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# taz.de -- Nachruf auf Hans Belting: Die Bilder und wir
> Er erforschte das Religiöse in Bildern und das Archaische in modernen
> Medien. Der Kunst- und Bildwissenschaftler Hans Belting ist gestorben.
Bild: Hans Belting (1935 – 2023)
Wie sehr Bilder uns prägen, ohne dass wir es wollen oder wissen, haben wir
in unserer medial gefluteten Welt schon vergessen. Warum stehen auf unseren
öffentlichen Orten so viele Bildflächen wie einst bei den Griechen
Götterbilder?
Weil wir selbst innerlich ständig Bilder produzieren, denn unsere
Vorstellungen und Träume erfolgen in Bildern. Wir wissen, dass Denkbilder
mehr sind als Worte. Mit Bildern malen wir unsere Zukunft aus, mit ihrer
Hilfe versuchen wird, die Vergangenheit zu verarbeiten. Mit ihnen halten
wir auch das Schreckliche auf Distanz. Zugleich aber können sie nur Schein
sein, oft auch Ideologie und Propaganda.
Hans Belting, einer der Großen in der Kunstwissenschaft, hat dies gesagt.
Er, der in der Nacht zum vergangenen Dienstag gestorben ist, war aber
vielmehr ein Bildwissenschaftler, wenngleich er auch in seiner angestammten
Disziplin Erstaunliches leistete. Er erforschte, wie das europäische
Porträt auf den Kult des antiken Herrschers und den Christi zurückgeht,
aber ebenso auf die Bildnisse der toten Ahnen.
Allem Modernen und Technischem immer aufgeschlossen, war Belting
gleichzeitig tief dem verpflichtet, was er das „Bild vor dem Zeitalter der
Kunst“ genannt hat, so der Untertitel seines Hauptwerks „Bild und Kult“ v…
1990. Dieses Bild zeige nicht die möglichst virtuose Darstellung des
Wirklichen und sei kein Fenster in der Wand, sondern ein solches in der
Welt als die perfekte Darstellung des Überwirklichen, weil Göttlichen.
## Ikone und Avantgarde
Inbegriff dieses Bilds ist bis heute die Ikone des östlichen Christentums.
Dass sie ironischerweise in der Avantgarde der westlichen Kunst um 1900
wieder auftauchte, griff Belting ebenso auf, wie er immer darauf verwies,
dass gerade in den neuen Medien viel Älteres, ja Archaisches steckt.
Er lehrte in Hamburg, Heidelberg, München, bevor er 1992 und über seine
Emeritierung ein Jahrzehnt später hinaus den geeigneten Ort seiner weit
ausgespannten Forschungen an der Hochschule für Gestaltung und dem Zentrum
für Kunst und Medien, dem ZKM, in Karlsruhe fand. Hier öffnete Hans
Belting die Kunstwissenschaft für die Kulturwissenschaft, lehrte sie
ebenso wie Medientheorie gleichermaßen für Künstler:innen und
Wissenschaftler:innen.
In Karlsruhe befand er sich schließlich in einem Spannungsfeld mit zwei
Peter den Großen, dem Künstler [1][Peter Weibel] und dem Philosophen Peter
Sloterdijk, was so an- wie aufregend war. Mit [2][seiner Frau Andrea
Buddensieg] arbeitete er zu einer globalen Perspektive auf die Kunsttheorie
und Ausstellungspraxis.
## Wirkungen in Kopf und Körper
In Karlsruhe entstand auch seine 2001 veröffentlichte „Bild-Anthropologie“,
in der er den Wirkungen der Kunst in Körper und Kopf, in Mensch und Medien
auf die Spur kommt. Sie ist Zeitdiagnose wie Versuch über die Macht der
Bilder seit je. An diesem wissenschaftlichen Unternehmen hat er dann in
seinen letzten Berliner Jahren weitergearbeitet.
Als Belting 2015 den Balzan-Preis erhielt (so etwas wie der Nobelpreis für
Geisteswissenschaften), investierte er ihn in ein Vorhaben, das er
„Ikonische Präsenz. Die Evidenz von Bildern in den Religionen“ nannte,
angesiedelt an drei Institutionen: der Freien Universität sowie dem
Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin und der
Universität im tschechischen Brünn.
Es ging ihm um die Personen aus verschiedenen Ländern, die dort arbeiteten.
Mit ihnen kombinierte er die Ansätze mehrerer Wissenschaften, sie alle
griffen dabei auch die Bildgeschichten der Religionen in ihren Regionen
auf, die der französischen Pilgerkirchen, der venezianischen Malerei, der
spanischen Sakramentspiele. Das lässt sich ganz ohne Glauben tun. Denn nur
was gesehen werden kann, ist wirklich da. Man muss aber hinsehen wollen,
und das ist es, wozu Belting immer anregte.
16 Jan 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Martin Treml
## TAGS
Ästhetik
Religion
Kulturwissenschaft
ZKM
Geisteswissenschaften
Medienkunst
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