# taz.de -- Alkoholverkaufsverbot im Irak: Ansturm auf den letzten Tropfen | |
> Das irakische Parlament will Alkoholverkauf auch nach dem Ramadan | |
> verbieten. Das richtet sich vor allem gegen Christen und Jesiden. Ein | |
> Ortsbesuch. | |
Bild: Vor Ramadan machen die Alkoholverkäufer in Bagdad immer besonders hohen … | |
Unter meterhohen Leuchtbuchstaben – Glenfiddich, ein schottischer Whiskey – | |
und vor mit dunkler Folie abgeklebten Glastüren sitzt, gelangweilt am | |
Smartphone spielend, ein Mann. Wer den Laden im zentralen Bagdader | |
Stadtteil Jarmouk betreten will, muss ihm den Inhalt seiner Tasche zeigen, | |
die Männer tastet er kurz ab. Innen, Reihe um Reihe, importierter und | |
lokaler Alkohol: Wein aus dem Libanon, Wodka aus Schweden, Whiskey aus den | |
USA, Bier aus dem norddeutschen Flensburg, Arrak aus der Autonomen Region | |
Kurdistan im Nordirak. | |
Draußen tobt der Verkehr, der Shop liegt an einer großen Straße, die zum | |
Flughafen führt, und das Hupen des chaotischen Bagdader Verkehrs dringt bis | |
in den Laden. An der Kasse sitzt, Reis und Hühnchen essend, mit leuchtend | |
grünen Augen und gestyltem langem Bart Elias, der seinen echten Namen nicht | |
veröffentlicht sehen möchte. Während des Essens kassiert er ab, verpackt | |
Flaschen in blickdichte bunte Plastiktüten. Das Geschäft brummt, sagt er. | |
Kurz vor Ramadan mache er immer erhöhten Umsatz. Die Irakerinnen und Iraker | |
horten Wein, Bier, Schnaps, bevor die Alkoholshops – die einzigen Läden, | |
die die Droge verkaufen dürfen – für [1][den Fastenmonat] dichtmachen | |
müssen wie jedes Jahr. | |
Mehrere Männer schleppen schwere Kartons und Weinkisten auf ihren Rücken | |
aus dem Kleinlaster herein, der vor der Tür steht – eine der letzten | |
Lieferungen, bevor am 23. März den ersten Tag gefastet wird. Und in diesem | |
Jahr ist alles noch etwas komplizierter: [2][Anfang März hat das irakische | |
Parlament ein bereits im Jahr 2016 beschlossenes Gesetz] aus der | |
Mottenkiste gekramt, das Alkohol im Irak verbietet. Der Alkohol, der sich | |
bereits im Land befindet, dürfe noch verkauft werden, erzählt Elias, danach | |
soll Schluss sein. Die Winzer und Arrakproduzenten, fast alle sitzen in der | |
Autonomen Republik Kurdistan, müssten die Produktion herunterfahren. | |
„Der Irak ist kein muslimisches Land“, sag Elias, der selbst Christ ist. | |
Doch die Regierung, meinen viele, versuche es langsam in ein solches zu | |
verwandeln. Muslime, egal ob Sunniten oder Schiiten, dürfen im Irak | |
grundsätzlich keinen Alkohol verkaufen. Die Alkoholshops sowie Restaurants | |
und Bars, die ausschenken, sind im Besitz von Christen und Jesiden. Auch | |
der Inhaber des Shops, in dem Elias arbeitet, ist Christ. | |
## „Alle Ethnien und Religionen“ | |
Während Elias spricht, schickt er seine Kunden an die Kasse gegenüber. Ein | |
junger Mann mit Hornbrille und Sakko bezahlt Wein, ein älterer Herr in | |
brauner Dishdasha, dem traditionellen langen Kaftan, den Muslime im Irak | |
tragen, kauft eine Dose Bier. Eine paar Jungs lungern bei den Alkopops | |
herum. „Unsere Kunden kommen aus allen Ethnien, allen Religionen“, sagt | |
Elias. | |
Dass nun für einen Monat die Einkommensquelle des Shops wegfällt, findet er | |
wenig dramatisch. Denn die Preise seien gerade sehr hoch, seine | |
Einkaufspreise aber dieselben wie zuvor, zwinkert er: „Wir haben | |
vorgesorgt.“ Um [3][das Alkoholverbot] macht er sich wenig Sorgen, er ist | |
sich sicher, dass das Gesetz nur temporär in Kraft sein werde, ein | |
politischer Coup. Es werde pünktlich zum Ende des Ramadan wieder | |
aufgehoben, meint er. Weil die Käufer so divers sind, aber auch weil die | |
christliche Minderheit im Parlament gegen das Gesetz protestiert. Und weil | |
Alkohol zum Irak historisch dazugehört: Vor allem die Weinproduktion hat | |
eine lange Tradition, bereits vor über 2.700 Jahren wurde in der | |
nordirakischen Nineveh-Ebene Wein in industriellem Maß hergestellt. | |
## Vor allem Whiskey beliebt | |
Adam arbeitet als Kellner in einem von einem Jesiden geführten Restaurant, | |
ebenfalls in Jarmouk. Er kommt aus Bashiqa, einer nordirakischen Stadt, die | |
hauptsächlich von Jesiden und Christen bewohnt wird und in der traditionell | |
Arrak gebraut wird. Auch er heißt eigentlich anders. Das Lokal gehört einem | |
Jesiden. Auch Restaurants und Bars, die Alkohol ausschenken, dürfen nicht | |
im Besitz von Muslimen sein. | |
Noch ist das Restaurant geschlossen, doch am Abend soll es voll werden. An | |
der Wand hängt ein großes Werbeplakat für das im Restaurant servierte Bier: | |
darauf zwei Männer in bayrischer Tracht, die mit großen Maßkrügen anstoßen, | |
sowie der Name einer irakischen Brauerei, die einem Jesiden gehört. Die | |
dunklen Holzbänke darunter sind leer. Näher ran an einen bayrischen Gasthof | |
kann man in Bagdad wohl nicht kommen. Gerade am Wochenende, Freitag und | |
Samstag im Irak, sagt er, machten sie mit Alkohol ordentlich Umsatz. Vor | |
allem Whiskey sei momentan bei den Gästen beliebt. | |
## Umsatz steigt merklich | |
Als der [4][„Islamische Staat“ seine Heimat Bashiqa und das umliegende | |
Gebiet 2014 überfiel], mussten dort die Distillerien dichtmachen, erzählt | |
er. Nicht alle wurden wieder geöffnet, auch aus finanziellen Gründen: Der | |
Wiederaufbau muss bezahlt werden. Als der „Islamische Staat“ 2014 auf | |
Bagdad vorrückte, blieb das Restaurant, in dem Adam arbeitet, geöffnet. Nur | |
an Ramadan schließen sie, jedes Jahr. Aus Respekt: „Unsere muslimischen | |
Gäste erkennen das an“, sagt er. Und vorher – „natürlich“ – steige … | |
Umsatz merklich. | |
Dass Alkohol nun ganz verboten bleiben könnte, sorgt ihn, doch | |
pessimistisch will er nicht sein: „Wir werden sehen“. Heimlich | |
auszuschenken sei keine Option, nicht in diesem Viertel, nicht in diesem | |
Restaurant, das gerne von der Bagdader Mittel- und Oberschicht besucht | |
wird. Für die ganz Großen, die die Millionen an Umsatz machten, die | |
Importeure, sei das aber kein Problem: Sie würde schon Wege finden. Die | |
Grenzen sind lang, die Beamten immer wieder korrupt. Dass das Gesetz, das | |
Alkohol verbietet, der islamischen Pietät des Landes dienen soll, glauben | |
weder Adam noch Elias. Im Gegenteil: Alkohol werde verboten, um den | |
Drogenkonsum der Menschen zu fördern, sagen beide. Die schiitischen | |
Milizen, sagen sie, verdienten mit der Herstellung sowie dem Import | |
billiger, vor allem chemischer Drogen aus dem Iran gut Geld. Auch andere | |
Iraker, auf das Alkoholverbot angesprochen, teilen ihre Theorie. | |
## Mächtige schiitische Milizen | |
Die vom Iran unterstützten und teilweise direkt dessen Befehle empfangenden | |
Milizen sind heute einer der großen Mitspieler in der politischen | |
Landschaft des Irak. Erstarkt sind sie bereits nach dem Sturz des damaligen | |
Diktators Saddam Hussein nach der US-Invasion im März 2003. Vor allem | |
während des ab 2006 wütenden Bürgerkriegs gewannen sie weiter an Macht, | |
ebenso im Kampf gegen den „Islamischen Staat“, der zeitweise Teile des | |
Landes kontrollierte. Ideologisch stehen sie ebenfalls der Islamischen | |
Republik Iran nahe, und dazu gehört auch: Alkoholkonsum ist eine Sünde | |
gegen Gott. | |
Die Sicherheitskräfte, die vor den Alkoholshops sitzen, erinnern daran: | |
Auch wenn die meisten Iraker und Irakerinnen akzeptieren oder zumindest | |
ignorieren, dass im Land Alkohol verkauft und ausgeschenkt wird, bleibt das | |
manchen Politikern, manchen Gruppen ein Dorn im Auge. Und je nachdem, wie | |
viel Macht diese haben, könnten Elias und Adam bald arbeitslos werden – zum | |
Leidwesen vieler trinkfreudiger Irakerinnen und Iraker, egal ob Christen, | |
Jesiden oder Muslime. | |
21 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Kolumne-Halleluja/!5063339 | |
[2] https://www.bbc.com/news/world-middle-east-64858892 | |
[3] /!5347863/ | |
[4] /Terrormiliz-Islamischer-Staat-im-Irak/!5848680 | |
## AUTOREN | |
Lisa Schneider | |
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