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# taz.de -- Gebühren für Rettungswageneinsatz: Gewaltopfer will nicht draufza…
> Ein Ex-FDP-Politiker aus Hannover geht lieber in Beugehaft, als für einen
> Rettungswageneinsatz zu zahlen. Er wurde im Wahlkampf niedergeschlagen.
Bild: Uwe Bretthauer (FDP) wurde von einem rabiaten Radfahrer niedergeschlagen
Hannover taz | Auf den ersten Blick klingt das empörend: Da wird jemand
niedergeschlagen und soll anschließend noch die Rechnung für den
Krankenwagen zahlen. So sieht der [1][ehemalige FDP-Kommunalpolitiker] Uwe
Bretthauer das, was ihm geschehen ist, und sorgt damit für Schlagzeilen.
Bretthauer, damals noch Bezirksratsherr für die hannoverschen Stadtteile
Ahlem, Badenstedt und Davenstedt, war bei einer FDP-Wahlveranstaltung mit
[2][Christian Lindner] mitten in der Innenstadt, als sich ein
Lastenradfahrer durchdrängeln wollte. Als Bretthauer ihn darauf hinwies,
dass er in der Fußgängerzone eh nicht fahren dürfe, schlug der Mann zu.
Bretthauer ging zu Boden, andere hielten den Schläger fest. Das war schon
im September 2021, doch das Nachspiel zieht sich bis heute.
Der prügelnde Radfahrer ist in der Zwischenzeit verurteilt worden –
allerdings nicht für die Tat an Bretthauer, sondern für einen anderen Fall,
in dem er eine ebenso kurze Zündschnur gehabt haben soll, [3][berichtet die
Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ)]. Die Vorwürfe im Fall Bretthauer
ließ die Staatsanwaltschaft wohl deshalb fallen, weil die andere Tat
schwerwiegender war und sich am Gesamtstrafmaß nicht viel geändert hätte.
Bretthauer flatterte dagegen eine Rechnung ins Haus. 317 Euro sollte die
Fahrt mit dem Rettungswagen der städtischen Feuerwehr ins Krankenhaus
kosten. Dorthin hatte man ihn geschickt, um abzuklären, ob er eine
Gehirnerschütterung davon getragen hatte.
## Stadt sieht keinen Ermessensspielraum
Bretthauer weigerte sich zu zahlen – deshalb ist die Summe mittlerweile auf
475 Euro gestiegen, inklusive Mahngebühren und Säumniszuschlag. Der
74-Jährige schrieb stattdessen Briefe an die Stadtspitze, insbesondere an
Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne).
Der habe sich doch immer gegen die zunehmende Gewalt gegen Politiker und
andere Ehrenamtliche ausgesprochen, argumentiert Bretthauer. Dann solle die
Stadt doch jetzt auch bitteschön auf diese Rechnung verzichten. Die sieht
sich dazu allerdings außerstande, weil die entsprechende Kostensatzung
keinen solchen Ermessensspielraum vorsieht.
Bei jedem anderen hätte ohnehin die Krankenkasse diese Kosten übernommen.
Bretthauer, selbst Zahnarzt im Ruhestand, ist allerdings privat versichert
und hat einen relativ hohen Eigenanteil von 1.200 Euro vereinbart, weil er
„eigentlich nie krank ist“, wie er der HAZ sagt. Es ginge ihm ja gar nicht
ums Geld, sondern ums Prinzip, erklärt er außerdem.
Er könnte natürlich versuchen, sich das Geld durch eine Zivilklage beim
Täter wiederzuholen – das dauert aber, kostet auch erst einmal Geld und
Nerven und kann nur erfolgreich sein, wenn auf der anderen Seite überhaupt
etwas zu holen ist. Er sähe das nicht ein, sagte Bretthauer der Deutschen
Presse-Agentur, dass er hier als Opfer auch noch aktiv werden müsse.
## Sich das Geld wiederzuholen ist kompliziert
[4][Das beklagt auch der Opferverband Weißer Ring], der sich zu dem sehr
speziellen Einzelfall aber lieber nicht äußern möchte. Generell lasse sich
aber festhalten, dass der Staat es den Betroffenen sehr schwer mache,
Hilfen zu beantragen, sagt die Göttinger Rechtsanwältin Helen Wienands als
Sprecherin für den Weißen Ring Niedersachsen [5][der] HAZ.
Neben einem Antrag im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes gebe es aber
noch verschiedene andere Möglichkeiten: So könne man prüfen, ob die
Haftpflichtversicherung aufkommt oder die FDP einspringt, für die
Bretthauer ja immerhin im Einsatz war.
Eigentlich seien ehrenamtlich Tätige auch gesetzlich unfallversichert,
ergänzt Niedersachsens Landesbeauftragter für Opferschutz, Thomas
Pfleiderer. Auch er räumt ein, dass viele Entschädigungsverfahren
nervtötend, bürokratisch und kompliziert seien. Seine Geschäftsstelle
vermittele aber gern an die entsprechenden Hilfestellen im ganzen Land.
Das Spektrum der Hilfsmöglichkeiten sei mittlerweile sehr groß und reiche
von psychosozialen Angeboten über rechtliche Beratung bis hin zu
praktischer und finanzieller Unterstützung. Allerdings seien diese Angebote
oft nicht genug bekannt.
## Stadt will auf Beugehaft nun verzichten
Und es reiche eben auch nicht, den Betroffenen bei der Anzeigeerstattung
ein Faltblatt in die Hand zu drücken – in einer Situation, in der viele
aufgeregt und verängstigt seien, dringe diese Information nicht immer
durch.
Der betroffene Bretthauer hat jedenfalls auf stur geschaltet: Mittlerweile
droht ihm Beugehaft, aber auch die wolle er lieber in Kauf nehmen, als
diese Rechnung zu bezahlen, sagt er. Die zuständige
Obergerichtsvollzieherin hat ihn für kommenden Montag vorgeladen.
Am Freitagnachmittag gab dann eine Sprecher der Stadt bekannt, dass die
Stadt eine andere Vollstreckungsmöglichkeit gefunden hat. Auf welchem Weg
sie zu ihrem Geld kommen will, teilte der Sprecher nicht mit. In
vergleichbaren Fällen habe es eine Aufrechnung mit anderen Forderungen oder
Guthaben gegeben. Möglich sei aber auch die Pfändung von Wertsachen oder
eine Kontopfändung.
„Es besteht seitens der Verwaltung jedoch kein Interesse, Herrn Bretthauer
in Haft nehmen zu lassen“, teilte der Stadtsprecher der Deutschen
Presse-Agentur mit.
6 Jan 2023
## LINKS
[1] /FDP-Landeschef-in-Niedersachsen/!5886802
[2] /Christian-Lindner/!t5007550
[3] https://www.haz.de/lokales/hannover/hannover-opfer-soll-nach-gewalttat-fuer…
[4] /Jahresbericht-des-Weissen-Rings/!5875419
[5] https://www.haz.de/lokales/hannover/gewaltopfer-in-beugehaft-hannover-will-…
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Kommunalpolitik
Kriminalität
Weißer Ring
Niedersachsen
Kommunalpolitik
Opferschutz
Opferberatung
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