# taz.de -- Landtagswahl in Hessen: Grüne joggen Richtung Staatskanzlei | |
> Tarek Al-Wazir will der erste grüne Ministerpräsident Hessens werden. | |
> Doch neun Jahre Regierung mit der Union gefallen nicht allen. | |
Bild: Tarek Al-Wazir beim Parteitag: Macht und Turnschuhe gehören für Hessens… | |
WETZLAR taz | Die weitläufige Bühne des Buderus-Forums ist in grünes Licht | |
getaucht. Mehr als 1.000 Mitglieder sind zur Landesversammlung der | |
hessischen Grünen nach Wetzlar gepilgert. Bei der Landtagswahl am 8. | |
Oktober will die Partei [1][erstmals stärkste Partei werden]. Mit | |
Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir haben sie dieses Mal sogar einen | |
Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten benannt. | |
Die Versammlung feiert den Aufbruch zum „Dreikampf um die Hessische | |
Staatskanzlei“ mit stehenden Ovationen. Es gibt nur zwei Neinstimmen und | |
ein paar Enthaltungen. Und „Tarek“ bekommt ein Paar grüne Turnschuhe mit | |
auf den Weg: „Für seine Vereidigung als Ministerpräsident am 18. Januar“. | |
Die Sneaker stehen als Symbol für den Marsch der immer noch jungen Partei | |
durch die Institutionen. Joschka Fischer leistete 1985 als erster grüner | |
Minister im Hessischen Landtag seinen Amtseid in weißen Turnschuhen – | |
Al-Wazir soll als erster hessischer Regierungschef diese Erfolgsgeschichte | |
fortschreiben. | |
„Wir können stolz sein, Hessen ist grüner und gerechter geworden!“, | |
bilanziert Al-Wazir, amtierender Vizechef der schwarz-grünen | |
Regierungskoalition, die neun Jahre als Juniorpartner der CDU. Immer wieder | |
sei man in dieser Zeit jedoch auch an Grenzen gestoßen, erklärt | |
Wissenschaftsministerin Angela Dorn – und begründet so auch den neuen | |
Anspruch auf die Führungsrolle. „Es macht einen Unterschied, wer an der | |
Spitze steht“, versichert sie und empfiehlt Al-Wazir, den „Offenbacher Bub | |
mit jemenitischen Wurzeln“, als künftigen Ministerpräsidenten. | |
## Kampkandidatur gegen Al-Wazir | |
Doch neun Jahre Regierungsroutine in Wiesbaden und nun auch in der Berliner | |
Ampel fordern ihren Preis. Der umjubelte Kandidat Al-Wazir, wegen des | |
Frauenstatuts formal hinter Dorn auf Platz 2 der Landesliste, bekommt auch | |
Gegenwind. | |
Der zeigt sich in Gestalt einer Kampfkandidatur des pensionierten | |
Studienrats Joachim Mietusch. „Traurig und wütend“ hätten ihn die vielen | |
Kompromisse der Grünen in der Regierung gemacht, sagt Mietusch, der sich | |
einen „Wurzelgrünen“ nennt. Angesichts der Klimakatastrophe gelte es, die | |
Lebensgrundlagen zu retten. | |
„Die Physik kennt keine Kompromisse“, mahnt er. Den grünen „Realos“ wi… | |
er vor, an ihren Posten zu kleben, während sie gleichzeitig Bäume für | |
Straßen fällen ließen. Gegen den Hoffnungsträger hat Mietusch natürlich | |
keine Chance. Aber immerhin erhält er 71 Stimmen, das sind 7,5 Prozent. | |
Eine deutlichere Quittung für den von vielen als „Kuschelkurs“ erlebten | |
Umgang mit dem Koalitionspartner CDU bekommt dagegen Eva Goldbach, die | |
innenpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der | |
Landtagsfraktion. Bei ihrer Kandidatur für Platz 5 der Landesliste fällt | |
sie glatt durch. Erst am späten Abend, nach einem Dutzend verlorener | |
Wahlgänge, landet sie schließlich als Nummer 25 auf der Liste. | |
## Zu gute Freunde | |
Auch dieser Platz dürfte für den Einzug in den nächsten Landtag ausreichen. | |
Doch die Basis kreidet der Innenpolitikerin offenbar ihren allzu | |
geschmeidigen Umgang mit dem CDU-Landesinnenminister Peter Beuth an. | |
Die [2][rechten Machenschaften in der hessischen Polizei], des Ministers | |
Umgang mit den Opfern und Angehörigen des [3][rassischen Anschlags in | |
Hanau], sein mangelnder Aufklärungswille nach dem [4][Mord am Kasseler | |
Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU)] – in den Augen ihrer | |
parteiinternen Kritiker sorgte Goldbach nicht für die nötige Distanz zu den | |
Fehlleistungen Beuths. | |
Dass es auch anders geht, stellte ihre Fraktionskollegin Katy Walther unter | |
Beweis. Sie hatte als verkehrspolitische Sprecherin eine ähnlich schwierige | |
Aufgabe: An ihr lag es, zu erklären, warum die Grünen die Autobahnprojekte | |
an der A49 und den Riedbergtunnel in Frankfurt zwar für Irrsinn halten, der | |
grüne Landesverkehrsminister gleichwohl [5][unter Polizeischutz Bäume | |
fällen ließ]. | |
Als parlamentarische Beobachterin war sie bei der [6][Räumung des | |
Dannenröder Forstes] oder im Fechenheimer Wald vor Ort. „Wir konnten die | |
verfluchte Autobahn nicht verhindern“, sagt sie ernüchtert und wirbt | |
gleichzeitig für neue Mehrheiten in Wiesbaden und Berlin: Solche | |
„Wahnsinnsprojekte“ müssten aus dem Bundesverkehrswegeplan gestrichen | |
werden, fordert Walther. Vor fünf Jahren rutschte sie über einen der | |
letzten Plätze gerade noch so in den Landtag. Diesmal schafft sie auf | |
Anhieb Platz fünf. | |
## Gepflegtes Spießer-Image | |
Für die nächste Legislaturperiode versprechen die Grünen in Hessen einen | |
entschiedenen Anlauf zur Transformation des Landes und seiner Wirtschaft. | |
„Klimaschutz wird Chefsache, in der Staatskanzlei“, so die Botschaft. | |
Die politische Konkurrenz versuche, die Aufgabe kleinzureden, so Al-Wazir. | |
„Alles bleibt so, wie es ist“, diese Parole sei ebenso trügerisch wie: „… | |
sorgen dafür, dass du davon nichts merkst.“ Es werde die ein oder andere | |
Zumutung geben, räumt Al-Wazir ein. Doch als Ministerpräsident werde er | |
„unser Land zusammenzuhalten in diesem Veränderungsprozess“. | |
Al-Wazir gibt nicht den Revoluzzer: Er sei „nicht so der Typ Kreuzberg, | |
sondern eher der Typ Doppelhaushälfte“, sagt er. Nach seiner Vereidigung | |
als Ministerpräsident wolle er denn auch zu schwarzen Business-Schuhen | |
zurückkehren. Läuft alles nach Plan, sollen die grünen Turnschuhe ins | |
Offenbacher Ledermuseum. Da sind auch schon „Joschkas“ weiße Treter von | |
damals ausgestellt. | |
26 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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