# taz.de -- Pariser Abkommen vor 50 Jahren: „Solidarität hilft siegen!“ | |
> 1973 mussten die USA dem Abzug ihrer Truppen aus Vietnam zustimmen. Das | |
> war der Anfang vom Ende eines Krieges, der viele Menschen politisiert | |
> hat. | |
Bild: Demonstration in Frankfurt am Main 16.02.1968 | |
Berlin taz | 50 Jahre ist es jetzt her. Eine verdammt lange Zeit. Die | |
heutige Linke in Deutschland scheint jenes Ereignis vergessen zu haben, das | |
die Linke seinerzeit äußerst bewegte. Am 27. Januar 1973 wurde in Paris das | |
„Abkommen über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des | |
Friedens in Vietnam“ unterzeichnet. Und möglicherweise kann die Erinnerung | |
daran in diesen Tagen sinnvoll sein. | |
Knapp fünf Jahre hatten die Verhandlungen zwischen den Unterhändlern der | |
USA und der Demokratischen Republik Vietnam, [1][Henry Kissinger] und | |
[2][Lê Đức Thọ], gedauert, bis der Abzug der Vereinigten Staaten aus dem | |
geschundenen südostasiatischen Land besiegelt werden konnte. Dafür | |
erhielten beide noch im selben Jahr den Friedensnobelpreis, den Lê Đức Thọ | |
jedoch ablehnte, weil noch kein echter Friede erreicht war. Aber immerhin | |
war das Pariser Abkommen der Anfang vom Ende des Vietnamkrieges. | |
Der imperialistische Krieg der Vereinigten Staaten gegen die widerständige | |
vietnamesische Bevölkerung hat wie kein anderes politisches Ereignis zur | |
Politisierung der Studentinnen und Studenten in den Sechzigerjahren nicht | |
nur in der Bundesrepublik beigetragen. An einer ersten größeren | |
Demonstration in Westberlin nahmen am 5. Februar 1966 mehrere Tausend | |
Studentinnen und Studenten teil. „Amis raus aus Vietnam“ wurde zu einer | |
einschlägigen Parole und „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“-Rufe hallten durch die | |
bundesdeutschen Großstädte. | |
Die USA führten ihren Krieg in Vietnam mit einer unerbittlichen Brutalität: | |
Mehr als sieben Millionen Tonnen Bomben warfen sie über dem Land ab, | |
viermal so viel wie im Zweiten Weltkrieg. Sie setzten Napalm- sowie | |
Splitter-Bomben ein – und das chemische Entlaubungsmittel Agent Orange. Bis | |
heute leiden Millionen Vietnames:innen unter den Spätfolgen, noch immer | |
werden Kinder mit schwersten Fehlbildungen geboren. | |
## „Solidarität hilft siegen!“ | |
Mehr als 2.200 Gewerkschafter:innen, Professoren und Studierende | |
beteiligten sich am 22. Mai 1966 in Frankfurt an dem vom SDS veranstalteten | |
Kongress „Vietnam – Analyse eines Exempels“. Das Hauptreferat hielt [3][d… | |
deutsch-amerikanische Philosoph Herbert Marcuse], der 1933 aus Deutschland | |
hatte emigrieren müssen. Seinen Vortrag beendete er mit einem emphatischen | |
wie flammenden Appell. | |
„Es gibt eben in der Geschichte so etwas wie Schuld, und es gibt keine | |
Notwendigkeit, weder strategisch, noch technisch, noch national, die | |
rechtfertigen könnte, was in Vietnam geschieht: das Abschlachten der | |
Zivilbevölkerung, von Frauen und Kindern, die systematische Vernichtung von | |
Nahrungsmitteln, Massenbombardierungen eines der ärmsten und wehrlosesten | |
Länder der Welt“, sagte Marcuse. | |
„Das ist Schuld“, fuhr er fort, „und dagegen müssen wir protestieren, | |
selbst wenn wir glauben, dass es hoffnungslos ist, einfach um als Menschen | |
überleben zu können und vielleicht für andere doch noch ein | |
menschenwürdiges Dasein möglich zu machen, vielleicht auch nur, weil | |
dadurch der Schrecken und das Grauen abgekürzt werden könnten, und das ist | |
heute schon unendlich viel.“ | |
Ganz praktische Unterstützung gab aus der DDR für ihren „sozialistischen | |
Bruderstaat“. Unter offiziellen Losungen wie „Solidarität mit Vietnam!“ | |
oder „Solidarität hilft siegen!“ fanden in Ostdeutschland große | |
Solidaritätsaktionen statt, wie beispielsweise 1968 die Aktion „Blut für | |
Vietnam“, an der sich zehntausende DDR-Bürger:innen beteiligten. | |
## Massive militärische Unterstützung | |
Das war Teil einer umfangreichen medizinischen und humanitären Hilfe. Wobei | |
es zudem seit 1967 auch einen jährlichen Posten im DDR-Haushalt für | |
militärische Lieferungen nach Nordvietnam gab. | |
Dass die Demokratische Republik Vietnam und der Vietcong den völlig | |
aussichtslos erscheinenden Krieg gegen die übermächtige Atommacht USA und | |
deren diktatorisch-rechte Marionettenregierung in Südvietnam nicht verloren | |
haben, verdankt sich nicht zuletzt der massiven militärischen | |
Unterstützungsleistungen der Sowjetunion und der Volksrepublik China. | |
Laut Russia Beyond, manchem oder mancher vielleicht besser unter dem | |
früheren Namen Russland Heute bekannt, lieferte alleine Moskau an Hanoi 95 | |
S-75-Luftverteidigungsraketensysteme, über 500 Flugzeuge, 120 Hubschrauber, | |
mehr als 5.000 Flugabwehrgeschütze und 2.000 Panzer. Darüber hinaus seien | |
mehr als 10.000 sowjetische Militärspezialisten nach Vietnam entsandt | |
worden: von Flugabwehrkanonieren, Piloten und Funkern bis hin zu | |
Panzerbesatzungen. | |
## Hoher Blutzoll | |
Der Blick der westdeutschen 68er-Bewegung auf den Vietnamkrieg war geprägt | |
von einem bemerkenswerten Entwicklungsprozess: Die erste Phase lässt sich | |
unter der Losung „Frieden für Vietnam!“ zusammenfassen. Die Studierenden | |
gingen zunächst „nur“ auf die Straße, damit das fürchterliche Gemetzel, … | |
die Fernseher seit 1967 auch in Farbe in jeden Haushalt übertrugen, endlich | |
aufhört. | |
Die zweite Phase stand unter einer anderen Losung, und zwar der des | |
[4][Internationalen Vietnam-Kongresses] vom 17. und 18. Februar 1968: „Für | |
den Sieg der vietnamesischen Revolution“. An den Universitäten sammelte man | |
nun [5][Geld für „Waffen für den Vietcong“]. Zu keinem Zeitpunkt wären | |
Linke auf die Idee gekommen, von der Demokratischen Republik Vietnam und | |
dem Vietcong zu fordern, sich den USA zu unterwerfen. | |
Mit der Einnahme Saigons durch nordvietnamesische Truppen und den Vietcong | |
endete am 30. April 1975 endlich dieser furchtbare Krieg – mehr als zwei | |
Jahre nach dem Pariser Abkommen. Der Preis, den die Menschen in Vietnam | |
zahlen mussten, sich der US-Aggression widersetzt zu haben, war immens. Es | |
gibt unterschiedliche Schätzungen, wie viele ihr Leben gelassen haben, aber | |
alle sind hoch. Die vietnamesische Regierung gab 1995 an, dass etwa 1,1 | |
Millionen vietnamesische Soldat:innen und 4 Millionen Zivilist:innen | |
getötet wurden. | |
29 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /!1158493 | |
[2] /!1748294 | |
[3] /50-Jahre-Der-eindimensionale-Mensch/!5050926 | |
[4] https://mao-projekt.de/INT/AS/SO/Februar_1968_Vietnamsolidaritaet.shtml | |
[5] /Wie-die-68er-den-Pazifismus-verlernten/!5182541 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
## TAGS | |
Vietnamkrieg | |
Vietnam | |
Henry Kissinger | |
USA | |
Schwerpunkt 1968 | |
Studentenbewegung | |
Herbert Marcuse | |
Vietnam | |
Leopard-Panzer | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Reiseland Vietnam | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Vietnams neuer Staatspräsident: Ein Apparatschik reinsten Wassers | |
Vo Van Thuong ist in Hanoi zum neuen Staatschef bestimmt worden. Sein | |
Vorgänger war im Januar nach einem Korruptionsskandal zurückgetreten. | |
Deutschland will Kampfpanzer liefern: Fehlender Zweifel ist gefährlich | |
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich entschieden, Leopard-2-Panzer an die | |
Ukraine zu liefern. Das ist eine schwierige, aber richtige Entscheidung. | |
Spätfolgen des Vietnamkrieges: Tran To Ngas letzter Kampf | |
Eine 78-jährige Französin mit vietnamesischen Wurzeln klagt gegen 14 | |
Chemiekonzerne. Die haben das hochgiftige Agent Orange hergestellt. | |
Wohliges Schaudern: Endlose Maulwurfsgänge | |
Einst gutes Versteck für 6.000 im Krieg gegen die Amerikaner, heute eine | |
Touristenattraktion: Die 250 Kilometer langen Cu-Chi-Tunnel in Vietnam sind | |
eine Art Geisterbahn mit Echtheitsgarantie |