wormser zu überzeugen, die | |
| Leute konnten Ideen einbringen. Es soll etwas entstehen, was den Bedarf | |
| deckt und auch angenommen wird. | |
| Ein Blick noch nach Lübeck und Oldenburg. In Lübeck stand die Filiale von | |
| Karstadt Sport zwei Jahre leer, dann hat die Stadt sie gekauft. Sven | |
| Lohmeyer von Urbanista, einem Büro für Stadtentwicklung, sagt, dass das | |
| eine gute Idee sei, weil dann die Stadt mitreden und etwa mithilfe eines | |
| Wettbewerbs vorgeben könne, was dort geschehe. So gewinnt sie Einfluss und | |
| steuert. In Lübeck soll der alte Karstadt Sport von Gymnasien genutzt | |
| werden, die allesamt Platznot haben, auch die Universität soll dort Räume | |
| bekommen, Geschäfte sind geplant und Platz für Start-ups. Das Problem: | |
| Galeria Karstadt Kaufhof will jetzt auch das noch bestehende Warenhaus | |
| schließen, es ist mit dem alten Karstadt Sport verbunden. Und nun? Sie | |
| müssen wieder neu denken. | |
| In Oldenburg dämmerte über Jahre der ehemalige Hertie vor sich hin. Es hieß | |
| CCO – City Center Oldenburg – und beherbergte den traurigsten | |
| Spielzeugladen der Stadt namens Spiele Max, einen Saturn und ein paar | |
| wechselnde Geschäfte. Irgendwann zog Saturn in die neue Shopping-Mall am | |
| anderen Ende der Stadt, das CCO stand leer. Dann kaufte es eine Gruppe | |
| lokaler Investoren, hübschte es ganz ordentlich auf und nannte es Core. | |
| Core wie Kern, das neue Herzstück der Stadt. Ziemlich selbstbewusst. Unten | |
| kann man essen und trinken, es gibt ein lichtes Café, oben sind | |
| Co-Working-Plätze, eine Werbeagentur zog ein, eine regionale Bank berät | |
| Kunden. Heute pulsiert da ein Ort, der vorher verwaist war und düster. | |
| Nina Hangebruch, die Forscherin aus Dortmund, sagt, es sei typisch, dass | |
| die neuen Investoren aus der Region kommen und sich der alten Immobilie | |
| annehmen, weil sie oft einen Blick dafür haben, was passen könnte. Und weil | |
| sie vor allem ein Interesse daran haben, dass ihre Stadt neu belebt wird. | |
| ## Eine Kletterhalle, ein Bällebad und noch mehr Ideen | |
| Oldenburgs Galeria-Warenhaus am anderen Ende der Fußgängerzone sei nun von | |
| der Streichliste wieder entfernt, hieß es nach Tagen des bangen Hoffens. | |
| Die Verkaufsfläche soll verkleinert werden, ins Untergeschoss kommt ein | |
| Supermarkt, das dritte Obergeschoss soll anderweitig vermietet werden. | |
| Aufatmen, Jubel bei den Mitarbeiterinnen, wie der Lokalreporter der | |
| [4][Nordwest-Zeitung] berichtet. | |
| Als Beobachter denkt man: Schade eigentlich, denn die entschlossen | |
| geplanten Umnutzungen in anderen Städten wirken so viel attraktiver und | |
| zukunftsträchtiger. In Oldenburg würde sich zum Beispiel eine | |
| innerstädtische Kletterhalle, ein riesiges Bällebad, ein attraktiver Ort | |
| zum Sich-Aufhalten sehr gut machen. Die Stadt als place to be, nicht nur | |
| als place to buy. | |
| 18 Mar 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Felix Zimmermann | |
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