Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Space Meduza Bar in Berlin: Zu Besuch zu Hause
> Die Space Meduza Bar in Berlin-Kreuzberg ist keine dezidiert ukrainische
> Bar. Doch nun ist sie für viele Ukrainer*innen ein Zuhause geworden.
Bild: Andrii Vedmid, Ukrainer und Mitinhaber der Bar „Space Meduza“ in Kreu…
Es ist Freitagabend halb acht, als ich die Skalitzer Straße in
Berlin-Kreuzberg entlanglaufe. Mein Ziel ist die Space Meduza Bar, in der
ich mit meinen ukrainischen Freundinnen verabredet bin. Eine Reservierung
war nicht möglich. „Ausgebucht“, erzählt mir Anastasiia. Wir wollen es
trotzdem versuchen. Schon von Weitem erkennt man die Bar an ihren
pinkfarbigen Neonröhren. Je näher ich komme, desto deutlicher nehme ich die
Stimmen vor der Bar wahr. Neben Englisch höre ich vor allem Ukrainisch und
Russisch. An der Glasfront hängt, über dem Meer von Stickern mit
vereinzelten blau-gelben Farbtupfern, eine kleine ukrainische Flagge.
Die Space Meduza Bar gibt es seit über vier Jahren und der Name ist hier
Programm. Von der Decke hängen neben Unterwasserpflanzen quallenförmige
Lampen. Die Wände sind dunkel gehalten und mit einem Graffiti aus
Sternennebel und Planeten überzogen. Schräg hinter dem Bartresen hängt ein
Porträt [1][des ukrainischen Lyrikers und Malers Taras Schewtschenko].
Darauf steht „Кохайтесь блять“, geschrieben, was so viel „l…
verdammt nochmal“ heißt.
Zum ersten Mal war ich mit Anastasiia hier, die seit Juli in Deutschland
ist. Sie hatte von ukrainischen Freund*innen und bei TikTok von der Bar
gehört. Die heimische Atmosphäre hat uns sehr gefallen. Seitdem treffen wir
uns hier fast monatlich. Obwohl Space Meduza nie primär eine ukrainische
Bar sein wollte, ist sie durch die Veranstaltungen und Gäste zu einer
geworden.
Als ich die Bar am Freitagabend betrete, ist es ungewohnt leise. Eine Frau
mit Klemmbrett fragt mich auf Englisch, ob ich für das Event da sei. Im
ersten der drei Räume findet heute Abend ein Vernetzungstreffen für
Ukrainer*innen aus der IT-Branche statt. Auf der kleinen Bühne referiert
ein Mitarbeiter eines US-amerikanischen Softwareunternehmens über seine
Arbeit. Neben Veranstaltungen wie diesen finden hier häufig Konzerte oder
Stand-up-Shows statt. Seit dem Beginn des Krieges geht ein Teil der
Einnahmen an Hilfsorganisationen oder an das ukrainische Militär. Im
Februar 2022 wurde die Bar eine Annahmestelle für Spenden, wie Kleidung,
Masken und Akkus.
## Zelenskiy und Ukrainian Sunset
Obwohl ich weiß, dass ich Bier bestellen werde, werfe ich einen Blick auf
die Karte. Neben dem naheliegenden Kyjiv Mule stechen andere Getränkenamen
ins Auge: Zelenskiy, Ukrainian Sunset, Mermaid of Dniestr oder Mezcal
Blood. Letzteren Cocktail nennen ukrainische Besucher*innen Blut der
Moskalit*innen, ein oft abwertendes Wort für Russen. Trotz der etwas brutal
anmutenden Namen ist es kein Problem, seinen Drink auf Russisch zu
bestellen. Doch wenn man sagt, dass die Familie russisch sei oder man Gäste
auf Russisch anquatscht, können ab und an skeptische Blicke folgen.
An der Bar entdecke ich meine Bekannte Olha, die gerade auf ihren Zelenskiy
wartet. Sie sagt, ich könne ihr folgen; sie habe bereits einen Platz. Olha
setzt sich auf einen Stuhl, während ich in einem bequemen Ledersessel
versinke. Im Hintergrund läuft leise Indiemusik. Olha, studierte Juristin
und Medizinerin, ist im März 2022 nach Deutschland geflohen, in der Bar ist
sie heute zum ersten Mal. Eigentlich trinkt sie nicht, doch hier fühle sie
sich wie zu Hause. „Was machst du dann mit deinem Zelenskiy, wenn nicht
trinken?“, frage ich. „Ich trinke nicht, ich probiere bloß“, entgegnet s…
## Bedeutung des Stand-Up
Meine Freundinnen Anastasiia, Anna und Milana stoßen zu uns. Olha war heute
wohl tatsächlich nur zum Probieren da und verabschiedet sich bald.
Anastasiia möchte bis [2][zum 24. Februar] keinen Alkohol trinken und
erntet von uns für ihren Saft etwas Spott. Die drei lachen sich über meine
fehlerhaften russischen Formulierungen kaputt, oder es geht um irgendwelche
zwielichtigen Typen, die ihnen eine Wohnung beschaffen wollen. Die
Wohnungssuche gestaltet sich für die Ukrainer*innen keineswegs leichter
als für den Rest der Bevölkerung. Auch Alla, die ich an diesem Abend
zufällig kennenlerne, fragt, ob ich ihr bei der Suche helfen könne.
Neben unserer Gruppe sitzen ukrainische Stand-up-Artists. Stand-up spielt
nicht nur in der Bar generell, sondern auch zu dieser Zeit eine besondere
Rolle. „Viele nutzen Stand-up als Weg, um mit dem Krieg umzugehen.
Tragische Situationen werden humorvoll verpackt, was einem hilft, mit der
schrecklichen Gesamtlage klarzukommen“, sagt Anastasiia.
## Kaum Männer
Ich poste bei BeReal ein Foto aus der Bar, ein Kommentar darunter: „Der
Hahn im Korb“. Das trifft nicht nur auf meine Aufnahme, sondern
gewissermaßen für die gesamte Bar zu, in der deutlich mehr Frauen zu Gast
sind. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Männer zwischen 18 und 60 Jahren
[3][ist die Ausreise aus der Ukraine nicht gestattet]. Die wenigen Männer
in der Bar sind meist keine Ukrainer oder schon lange vor dem Krieg nach
Deutschland gekommen.
Eine Ausnahme ist Alexej, den ich, kurz bevor ich nach Hause aufbreche,
unter dem Terrassendach kennenlerne. Er kommt aus dem Donbass und ist seit
etwa vier Monaten in Deutschland. Er ist gerade im Gespräch mit Ramona,
Tochter einer Russlanddeutschen und eines Russen, aber in Deutschland
geboren. Ramona trinkt einen Zelenskiy und er scheint ihr gut zu schmecken.
„Das Blut des Moskaliten ist mir zu süß. Er schmeckt mir nicht besonders.
Vielleicht haben sie das absichtlich gemacht“, scherzt Alexej. Von der Bar
hat er in sozialen Medien erfahren. Es würden mit jedem Monat, den der
Krieg andauert, mehr Gäste werden. Ramona gefalle die Mentalität der Leute
hier. Alexej fügt hinzu: „Hier fühlt es sich wie zu Hause an. Es könnte
genauso eine Bar in Kyjiw oder Odessa sein.“
25 Feb 2023
## LINKS
[1] /Nationaldichter-der-Ukraine/!5047013
[2] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[3] /Krieg-in-der-Ukraine/!5835322
## AUTOREN
David Zingher
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine
Flucht
Kneipe
Exil
Unser Fenster nach Russland
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Kolumne Unisex
Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Meduza-Auswahl 23. Februar bis 1. März: „Nun beginnt der dritte Weltkrieg“
Albträume in Mariupol, Putins absolutistisches Weltbild, Chinas
Kriegsprofit, und das „Z“ bleibt radikal. Vier ausgewählte Texte des
Exilmediums.
Roman „Aleksandra“ über Familie im Donbass: Im Palast der Albträume
Menschen aus dem Donbass, zerrissen von einem Jahrhundert politischem
Terror: Lisa Weeda erzählt im Roman „Aleksandra“ ihre Familiengeschichte.
Wiederaufbau in der Ukraine: Beton allein reicht nicht
Der Krieg zerstört Familienplanung, Erinnerungskultur und Gesellschaft. Das
Nachdenken über den Wiederaufbau ist letztlich Verteidigungspolitik.
Die Wahrheit: Putins Phantomschmerz
Geschichte ist ein scharfes Schwert und hat schon für so manch schmerzhafte
Amputation gesorgt. Erkundungen im Randmilieu raunender Heimatfrontkrieger.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.