# taz.de -- Sachbuch zur Buchmesse: Alle deine Gesichter | |
> Der Kunsthistoriker und Medientheoretiker Hans Belting hat die erste | |
> Geschichte des Gesichts geschrieben. Es wurde daraus ein Plädoyer fürs | |
> Kulturprodukt. | |
Bild: Auch das Gesicht ist ein Bild. Und „Rohstoff des Lebens und Natur in ge… | |
„Die Maske vom Gesicht reißen“. So hartnäckig, wie sich eine populäre | |
Metapher hält, zeigt das, für wie naturgegeben der kultivierte Mensch sich | |
immer noch hält. Denn als was fungiert diese Wendung anderes denn als | |
Instanz des Authentischen. Doch wer Hans Beltings neues Buch „Faces“ | |
gelesen hat, dem stellt sich eine scheinbar anthropologische Grundkonstante | |
plötzlich als etwas ebenso Künstliches wie Kunstvolles dar. Zugleich wird | |
bei ihm „das Gesicht“ zum Ausdruck einer epochalen Krise. | |
Der 1935 geborene Kunsthistoriker und Medientheoretiker, der an der | |
Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe lehrte, wandelt auf den Spuren Aby | |
Warburgs. Mit seinem 2001 erschienenen Band „Bildanthropologie“ lotste er | |
die Kunstgeschichte auf den Weg zur „Bildwissenschaft“. Die sich für alle | |
Arten von Bildern gleichermaßen interessiert. | |
Auch in seinem jüngsten Werk bleibt Belting einem weiten Bildbegriff treu. | |
Denn auch das Gesicht ist für ihn ein Bild. Und zwar eines, „das auf einer | |
Oberfläche erscheint“. Wenn er es als „Rohstoff des Lebens und Natur in | |
gesellschaftlicher Praxis“ definiert, dann ist es für ihn mehr als Haut und | |
Knochen. An dieser Schnittstelle von Natur und Kultur wird der Mensch zum | |
Schauspieler seines Selbst. Nicht umsonst hat Belting sein Buch „Faces“ | |
betitelt. „Das Gesicht“ hat immer viele Gesichter. | |
Wie seine vorhergehenden Studien ist Beltings neues Werk keine ganz strenge | |
Kulturgeschichte. Auch wenn er dem Gesicht von der prähistorischen | |
Totenmaske bis zur digitalen Cybermaske mittels seiner medialen Spiegel auf | |
die Spur zu kommen sucht. Oder von der Schädelkunde bis zur Hirnforschung | |
die wissenschaftlichen Versuche referiert, das Wesen zu ergründen, das sich | |
dahinter verbirgt. | |
## Das „ehrliche Gesicht“ gegen die „falsche Maske“ | |
So zielstrebig, wie Belting die Vorstellung von dem „ehrlichen Gesicht“ zu | |
unterlaufen sucht, das gegen die „falsche“ Maske steht, gleicht das Buch | |
eher einem Plädoyer für das Kulturprodukt Gesicht. Eine Vorstellung, die in | |
der Renaissance aufkommt. Als das Theater die Maske ablegt, die in der | |
Antike noch mit ihm verbunden war. Beltings Grundthese: Es gibt keine | |
scharfe Grenze zwischen Gesicht und Maske. Weil auch das scheinbar | |
natürlichste Gesicht immer „Träger sozialer Zeichen“ ist: „Der Mensch | |
betreibt Repräsentation mit dem eigenen Gesicht. Er repräsentiert eine | |
Rolle im Leben.“ | |
Sein souveräner Gang durch die Kulturgeschichte liefert eine Fülle | |
bestechender Einsichten: „Die Physiognomie als Domäne des Körpers bedeutete | |
Sterblichkeit, und also bestand die Aufgabe darin, im Gesicht ein Leben zu | |
simulieren, das nicht mit dem Gesicht enden würde“, resümiert er die | |
Aufgabe des Porträts. | |
Oder wenn er an Francis Bacons schmerzverzerrten Papstporträts oder Ingmar | |
Bergmanns Filmen demonstriert, wie Künstler dem Dilemma zu entgehen | |
versuchen, dass sie das lebendige Gesicht immer nur als stillgestellte | |
Maske zeigen können. Je näher er jedoch an die Gegenwart rückt, desto | |
kulturkonservativer wird sein Unterton. | |
## Kein Blickaustausch mit Ikonen | |
Belting konstatiert zu Recht eine „Krise der Repräsentation“, wenn er | |
darauf hinweist, dass heute massenweise Gesichter entstehen, die auf keine | |
„Spur eines körperlichen Lebens“ mehr zurückverweisen. Andy Warhols | |
Polaroid-Mao-Porträt ist für ihn das Paradebeispiel der „Reproduktion einer | |
Reproduktion“. Denn das Foto aus der berühmten Mao-Bibel, das Warhol dafür | |
benutzte, war das Ergebnis jahrzehntelanger Retuschen chinesischer | |
Staatskünstler. | |
Man mag sich auch mit Beltings Analyse anfreunden, dass mit diesen | |
ikonischen faces eine neue Form von Herrschaft in der Mediengesellschaft | |
entsteht. Mit ihnen ist nämlich kein Blickaustausch mehr möglich. Trotzdem | |
fragt man sich: Wenn das Gesicht schon immer ein Bild- und Medienphänomen | |
war, dann kann die „Entleerung durch Überproduktion“, die Belting beklagt, | |
doch eigentlich nur den kulturpessimistisch stimmen, der in ihm nach dem | |
authentischen Ausdruck des Selbst sucht, den es nie gab. | |
## „Faces. Eine Geschichte des Gesichts“. C .H. Beck, München 2013, 343 | |
Seiten, 29,95 Euro | |
15 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
Ingo Arend | |
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