# taz.de -- Politische und moralische Ambivalenz: Wie es sein mag, Soldat zu se… | |
> In Tarn und mit Schild sind die Soldaten beides gleichzeitig – | |
> uniformiert und individuell. Was denken sie wohl über die aktuelle | |
> politische Situation? | |
Bild: Ich im Zug: Überall sitzen Soldaten | |
Ich sitze im Zug und überall sind deutsche Soldaten. Kommt es mir so vor | |
oder sind es mehr geworden in letzter Zeit? Im Alltag sind sie mir | |
verborgen, bei ihren Reisen zu Kasernen erhalten Kriegsnachrichten | |
plötzlich einen wirklichen Bezug. Frauen und [1][Männer in | |
Camouflage-Uniform], in grün-braun-schwarzem Flecktarn inmitten der | |
Zugreisenden. | |
Es ist ein Sonntagabend. In Tarn und mit Schild sind die Soldaten beides | |
gleichzeitig – uniformiert und individuell ausgestellt. Woher kommen die | |
ganzen Soldaten, denke ich während der Fahrt. Hat es mit dem Ukraine-Krieg | |
zu tun, dass ich so viele sehe? | |
Ich kann nicht anders, als Soldaten immer in Bezug auf die Gesellschaft zu | |
denken. Ich sehe in ihnen ihren Auftrag samt aller politischen und | |
moralischen Ambivalenz und Historie. Wenn ich Soldaten sehe, stelle ich mir | |
vor, welche Haltung sie zur aktuellen politischen Situation haben. | |
Was sie darüber denken, womöglich Menschen zu töten, eine Waffe zu nutzen, | |
in einem fremden Land ihren Auftrag zu erfüllen. Sie stellen die | |
Verkörperung eines Diskurses dar, den die meisten Menschen nur aus der | |
Distanz wahrnehmen. Wie muss es sein, ein Soldat zu sein, eine Soldatin? | |
## Ein Krieg wirkte damals weit weg | |
Ich denke an einen Vortrag, den ich einmal an einem Abend an einer | |
Bundeswehr-Universität besucht habe. Eine junge Studentin in Uniform, die | |
mit auf dem Podium saß, erzählte mir später beim Stehempfang, dass sie als | |
Frau in der Bundeswehr nicht anders behandelt werden wolle als Männer. Dass | |
sie es mögen würde, dass sie in der Uniform gleich seien und dass sie auch | |
nicht Soldatin genannt werden wolle. Die Berufsbezeichnung sei für sie | |
Soldat. „Ich bin Soldat“, sagte sie. | |
Ich habe sie nicht verstanden, weil ich Autorin genannt werden möchte und | |
nicht Autor. Aber ich habe über das Gespräch länger nachdenken müssen. Sie | |
erzählte von einem System, an dessen Komplexität ich meine Wirklichkeit | |
nicht gleich anlegen konnte. In meiner Generation mussten alle Jungen nach | |
der Schule entweder zum Wehr- oder Zivildienst gehen. Die meisten in meinem | |
Umfeld entschieden sich [2][selbstverständlich für den Zivildienst.] | |
Ein Krieg, der uns in Europa unmittelbar Angst machen würde, wirkte damals | |
weit weg. Das erste Mal in einer Kaserne war ich vor ein paar Jahren, als | |
ich anfragte, ob Studierende eines Seminars von mir dort recherchieren | |
könnten. Die Soldatin, an die ich meine Frage richtete, schlug vor mir ihre | |
Hacken zusammen und führte mich zu einem Vorgesetzten. Ich nahm erstaunt | |
ihre Geste und die Codes und Regeln an diesem Ort wahr. Wenn ich | |
Soldatinnen und Soldaten im Zug sehe und sie scheinbar nahbarer werden, | |
entstehen in meinem Kopf unweigerlich Bilder, Meinungen, Fragen. | |
Später an diesem Sonntagabend im Bordbistro sitzt ein junger Soldat am | |
Tisch im Gang nebenan. Er wirkt klein und mager. Die Uniform sitzt etwas | |
weit an seinem Körper. Kurze Zeit später gibt er über sich Auskunft, als | |
sich ein Mann ihm gegenüber hinsetzt. Der Soldat beginnt von seiner Fahrt | |
zu erzählen. „Wir Soldaten fahren ja eh umsonst“, sagt er. Ohne, dass ihn | |
der Mann fragt, beginnt er von sich zu erzählen. | |
„Ich wollte immer Schrauben und Wald“, sagt er. „Beides habe ich jetzt.�… | |
erzählt von [3][Übungen im Wald] und wie er an Fahrzeugen arbeite, dann | |
auch von Schießübungen, bei denen er gut getroffen habe. Ich überlege, was | |
der Mann ihm gegenüber wohl davon hält. Der Soldat erzählt, wie lange er | |
sich verpflichten will. Dann bekommt er einen Anruf und sagt „Schatz“ in | |
den Apparat. | |
Ich denke über seinen Schatz nach, wie es wohl sein mag, einen Soldaten zum | |
Mann zu haben, an welcher Realität man damit Anteil nimmt. Als ich das | |
Bistro verlasse und durch das Großraumabteil gehe, sehe ich wieder | |
Soldaten, Männer und Frauen, die meisten von ihnen sehr jung. Ich muss in | |
ein paar Minuten aussteigen. Doch ich beschließe, beim nächsten Mal Fragen | |
zu stellen. | |
11 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
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