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# taz.de -- Wohliges Schaudern: Endlose Maulwurfsgänge
> Einst gutes Versteck für 6.000 im Krieg gegen die Amerikaner, heute eine
> Touristenattraktion: Die 250 Kilometer langen Cu-Chi-Tunnel in Vietnam
> sind eine Art Geisterbahn mit Echtheitsgarantie
Bild: Nur ganz schmale Menschen passen hier durch
Schon am frühen Morgen ist es dampfig im Dschungel von Cu Chi.
"Malariagebiet", hat mich unser Führer Lee gewarnt und zu langer Hose und
langärmeliger Bluse geraten. Mit mir drängen sich schwitzende Touristen in
Shorts und Tops am Eingang zum Tunnelsystem, das im Vietnamkrieg für die
roten Rebellen Rückzugsgebiet und Kommandozentrale zugleich war.
Amerikanische Vietnam-Veteranen sind dabei, alte Haudegen, die mit ihren
Familien an die Stätte ihrer Kriegserlebnisse zurückkehren, Touristen aus
Europa und China, auffallend viele Frauen. Cu Chi ist eine
Touristenattraktion, das Gruseln vor der blutigen Geschichte ist im Paket
buchbar. Eine Art Geisterbahn mit Echtheitszertifikat.
250 Kilometer lang sind die Maulwurfsgänge unter der Erde, teilweise
dreistöckig und so eng, dass nur die schmalen Vietnamesen durchkriechen
konnten. Entstanden ist das Tunnelsystem nicht nach Plan, sondern aus
Zufall, erklärt Lee. Zuerst hätten die Dörfler Bunker unter ihren Häusern
gebaut, um sich vor Bomben zu schützen. Als der Krieg immer länger dauerte,
wurden die einzelnen Bunker durch Tunnel verbunden, und als die Bevölkerung
schließlich die Dörfer verließ, übernahm der Vietkong die Tunnel und baute
sie aus. Bis zu 6.000 Menschen hätten zeitweise in den Tunneln gehaust,
berichtet Lee und erzählt stolz von den schlauen Schachzügen, mit denen die
Rebellen die amerikanischen Soldaten in die Irre führten. Weil über die
Belüftungsrohre schlechte Luft nach oben strömte, hatten die Amerikaner
anfangs die Schlupflöcher mit Hunden ausspioniert und mit Tränengas
gefüllt. Die Vietnamesen setzten sich zur Wehr, indem sie Pfeffer sprühten,
falsche Duftfährten legten und sich schließlich mit amerikanischer Seife
wuschen. "Der Vietkong war den Soldaten immer einen Zug voraus", bekundet
Lee zufrieden. Dennoch: den über drei Millionen vietnamesischen Opfern, die
der Krieg forderte, stehen gerade mal 60.000 tote Amerikaner gegenüber.
Im Informationszentrum läuft eine Dokumentation aus dem Jahr 1967,
flimmernde Schwarz-Weiß-Malerei. Hier die friedliebenden Vietnamesen in
ihrer ländlichen Abgeschiedenheit, dort die brutalen amerikanischen
Soldaten, angetreten zu einem sinnlosen Zerstörungswerk. Doch das tapfere
Landvolk setzt sich zur Wehr, aus Schulmädchen werden "American killer
heroes" und aus Gruben, in denen man Tiere fing, tödliche Fallen für den
Feind. "Die Amerikaner wollten Cu Chi vernichten", heißt es pathetisch im
Abspann, "aber Cu Chi wird nicht sterben." Wohl wahr.
Der Andrang auf dem Kriegsschauplatz im Grünen ist gewaltig. Mit wohligem
Schaudern beugen sich die Touristen über die raffinierten Fallen, in die
der Feind tappen sollte, um je nachdem im Brustkorb, im Becken oder in den
Beinen von tückischen Eisenspießen mit Widerhaken durchbohrt zu werden.
Lebensechte Puppen demonstrieren, wie die Rebellen überleben konnten, und
echte Menschen in Vietkong-Uniformen erklären die einzelnen Stationen. Ein
kurzes Tunnelstück ist extra für die Touristen ausgeweitet worden. Aber
auch hier ist es eng genug.
Ich wage mich trotzdem unter die Erde, krieche auf allen vieren, immer
geradeaus, den anderen nach. Die Luft wird knapp bei den vielen Menschen,
die sich durch den dunklen Gang quetschen. Ein Holländer robbt auf dem
Bauch, eine Engländerin bleibt in einer Biegung stecken. Endlich wieder
Luft und Licht. Keinen Schritt weiter hätte ich in dieser stickigen
schwarzen Röhre gehen wollen.
Draußen ein Kraterloch, ein zerstörter amerikanischer Panzer, ausgeweidet
wie eine Jagdbeute. Von Ferne dringen Freiheitslieder und Gefechtslärm ans
Ohr. Die Schießstätte - ein Schuss ein Euro - ist die Attraktion für viele.
Und im Souvenirshop am Ausgang gehen die Vietkong-Sandalen aus Gummireifen
weg wie warme Semmeln.
24 Nov 2007
## AUTOREN
Lilo Solcher
## TAGS
Reiseland Vietnam
Vietnamkrieg
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