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# taz.de -- Dexys Midnight Runners sind zurück: Mit Baskenmütze auf Speed
> „Too-Rye-Ay As It Should Have Sounded“: Das legendäre Soulfolkpopalbum
> der britischen Dexys Midnight Runners wird im neuen Mix
> wiederveröffentlicht.
Bild: Zu sophistated? Der Latzhosen-plus-Halstuch-und-Baskenmütze-Stil der Dex…
Bekannt wurde der Brite Kevin Rowland, da er nach den „Young Soul Rebels“
suchte; doch berühmt wurde er mit seinem Lied „Come on Eileen“, diesem
unzerstörbaren, besoffen-kokett-wollüstigen Welthit. Rowland wird als
Teenie die Old Soul Rebels in der ersten Generation von Skinheads vermutet
haben, harte Typen mit strengem, von US-Marines abgeschautem Dresscode.
Unter den Besuchern der nordenglischen Soul-Allnighter-Partys, jenen
Veranstaltungen, bei denen mit akrobatischer Finesse nächtelang zum Beat
von Motownsongs getanzt wurde.
Knapp zehn Jahre später, 1978, imaginiert Rowland, der zu den ersten Punks
in der britischen Großstadt Birmingham gehört hatte, aber der
Beschränkungen von Punk schnell überdrüssig wurde, eine Soulband gleich
einer Gang: Für die Besetzung heuert und feuert er, ein Egomane
sondergleichen. Doch das bemerkt der Bandleader gar nicht, denn er ist auf
einer Mission, das Reine und Pure suchend, im Vertrauen darauf, es könne
eine bessere Gesellschaft formen.
Gleich die zweite Single dieser Band namens Dexys Midnight Runners, „Geno“,
erklimmt in Großbritannien die Spitze der Charts. Nur, wer versteht
wirklich die Zeichen? Rowland zweifelt, fordert sich, die nach der
Aufputschpille Dexedrin benannte Band und das Publikum heraus. Wo er 1980
Schönheit aus druckvoller Energie destillierte, addiert er bald Klänge des
seinerzeit eher verpönten Folk.
Ein Soulensemble im folkigen Fiddle-Sound eröffnet 1982 beherzt mit „The
Celtic Soul Brothers“ das zweite Dexys-Album „Too-Rye-Ay“, das vor Kurzem
erneut und mit einem anderen Mix unter dem Titel „Too-Ry-Ay As It Should
Have Sounded“ veröffentlicht wurde. Die Band firmiert nun als Kevin Rowland
& Dexys Midnight Runners.
## Die rustikale Anmut verliebter Fiddler
Und Rowland beherrscht auch im neuen Mix seinen
Träne-im-Knopfloch-Gesangsstil vollendet, euphorisch feiernd und zugleich
gerührt. Er bringt gar einen Toast aus, um uns dann im Refrain durch die
Luft zu wirbeln. Und sieh an, getragen von der rustikalen Anmut verliebter
Fiddler schweben wir durch den Pub. Was für ein Leben! Nahtlos daran
anknüpfend erklingen die sehnsüchtigen Bläsersätze von „Let’s Make this
Precious“.
Gesang im nie langweilig werdenden Call-and-Response-Schema schwört
Gitarren ab, sie sind „too noisy and crude“, dafür fordert Rowland den Mut
zum Guten derart innig, dass man gar nicht umhinkommt, das Scheitern zu
erahnen. „Let’s try and let’s try“ fleht die Stimme, und ist es nicht
seltsam, dass heute, 40 Jahre später, kein mildes Lächeln vermeintlich
jugendliche Torheit relativieren mag?
Und doch, etwas ist anders, liegt es am eigenen Alter, dass nun vieles
ausgewogener klingt? Nein, es sind die Spuren einer Überarbeitung, für die
sich neben Kevin Rowland die einstige und seit Kurzem zurückgekehrte
Violinistin von Dexys Midnight Runners, Helen O’Hara, verantwortlich
zeigt. Die neugewonnene klangliche Transparenz des beileibe nicht schlecht
produzierten Originals lenkt die Aufmerksamkeit erneut auf die
vielschichtigen Arrangements, Klangwelten von [1][Postpunk]-Pop, [2][Soul]
und Folk vereinend.
Man versteht: Der Mythos um das große Popjahr 1982 findet seinen Grund in
der Ideendichte und dem Detailreichtum von „Too-Rye-Ay“. Doch was den
Künstlern im alten Mix zu grell erschien, beleuchtete auch jene Momente der
Verzückung, welche die Dringlichkeit der Musik akzentuierten. Aber wovon
soll uns eigentlich so nachdrücklich erzählt werden?
## Sekundenkleber statt Tanzschuhe
In „I’ll Show Vou“ spricht Rowland es aus: „Those boys without cares /
Who’d swapped dirty pictures and talked during prayers / They grew up with
wisdom / They’d stored from those days / Nobody told them to get in / They
must change.“ Er benennt sie: Alkoholiker, Sitzengelassene, Obdachlose,
kleine Angestellte, wenige davon lassen sich idealisieren, keine aus dem
aktuellen Kanon derer, denen nicht ausreichend Recht widerfährt. Dafür
gestürzte Schulhofkönige, zu naiv oder zu stolz, das Spiel der anderen zu
spielen.
Wer sich heute in Opposition wähnt, hat dieses Spiel längst verinnerlicht.
Existenzangst statt Lebenslust, Sekundenkleber statt Tanzschuhe, Karriere
statt Working Class. Und Kevin Rowland macht es nicht mal den Willigen
leicht. Inmitten des glitzerndern Popjahres 1982 designt er die Band
minutiös als Landarbeiter. So hatte er seinen Teil am zeitgleich mit dem
Album aufkommenden „Hard Times Look“, dessen zerrissene Jeans Rowland bald
anwiderten. Sie sind geblieben, der Latzhosen-plus-
Halstuch-und-Baskenmütze-Stil der Dexys war hingegen zu sophisticated.
Was also haben sie wohl bewegt, die Dexys? Immerhin reichte es zu
Millionenverkäufen. Doch lange Zeit schien es, als hätte sich Kevin Rowland
selbst verloren. Wo er im neuen Mix die Sprechpassage Sam Browns kappt (die
einige Jahre später mit „Stop!“ einen großen Retro-Soul-Hit hatte) und im
agitierenden Rausch von „Plan B“ mit seiner eigenen, wenn auch kaum
gealterten Stimme ersetzt, klingt das keinesfalls besser, sondern eher nach
großem Ego.
Geht es um die da draußen oder um ihn? Gegen Ende des Albums, im nun von
einer Posaune eingeleiteten „Until I Believe in My Soul“ gelobt er „I will
punish body / Until I believe in my soul“, irischer Katholizismus,
puritanische Härte und die Suche nach dem Wahren, wen sollte dies nicht
aufzehren?
## Ist das Soul?
Das Drama lässt sich erahnen, es mag erklären, warum sich manch alter Fan
von Rowlands größtem Erfolg abwandte, [3][zu „Come on Eileen“ hilflos
„Ausverkauf'“ grummelnd] und warum intellektuelle Hörer das 1985
nachfolgende Album vorziehen. „Too-Rye-Ay“ sei ihnen zu vordergründig, doch
eigentlich meinen sie: zu intensiv. Sie waren halt nicht angesprochen. Für
kommende Uni-, NGO- und Kreativ-Karrieristen gab es 1982 die [4][auch guten
Scritti Politti].
Außerordentlich gelungen aber sind diese zehn Songs, fast einem Bühnenstück
gleich vorgetragen, Präzision und Wut, Eigensinn und Mitgefühl. Ist das
Soul?
Bist du 5 und willst es später schwieriger haben im Leben, lass dir von
Christian Andersens „Mädchen mit den Zündhölzern“ künden. Bist du 14 od…
18 und magst erleben, wie ein Feuer in dir dein noch ungeschriebenes
Erfolgs-Curriculum-Vitae verschlingt, dann besorge dir dieses Album,
unbedingt!
19 Dec 2022
## LINKS
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[3] /Kevin-Rowland-ueber-One-Hit-Wonder/!5086227
[4] /Was-Sommerhits-ausmacht/!5694376
## AUTOREN
Oliver Tepel
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Rowland 1982 ein One-Hit-Wonder. Im sonntaz-Gespräch redet er über seinen
Absturz danach.
Comeback-Album der Dexys: Für immer fremd
Weiter auf der Suche, wenn auch inzwischen ohne die Midnight Runners: Kevin
Rowlands kommt mit einem neuen Album wieder, unter dem Namen Dexys.
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