# taz.de -- Ausstellung zeitgenössische Kunstwelten: Abschied von dem kolonial… | |
> Eine Ausstellung in Karlsruhe zeigt zeitgenössische Kunst aus der ganzen | |
> Welt. Sie verhandelt ein neues, globales Kunstverständnis vergleichbar | |
> mit der Evolution in der Natur. | |
Bild: Im Stil eines quietschbuntem Bollywoodplakats: Navin Rawanchaikuls Panora… | |
Global gesehen haben wir es heute nicht einfach mit neuer Kunst, sondern | |
vielmehr mit einer neuen Art von Kunst zu tun. Zu dieser Schlussfolgerung | |
führen die Überlegungen des französischen Philosophen und Vordenkers der | |
postkolonialen Kulturtheorie, Èdouard Glissant, auf den sich Hans Belting | |
und Andrea Buddensieg in ihrer Einführung in die Ausstellung "The Global | |
Contemporary. Kunstwelten nach 1989" berufen. | |
Glissant beschreibt die lineare Zeit als eine spezifisch westliche | |
Zeitvorstellung. "Man kann sich zeitgenössische Völker vorstellen, die in | |
anderen Zeiten leben." Insofern stellt auch "The Global Contemporary" im | |
Karlsruher ZKM den Versuch dar, die zeitgenössische Kunst als Vielzahl | |
globaler Kunstpraktiken neu zu verorten. | |
Die rund 100 Arbeiten umfassende Schau ist aus dem Forschungsprojekt | |
"Global Art and the Museums" (GAM) hervorgegangen, das nach den | |
Auswirkungen der Globalisierung für die Kunst fragt. Die Rede ist von | |
"Kunstwelten", die sich nach dem Ende des Kalten Kriegs zeitlich parallel | |
entwickelten. | |
## Kein "Kampf der Kulturen" | |
Wie im ZKM üblich wird der Besucher mit einer geballten Ladung an | |
Aufklärung konfrontiert, dieses Mal in Form einer Zeitung, in der jedes | |
Werk abgebildet und analysiert ist. Was die Gegenwartskunst nach dem Ende | |
des Kalten Kriegs ausmacht, ist für Peter Weibel - zusammen mit Andrea | |
Buddensieg Kurator der Ausstellung - die Verabschiedung einer vom Westen | |
dominierten Kunst-Moderne mit ihren Ein- und Ausschlussmechanismen. Nach | |
1989 meldete sich im Zuge der rasant fortschreitenden Globalisierung der | |
Rest der Welt zu Wort, Kulturen, die nicht bereit waren, das vom Westen | |
okkupierte und praktizierte Recht auf Ausschließung zu übernehmen. | |
"Moments of Glory" ist eine satirische Wort-Licht-Installation der in | |
Berlin lebenden Irakerin Leila Pazooki. Jede der mit farbigem Neonlicht | |
geschriebenen Zeilen enthält einen Künstlernamen nach dem Muster: "Iranian | |
Tracey Emin", den der Betrachter als Leila Pazooki zu entlarven hat. | |
Was wir heute in der Kunst erleben, ist nicht der von Samuel P. Huntington | |
beschriebene "Kampf der Kulturen", sondern die "Idee der ,Umschreibung' " | |
(Peter Weibel), zu verstehen als ein Prozess nach Art der Evolution in der | |
Natur. Der Kunst außerhalb von Europa und Nordamerika mangelt die Erfahrung | |
der westlichen Moderne, aber der Diskurs über dieses Fehlen ist Teil ihrer | |
gegenwärtigen selbstbewussten Kunstpraxis, wie es Navin Rawanchaikuls 2009 | |
entstandenes Panoramabild "Super China!" (2,7 x 12,6 m) zeigt. Im | |
quietschbunten Stil eines Bollywoodfilmplakats porträtiert der Künstler den | |
kulturellen Mix aus heimischen und westlichen Kunsttraditionen. | |
Über dem architektonischen Bodensatz der globalen Moderne bewegen sich die | |
Star-Akteure der chinesischen Kunst wie Xu Bing, Cai Guo-Qiang, aber auch | |
Uli Sigg, Guy und Myriam Ullens und last not least Ai Weiwei, wie | |
himmlische Scharen am tiefblauen Firmament. "Super China!" belegt den | |
Anspruch von "The Global Contemporary" als einem Forum, auf dem | |
KünstlerInnen mit ihren Arbeiten die Bedingungen der Produktion, | |
Distribution und Präsentation von Kunst neu verhandeln. | |
## Ein koloniales Relikt | |
"Room of Histories" widmet sich dem Mapping einer polyzentrischen Weltkarte | |
jenseits des alten Schemas von Zentrum und Peripherie. Besonders | |
eindrucksvoll gerät die Installation "trans_actions. The Accelerated Art | |
World", die auf einem Panorama-Screen statistisches Material zum | |
expandierenden Biennalesystem in Licht- und Farbbewegung übersetzt. | |
"Escapement" nennt das indische Raqs Media Collective seine Installation | |
mit 27 Uhren, die Städten unterschiedlicher Zeitzonen zugeordnet sind. | |
Gemeinsam ist ihnen, dass die Zeiger statt auf Zahlen auf die allen | |
Menschen gleich vertrauten seelischen Zustände wie Angst, Sorge, Schuld | |
verweisen. | |
Im "Themenbereich Lebenswelten & Bilderwelten" zeigt der Franzose Kader | |
Attia leere farbige Plastiktüten, die mit ihrer skulpturalen Form - den | |
verschiedenen Stadien des Zusammenfallens - an verwirklichte Träume und | |
auch das Gegenteil erinnern. Eine betont sinnliche Sprache benutzt der | |
Javaner Jompet für seine Parade aus uniformierten Trommlern ("Cortege of | |
the Third Realm"), die den Synkretismus der javanischen Kultur sichtbar und | |
hörbar werden lässt. | |
Der Begriff Kunstwelten im Titel der Ausstellung muss als Antithese zum | |
Begriff der "Weltkunst" gesehen werden, unter dem bislang gerne jene | |
zeitgenössischen Werke vereinigt wurden, die in westlichen Kunstmuseen und | |
Galerien keinen Platz hatten. Sie landeten dann vielleicht in | |
ethnologischen Museen, den Nachfolgern der Wunderkammern. Das großformatige | |
Foto "The Artifact Piece" zeigt James Luna, den in Kalifornien lebenden | |
indianischen Künstler. Er stellt sich, nur mit Lendenschurz bekleidet, in | |
einer Vitrine liegend aus, auf dem Boden seine Papiere: Diplom, Scheidung: | |
"Weltkunst" als koloniales Relikt. | |
25 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Hoffmann | |
## TAGS | |
Ästhetik | |
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