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# taz.de -- Sturm auf Kongress in Brasilien: Verpatzter Putsch
> Nach dem Sturm auf den Kongress in Brasilien gehören die Teilnehmer vor
> Gericht. Dabei geht es nicht um Vergeltung, sondern um Demokratie.
Bild: Angriff auf die Demokratie: das Kongressgebäude in Brasilia am 9. Januar…
In einem politischen Umfeld, das bereits für die brasilianische Demokratie
vermint ist, sind die Fragen im Moment vielfältig, aber eine davon sticht
klar heraus: Werden all diese Leute, die in Brasília an den gewalttätigen
Unruhen beteiligt gewesen sind, und diejenigen, die sie gesponsert haben,
zur Verantwortung gezogen? Wird es eine gerichtliche Verfolgung geben? Von
der Antwort hängt die Zukunft Brasiliens ab.
Millionen Brasilianer haben ganz offensichtlich die schwierige [1][Zeit der
Militärdiktatur] vergessen und sehnen sich nach einer Rückkehr des Militärs
an die Macht. Dieser Eindruck entsteht bei den Demonstrationen und den
landesweiten Lagern vor Militärstützpunkten. Nicht zuletzt hatte Präsident
Jair Bolsonaro einen erheblichen Anteil der Kabinettssitze an Offiziere
vergeben, für die er unverhohlenen Respekt empfindet.
In einer beispiellosen Initiative sammelte eine Gruppe, die sich selbst den
Namen „Gegen den Putsch“ gab, in den sozialen Medien binnen eines Tages
über eine Million Klicks. Follower identifizierten anhand von Fotografien
zahlreiche Täter, die an der Stürmung des Kongresses beteiligt waren. Auch
brasilianische Zeitungen bemühten sich um eine gemeinsame Suche nach den
gewalttätigen Unruhestiftern im Regierungsviertel.
Die Rädelsführer kommen offenbar aus einem rechtsextremistischen Milieu,
sind weiße Menschen, die der Mittelklasse angehören. In Brasilien sind über
die Hälfte der Bevölkerung Schwarze Menschen. Wenn von Armut die Rede ist,
geht es nahezu ausschließlich um PoC. Gerade sie machen indes nur einen
kleinen Teil der Verdächtigen aus, die die Polizei inzwischen
identifizieren konnte.
## Politisches Fußball-Shirt
Viele trugen [2][T-Shirts der brasilianischen Fußballmannschaft], Kleidung
in den Farben der brasilianischen Flagge oder sie hüllten sich gleich in
die Flagge ein. Sie nennen sich Patrioten und treten offen für einen
Militärputsch ein, um die Regierung des neu vereidigten Präsidenten Luiz
Inácio Lula da Silva und seiner Arbeiterpartei (PT) zu stürzen. Zahlreiche
Militärs auch in höheren Rängen solidarisierten sich bereits öffentlich mit
dem Protest gegen Lula.
Der Politikwissenschaftler Rafael Cortez von dem Beratungsunternehmen
Tendencias in São Paulo rechnet mit massivem öffentlichem Druck für eine
gerichtliche Verfolgung der Unruhestifter. Die Räumung der Camps, die seit
drei Monaten vor den Militärstützpunkten stehen, ist ein wesentlicher
Schritt in die richtige Richtung, auch wenn es noch immer an verschiedenen
Orten im Land zu gewaltsamen Demonstrationen kommt.
Cortez erkennt jedoch eine Dezentralisierung der Proteste und generell eine
Verringerung der organisierten Aktionen. Mit der ohnehin tiefen sozialen
Ungleichheit ist Brasilien mit einem weiteren ideologisch-politischen
Problem konfrontiert. Die Diskussion zieht sich durch Institutionen bis hin
auf die Straße. Sie bestimmt entscheidend den alltäglichen Diskurs, wobei
die große Zahl von Waffen in den Händen von Zivilisten besonders
problematisch ist.
Die Zahl der [3][Gewalttaten war während des Wahlkampfs] im letzten Jahr
erneut gestiegen. Ungeachtet der zahlreichen Verhafteten und des großen
Drucks weiter Teile der Bevölkerung, die Übeltäter vor Gericht zu bringen,
kommt es landesweit immer wieder zu Protestaktionen von Anhängern
Bolsonaros. Parallelen zu der Kapitolerstürmung in Washington vor zwei
Jahren liegen auf der Hand.
## Überwiegend Sachschaden
Doch das offensichtliche Déjà-vue sollte nicht den Blick dafür trüben, dass
es auch klare Unterschiede gibt. So fand der Sturm auf das Kapitol vor der
Vereidigung von Joe Biden als US-Präsident statt, wohingegen die
[4][Amtsübergabe am Neujahrstag an Lula da Silva] friedlich ablief und er
bereits brasilianischer Präsident war, bevor die Aktion begann. Im
Unterschied zu Trump verurteilte Bolsonaro die Gewalt, wobei er wie Trump
die Wahl seines Nachfolgers nicht anerkennen wollte.
[5][Die Unruhen im brasilianischen Regierungsviertel] fanden an einem
Sonntag statt, als die Büros leer waren. Außer dass einige Journalisten
leichte Verletzungen davontrugen, kam niemand zu Schaden. Dementgegen
starben in Washington fünf Menschen, Hunderte wurden verletzt. Im Unisono
verurteilten zahlreiche Staaten den Angriff der Bolsonaro-Anhänger auf das
Kongressebäude, auf den Präsidentenpalast und den Obersten Gerichtshof.
Die ausdrückliche internationale Solidarität mit der demokratisch gewählten
Regierung Lula da Silvas ist ein wichtiges Signal an die Antidemokraten in
Brasilien. Immer lauter wird der Ruf auch von US-Kongressabgeordneten zur
Solidarität mit den Wählern Lula da Silvas. Konkret geht es um die
Auslieferung von Jair Bolsonaro, der sich seit dem 31. Dezember in Florida
aufhält.
Gegen den früheren Präsidenten läuft ein Ermittlungsverfahren des obersten
Gerichts wegen gezielter Verbreitung von Falschinformationen und schweren
Verfehlungen während der Coronapandemie. Bolsonaro dürften keine leichten
Zeiten bevorstehen. Ebenso verzog sich [6][Anderson Gustavo Torres] nach
Florida, nachdem die Regierung einen Haftbefehl gegen ihn ausstellte.
Bolsonaros Ex-Justizminister war unmittelbar nach den Unruhen aus seinem
Amt als Sicherheitschef des Bundesbezirks Brasília entlassen worden. Auch
er sollte zeitnah ausgeliefert und vor Gericht gestellt werden. Lula da
Silva zeigt sich unterdessen zunehmend von der menschlichen Seite und gibt
sich spirituell zugänglich, was einen großen Teil der sehr gläubigen
brasilianischen Bevölkerung anspricht.
Mit seinen zahlreichen neuen Ministerien zielt er auch auf die Stärkung der
pluralistischen brasilianischen Gesellschaft. Längst überfällig war etwa
das Ministerium für indigene Völker. Brasilien ist ein Land der
Unterschiede, in dem die gegenseitige Verständigung zentral sein sollte.
Die Verfolgung der Straftäter sollte nicht als Vergeltung definiert werden,
sondern als notwendige Maßnahme für den Erhalt von Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit.
12 Jan 2023
## LINKS
[1] /Buch-ueber-Diktatur-in-Brasilien/!5060323
[2] https://www.zeit.de/sport/2023-01/brasilien-trikot-bolsonaro-vereinnahmung
[3] /Brasilien-vor-der-Praesidentschaftswahl/!5882699
[4] /Amtseinfuehrung-von-Lula-da-Silva/!5905946
[5] /Nach-dem-Putschversuch-in-Brasilien/!5904906
[6] /Nach-Sturm-auf-Kongress-in-Brasilien/!5908324
## AUTOREN
Gabi Fürst
## TAGS
Brasilien
Jair Bolsonaro
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Rechtsextremismus
Putschversuch
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Jair Bolsonaro
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Kolumne Der rote Faden
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