# taz.de -- Stalingrad-Gedenken in Russland: Aktualisierte Erinnerung | |
> Am 2. Februar 1943 kapitulierte die Wehrmacht in Stalingrad. 80 Jahre | |
> danach nutzt Russland das für seine Propaganda im Krieg gegen die | |
> Ukraine. | |
Bild: Eine Statue in Wolgograd erinnert an die zahlreichen sowjetischen Opfer d… | |
MOSKAU taz | Der Polizeichef [1][von Wolgograd] hat sich die feierliche | |
Uniform des NKWD angezogen, des sowjetischen Geheimdienstes, der auch die | |
eigene Bevölkerung zu quälen und zu töten vermochte. Der Polizeichef läuft | |
voran, hinter ihm sind junge Kadetten zu sehen, auch streng blickende | |
Jungarmist*innen in ihren beigen Jacken und den roten Schals, Soldaten | |
im Stechschritt. Am Platz der Gefallenen Kämpfer folgt am Donnerstag eine | |
Parade-Formation der nächsten. Russland feiert den Krieg, Russland feiert | |
den Sieg. Einen Sieg, mit dem es seinen [2][Vernichtungskrieg gegen die | |
Ukraine] rechtfertigt – und so die sowjetischen Gefallenen und die | |
Erinnerung an sie missbraucht. | |
Panzer rollen wieder durch Stalingrad, wie die Wolgograder ihre Stadt an | |
einigen wenigen Tagen im Jahr nennen. Die Kommunalarbeiter haben bei der | |
Stadteinfahrt Schilder mit „Stalingrad“ aufgestellt, am Tag zuvor enthüllte | |
die Stadt eine Stalin-Büste nicht weit von der Wolga entfernt. Die | |
russische Hymne, die sich kaum von der sowjetischen unterscheidet, ertönte, | |
eine Ehrengarde hielt Wache. Es ist ein beklemmendes Gedenken an den | |
Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg, dem Großen Vaterländischen, wie die | |
Russ*innen sagen. In der Ukraine beschießt die russische Armee derweil | |
Wohnhäuser. | |
Am 2. Februar 1943 endete hier, in dieser Stadt, die so oft im Nebel liegt, | |
die Schlacht von Stalingrad mit dem Sieg der Roten Armee. Es war der Anfang | |
vom Ende des Hitler-Regimes und eine der blutigsten Schlachten der | |
Weltgeschichte. Zehntausende Zivilist*innen starben, sie wurden nicht | |
in Sicherheit gebracht. Knapp 300.000 Einwohner*innen hatte das | |
Industriezentrum an der Wolga 1942, am Ende der Kämpfe blieben nicht einmal | |
8.000 Überlebende. Stalin forderte im Ukas Nummer 227 „Keinen Schritt | |
zurück“. | |
Die Deutschen, die die Stadt auf ihrem Weg zu den sowjetischen Ölquellen am | |
Kaspischen Meer en passant einnehmen wollten, scheiterten am Durchhalten | |
der Rotarmisten und an den Temperaturen von bis zu Minus 43 Grad. Die 6. | |
Armee des Generalobersts Friedrich Paulus erfor und verhungerte im Kessel. | |
## Russland wähnt sich von Feinden umzingelt | |
Dieser Sieg ist den Russ*innen bis heute heilig. Der russischen Regierung | |
dient er als Trigger, um ihren Angriff auf die Ukraine als heroische | |
Fortsetzung ihres Kampfes gegen den Faschismus zu inszenieren. Die Opfer | |
spielen kaum eine Rolle, die Versöhnung mit den Deutschen ist auf Eis | |
gelegt. Es sind die Helden, die zählen, Helden, die herhalten müssen für | |
das verdrehte Narrativ von heute, wonach der Angriff als Verteidigung gilt. | |
Das Staatsfernsehen zeigt ordenbehängte alte Männer, Veteranen von damals, | |
die von ihrem eigenen Heldentum zu erzählen wissen, von ihrer Lust, „alle | |
Deutschen abzuknallen“, und sich darüber freuen, dass ihre Urenkel nun „die | |
Nazis in der Ukraine töten“. „Unseren Sieg“, sagen sie in die Kamera, | |
„werden wir generationsübergreifend feiern“. Der Kreml pflegt seit Langem | |
die Legende vom „Wir gegen die ganze Welt“. | |
Die Hilfe der Alliierten im Zweiten Weltkrieg wird heruntergespielt oder | |
gar nicht erst erwähnt. Es zählt der Heldenepos – und es zählen die | |
Durchhalteparolen. Russland sei von Feinden umzingelt, Russland werde | |
siegen, alles laufe nach Plan, weiß Präsident Wladimir Putin stets zu | |
behaupten. Auch hier am Mamajew-Hügel, früher ein hart umkämpftes Gebiet im | |
Norden der Stadt, heute ein monumentaler Museumskomplex mit in Stein | |
gegossener Mutter-Heimat-Statue samt einem knapp 90 Meter langen Schwert, | |
gibt er sich entschlossen. Es sind die üblichen Floskeln. | |
Seit Europa und Amerika nach langem Ringen zugesagt haben, Kampfpanzer an | |
die Ukraine zu liefern, spricht Moskau immer mehr von Krieg gegen Russland. | |
Die USA und die EU hätten schon vor Jahrzehnten den Plan gefasst, Russland | |
zu zerstören, heißt es da. Wie beim Napoleon-Feldzug, wie auch im Zweiten | |
Weltkrieg, werde es ihnen nicht gelingen, sagte Russlands Außenminister | |
Sergej Lawrow in einem Interview am Donnerstag. Das Siegesgedenken dient | |
dem Kreml als Legitimierung seiner Macht und seiner Gewalt. Der einzelne | |
Mensch zählt damals wie heute nichts. | |
2 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
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