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# taz.de -- Erregte Gesellschaft: Kokain im almanischen Diskurs
> Als Journalist interessiert unseren Autor, was die Menschen bewegt. Wenn
> er dann erfährt, was sie kaltlässt, erstaunt und entfremdet ihn das immer
> häufiger.
Bild: Jugendliche, die ihre Böller-Liebe ausleben, sind Kokain im gesellschaft…
Mit Erstaunen beobachte ich immer öfter, auf was ein Gros dieser
Gesellschaft emotional reagiert – und was halt so gar nicht juckt. Zum
ersten Mal hatte ich diesen Gedanken, als ich mit einigen
Hamburger*innen nach dem [1][G20-Gipfel im Jahr 2017] sprach.
Richtig traurig, melancholisch und seelisch verletzt erzählten mir die
Hamburger Bürgis von der zertrümmerten Fassade ihrer Sparkasse. Ja, jemand
sagte unironisch „unsere Sparkasse“. Meist folgte darauf ein
Hoffnungsschimmer, ein Regenbogen am Horizont, ein Lichtkegel durch die
grau-depressive Wolkendecke der Hansestadt: Denn alle hatten sie [2][das
Spiegel-Video gesehen, wie Anwohner*innen im Kiez die Straßen fegten] –
obwohl die Stadtreinigung schon längst alle Scherben beseitigt hatte, aber
irgendwo findet sich immer ein bisschen Dreck.
Es ist faszinierend, wie die Affekte einiger Menschen politisch stimuliert
werden können, und ich habe nebenbei auch verstanden, dass die Sparkasse
diese komische Perle zu sein scheint, von der alle in Hamburg immer
sprechen.
Als Journalist interessiert mich, was die Menschen bewegt. Nur ist es immer
häufiger eine Entfremdung, zu erfahren, was sie kaltlässt: Wenn
[3][CumEx-Bankiers], Wirecard-Manager, Profifußballer, AfD-Politiker oder
[4][Alice Schwarzer] Unmengen an Steuern hinterziehen, regt sich die Masse
nicht so auf.
## Eine Schieflage, die sich über Jahrzehnte aufgebaut hat
Wenn ein*e Hartz-IV-Empfänger*in gegenüber dem Jobcenter ihre sogenannte
Bedarfsgemeinschaft verschweigt, ja, dann geht das emotionale Karussell ab.
Diese gesellschaftlich-emotionale Schieflage hat sich über Jahrzehnte
aufgebaut. Sie macht es mir als Autor schwer, politisch relevante
Geschichte so zu erzählen, dass sich die Menschen damit befassen.
[5][Reichsbürger mit Umsturzplänen]? Für die almanisch-emotionalen
Gehirnzonen wirkt das wie Melatonin. Ein paar Jugendliche, die ihr – laut
bürgerlichen Glaubenssätzen – Menschenrecht auf Böllern ausleben? Kokain im
gesellschaftlichen Diskurs.
Dabei gibt es diese komische Differenzierung, wenn zum Beispiel
Polizist*innen geklatscht werden. Kann man daraufhin Fragen nach
Vornamen der Angreifer*innen stellen (alias „Es waren die Ausländer!“),
kochen die Emotionen über wie in einer heißen Kasserolle mit schneeweißem
Milchschaum.
Haben die Angreifer bei ihrem Feldzug gegen die Polizei [6][„Sieg heil!“
gerufen], blubbert die Milch höchstens ein bisschen vor sich hin oder
bleibt ganz kalt. Mit dem einen kann man Wahlkampf und Quote machen, das
andere ist halt langweilig. Und das hängt alles damit zusammen, was das
Publikum triggert und wogegen sich viele in Deutschland immunisiert haben.
Gefühle zeigen Deutsche „nur bei Cems“, wie es ein Radiomoderator mit Blick
auf die mutmaßlich arabischstämmigen Jugendlichen formulierte, die in der
vergangenen Silvesternacht Feuerwehrmänner angegriffen haben sollen. Lustig
ist das, weil kein Araber Cem heißt. Aber Emotionen müssen ja keine
faktische Grundlage haben.
26 Jan 2023
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-G20-in-Hamburg/!t5417647
[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/g20-in-hamburg-buerger-raeumen-s…
[3] /Cum-Ex-Skandal-um-Steuerbetrug/!5875631
[4] /Alice-Schwarzer-wird-80/!5897279
[5] /Razzia-bei-Reichsbuergern/!5901865
[6] /Wegen-Sieg-Heil-Rufen-vor-Gericht/!5830256
## AUTOREN
Mohamed Amjahid
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Diskriminierung
Kolumne Die Nafrichten
GNS
Wut
Kriminalität
Kolumne Die Nafrichten
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