# taz.de -- Übergriffige Ratschläge: Mein Leben, meine Experimente | |
> Ich freute mich auf's Kochen, ging einkaufen und kam zurück mit einem | |
> Korb voller gut gemeinter Ratschläge. Da kippte die Stimmung. | |
Bild: Manchmal ist Abgrenzung im Alltag nötig: zur Corona-Hochzeit übernahmen… | |
Gurken, Petersilie, bunte Paprika. Der Obst- und Gemüsestand vor mir | |
strahlt in frischen Farben. Ich freue mich darauf, mir die Nahrungsmittel | |
auszusuchen für das Essen am nächsten Abend. Ein Curry soll es geben. Ich | |
greife nach einer Tüte mit grünen Bohnen. Da tritt ein Kunde auf mich zu. | |
Er trägt eine Hornbrille und Turnschuhe. Unvermittelt spricht er mich an: | |
„Die Bohnen würde ich nicht nehmen“, sagte er. „Die sind ja hier schon g… | |
braun, die sind morgen nicht mehr gut.“ | |
„Stimmt“, denke ich. | |
„Drinnen sind auch gute tiefgekühlte“, sagte der Mann. „Und hier sind au… | |
schöne Paprika.“ | |
Ich nehme eine rote Paprika in die Hand. | |
„Sehr gut“, sagt er. „Komm, ich zeige dir die Bohnen.“ | |
Der Mann läuft voraus in den Laden. Verdutzt über sein Engagement gehe ich | |
mit ihm. Drinnen beugt er sich über die Tiefkühltruhe und zeigt mir Bohnen | |
in einer Plastiktüte. | |
„Ich glaub, ich nehm lieber frische“, sage ich. | |
Er blickt auf die Paprika in meiner Hand. „Die kannst du mit Bulgur füllen | |
und Dill.“ | |
Er geht zu einem Regal: „Dieser Bulgur ist gut.“ | |
Nach Bulgur wollte ich tatsächlich schauen. Plötzlich beginnt er mir ein | |
Rezept zu beschreiben. Dann springt er wieder hinaus und kommt mit einem | |
Korb wieder, darin liegt ein großes Bündel Petersilie und Dill. | |
„Hier, für die gefüllte Paprika. In den Korb kannst Du alles hineintun“, | |
sagt er. „Und hier ist Paprikamark“. | |
„Das habe ich schon“, sage ich. | |
„Ja, aber kein Tomatenmark. Paprikamark“, betont er. „Und diesen Feta wü… | |
ich nehmen. Jetzt hast du alles für das Gericht.“ | |
Welches Gericht? Er beschreibt, wie er die Paprika ausnimmt, mit Bulgur, | |
Kräutern und Käse befüllt, flambiert, im Römertopf in den Backofen stellt. | |
„Vielen Dank“, sage ich. Wir verabschieden uns, und er geht mit seinem | |
Einkauf zur Kasse. | |
Ich stehe da mit dem Korb: Was wollte ich eigentlich nochmal? Ich sehe, wie | |
sich der Mann vorne an der Kasse herumdrückt, als würde er noch auf mich | |
warten. Aber mir wird es jetzt zu viel. Ich beschließe, erst nach den | |
Dingen zu suchen, die ich im Laden einkaufen wollte und dann noch einmal | |
draußen an den Frischestand zu gehen. Als ich schließlich zum Gemüse gehe, | |
steht er draußen auf der Straße. | |
„Alles da, was Du bedenken musst für das Gericht?“, fragt er. | |
„Ich muss mich jetzt darauf konzentrieren, was ich eigentlich kaufen | |
wollte“, antworte ich möglichst freundlich. | |
„Ja“, sagt er und bleibt stehen. | |
Ich suche mein [1][Gemüse] aus und lege auch das große Dill-Bund wieder | |
zurück, das er in den Korb gelegt hatte. Er bleibt noch etwas. Dann ist er | |
plötzlich verschwunden. | |
Als ich den Laden verlasse, fängt es an zu dämmern. Ich bin irgendwie | |
missgestimmt und weiß nicht genau warum. Die Tüte ist schwer, als ich sie | |
nach Hause trage. Ich habe mehr gekauft, als ich vorhatte. Als ich später | |
meine Einkäufe zuhause auspacke, denke ich noch einmal über das Erlebnis im | |
Laden nach. | |
Diese Dinge, die mir der Mann in den Korb gepackt hatte, waren wie | |
Ratschläge, die ich gar nicht gewünscht hatte. Als wenn jemand im | |
[2][Leben] eine Erfahrung übertragen will: Ich packe dir einen Einkaufskorb | |
voll mit gutgemeintem Rat – ein Rezept, das auf jeden Fall gelingt. Hier | |
nimm es, es wird dir gefallen! Und am Ende hat man einen Korb voller Dinge, | |
die man sich selbst gar nicht ausgesucht hat. Man geht also den Weg der | |
anderen, denn es ist ja auch praktisch und schön von den Erfahrungen der | |
anderen zu lernen. | |
Doch am Ende ist es nicht mehr mein Korb. Und dann stehe ich da, beschwert | |
durch das Lebensrezept der anderen. Und ich vergesse fast, was ich | |
eigentlich ausprobieren wollte. Es ist aber mein Korb. Und es liegt an mir, | |
den Platz darin freizuhalten. | |
21 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
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