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# taz.de -- „Nationaldienst“ in Frankreich: Strammstehen im Ferienlager
> Zwei Wochen patriotische Staatskunde will Frankreichs Präsident den
> Jugendlichen verordnen. Was einige „ekelhaft“ nennen, finden andere
> richtig.
Bild: So könnte für Emmanuel Macron ein glungener Ausflug an der frischen Luf…
Paris taz | Brauchen Frankreichs Jugendliche Nachhilfeunterricht in Sachen
Staatskunde? Ein militärisch organisierter zweiwöchiger Aufenthalt im
Ferienlager mit einem Programm wie in der Kaserne schwebt Emmanuel Macron
vor: Aufstehen um 6.30 Uhr, Nationalflagge hissen, in Uniform strammstehen
und die Marseillaise singen.
Das ist in etwa – und kaum boshaft karikiert –, was sich der Präsident
unter einem künftigen obligatorischen Nationaldienst für Jugendliche
vorstellt. Das Programm soll der Integration der 15- bis 17-Jährigen in die
Gesellschaft der französischen Republik dienen.
Macron ist überzeugt, dass in Frankreich seit der Abschaffung der
Wehrpflicht durch Jacques Chirac ein Vakuum existiert. Dieses möchte er
durch eine neue Form des seit 2019 existierenden, aber freiwilligen Service
National Universel (SNU) füllen – und zwar mithilfe der Streitkräfte: „Ich
weiß, dass ich auf die Militärs und Ex-Militärs zählen kann, um die
moralischen Kräfte der Nation, namentlich bei der Jugend, zu stärken.“
Damit ist schon fast alles über die Inhalte des geplanten Nationaldienstes
gesagt: Staatskunde in einem militärisch organisierten Rahmen für die noch
minderjährigen Jungbürger*innen verschiedenster Herkunft. Dabei soll
Interesse geweckt werden, sich sozial zu engagieren und möglicherweise auch
selbst zu den Streitkräften zu gehen.
## „Skandalös und unverantwortlich“
Das sei „ein schlechter Scherz“, meinen ein paar Mittelschüler, die in
Paris vor dem Lycée Duruy stehen. Auch Frankreichs Jugend- und
Studierendenverbände sind gegen das Vorhaben. „Das ist leider kein Witz,
Macron hat die feste Absicht, das zu machen“, sagt Felix Sosso, Student an
der Universität Amiens und Sprecher der Fage (Fédération des Associations
Générales Etudiantes), einer der wichtigsten Studierendenorganisationen
Frankreichs.
„Bürgerkunde in Uniform und organisiert von den Militärs, das entspricht
nicht unseren Vorstellungen einer Förderung des Miteinanderlebens.“ Schon
die jetzige Form des SNU funktioniere nicht, dass diese jetzt obligatorisch
werden soll, lehne man bei Fage erst recht ab.
Es gebe andere Prioritäten, ist Sosso überzeugt. Zusammen mit anderen
Organisationen hatte er für Donnerstag zu einer Kundgebung gegen [1][die
geplante Rentenreform] und für die Verbesserung der oft prekären
Lebensbedingungen von Jugendlichen aufgerufen.
Einer der Teilnehmer*innen war Ephram Strzalka-Beloeil. Er besucht in
einem westlichen Vorort von Paris noch eine Mittelschule und ist Sekretär
der Schülergewerkschaft La Voix Lycéenne. Ihn empört die Staatsführung, die
den Jugendlichen nichts Besseres anzubieten wisse als einen obligatorischen
SNU. „Ekelhaft, skandalös und unverantwortlich“ sei das. Macron wolle „e…
Jugend, die strammsteht, auf die Füße schaut und gehorcht“.
## Auch Zustimmung unter Jugendlichen
Keinesfalls sei „eine Rückkehr zum Militärdienst“ vorgesehen, beschwichti…
dagegen die Staatssekretärin für Jugendfragen, Sarah El-Haïry, im Journal
du Dimanche. Es gehe darum, „allen Jugendlichen republikanisches Gepäck
mit auf den Lebensweg zu geben“.
Und auch unter Jugendlichen gibt es Zustimmung: Nicht alle finden
Patriotismus altmodisch oder halten die Vermittlung von Grundwerten für
Indokrination. Im Kontext des Ukrainekriegs sagte eine Mittelschülerin aus
Saint-Genis-Laval jüngst bei einer Radiodiskussion: „Alle Franzosen müssten
auf ihre Nation stolz sein und bereit sein, zu den Waffen zu greifen, falls
wir eines Tages im Krieg sein sollten.“ Für den freiwilligen SNU hatten
sich im letzten Jahr nur 32.000 Interessierte auf 50.000 Plätze gemeldet.
Obwohl bereits im kommenden Jahr eine Testphase in sechs französischen
Departements geplant ist, sagt El-Haïry, die Regierung habe es „gar nicht
eilig“ mit ihrem Vorhaben. Denn auch die Kosten des Jugenddienstes könnten
noch für Diskussionen sorgen: Zwölftägige patriotische Ferienlager für rund
800.000 Jugendliche beider Geschlechter würden den Staat rund 2 Milliarden
Euro pro Jahr kosten.
11 Mar 2023
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## AUTOREN
Rudolf Balmer
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