# taz.de -- Comeback-Album der Dexys: Für immer fremd | |
> Weiter auf der Suche, wenn auch inzwischen ohne die Midnight Runners: | |
> Kevin Rowlands kommt mit einem neuen Album wieder, unter dem Namen Dexys. | |
Bild: Rennen nicht mehr auf Dexedrin durch die Nacht: Kevin Rowlands Dexys. | |
„Der einzige Weg, die Verhältnisse zu verändern, ist der, die Männer zu | |
erschießen, die für die Verhältnisse verantwortlich sind.“ Man muss dem | |
nicht zustimmen, um die Leistung zu würdigen, mit so einer Zeile auf Platz | |
sieben der Charts zu landen, 1980, das gibt’s nur in England. | |
„There there my dear“ heißt der Song, und es ist die Abrechnung des Sänge… | |
mit einem (ein)gebildeten Poseur, der Burroughs, Duchamp und Kierkegaard | |
zitiert und sich anti-fashion geriert. | |
Dabei ist er doch bloß ein dumb patriot, und es ist an der Zeit die falsche | |
Freundschaft zu beenden. Zumal Kevin auf der Suche ist: „I’m just searching | |
for the young soul rebels.“ „There There My Dear“ ist der titelgebende So… | |
des Debütalbums von Dexys Midnight Runners, ein Album, dessen ungeheure | |
Kraft und Schönheit in diesen Tagen von vielen männlichen Kollegen über | |
vierzig mit blumigen Worten gefeiert wird. | |
Dass ich das noch erleben darf! – das ist der Tenor der Hymnen auf „One day | |
I’m going to soar“, dem Comeback-Album von Kevin Rowlands Dexys. Die | |
Midnight Runners hat er gestrichen, mit knapp sechzig rennt man nicht mehr | |
auf Dexedrin durch die Nacht. | |
## Im Sommer der Style Wars | |
Toll ist es geworden, das neue Album. Aber je öfter ich es höre, desto mehr | |
frage ich mich, was eigentlich Leute unter 35 mit dieser Musik anfangen | |
können. Leute, die zum ersten Mal auf Dexys stoßen – hören die mehr als | |
stilsicher abgehangenen Country Soul im Geiste des von Willie Mitchell | |
geprägten Memphis-Sounds? Wird das neue Dexys-Album automatisch Kunden | |
empfohlen, die Sharon Jones & The Dap Kings und Amy Winehouse gekauft | |
haben, am Ende Adele? | |
Okay, dieser Sänger mit dem geckenhaften Moustache und dem plakativen | |
Forties-Look neigt zu Hysterie und operettenhafter Theatralik, das will | |
nicht passen zur seriösen Soulrenaissance, irritierend auch der Hang zu | |
langen Songs mit dramatischen Stimmungswechseln, gern auch Sprecheinlagen. | |
Nein, die Retro-Soul-Kundschaft dürfte ratlos sein. Weil sie nicht die | |
glorreiche Vergangenheit mithört, nicht den Überbau mitversteht, weil sie | |
„One day I’m going to soar“ nicht im Dexys-Kontinuum hören kann, sondern | |
bloß das neue Album einer Band mit angeblich großer Vergangenheit. | |
## Eine Frage auf Leben und Tod | |
Eine Vergangenheit, von der wir Dexyianer reden wie früher Opa von | |
Stalingrad. Der Popsommer 1982! Trägst du noch Latzhosen? Oder trägst du | |
schon wieder Latzhosen? Eine Frage auf Leben und Tod. Zwischen (Post-)Punks | |
und Hippies toben Style Wars, Punks prügeln Popper, und Dexys Midnight | |
Runners ersetzen den von Scorseses Gangsterfilm inspirierten „Mean | |
Streets“-Look durch verwaschene Latzhosen. | |
Die große antizyklische Geste im langen Sommer der Zeichenkriege: Die | |
letzten Hippies gehen zum Friseur und tauschen Latzhosen und | |
Schlabberkleider gegen schwarz-pink gestreifte Fiorucci-Röhrenhosen, da | |
diktiert Rowland seiner Band den Image-Shift vom toughen Mean-Streets-Look | |
zu Latzhosen und Schlabberkleidern. | |
Der Dresscode-Wechsel geht einher mit dem musikalischen Shift von Bläsern | |
zu Streichern im Namen eines Van-Morrison-inspirierten Celtic Soul. Viel | |
später sollte ich erkennen, dass in diesen irischen Fiedeln die Liebe zu | |
Philly und Disco versteckt war, ein utopischer Vorschein der synthetischen | |
Streicherparadiese der Housemusic von Gay Chicago. | |
Noch viel später sollte ich erkennen, dass Kevin Rowlands Performances mehr | |
dem dandyesken Bryan Ferry schulden als dem bräsigen Belfast-Cowboy | |
Morrison. Dass Dexy Music verschwistert ist mit Roxy Music. In aktuellen | |
Interviews bestätigt Rowland sein Roxy-Faible und schwärmt von dem weißen | |
Tuxedo, den Ferry 1974 auf dem Albumcover von „Another Time, Another Place“ | |
trägt, im Hintergrund schimmert hellblau der Pool. „The tuxedo was a work | |
of art“ gegen die Langhaarigen mit ihren Jeanswesten. | |
Der Glaube an die Kraft von Stilgesten ist das Fundament von Rowlands | |
Identitätspolitik. Bloß nicht festlegen lassen auf eine Identität! Wenn ihr | |
hier ankommt, bin ich schon wieder woanders! Von Stunde null an pflegt | |
Rowland eine Hase-und-Igel-Queerness, gespeist aus querulantischer | |
Dissidenz gegen herrschende Zeichenordnungen. „Take your Irish stereotype | |
and shove it up your ass“, heißt es auf „Nowhere is home“, dem | |
selbstreferenziellsten von vielen selbstreferenziellen Songs auf dem neuen | |
Album. | |
## Sich fühlen wie eine Wurst | |
In eine irische Familie wurde ich hineingeboren, singt er, aber das | |
bedeutet noch nichts Gutes, „because national identity won’t fulfill me“, | |
der Song zum Fußballsommer mit schwarz-rot-goldenen Kondomen über | |
Autospiegeln. „I want to be everything / I wanna be the man of my dreams / | |
And I can’t be a fucking stereotype“, mit solchen Zeilen steht „Nowhere is | |
home“ im Dexys-Kontinuum, Abteilung nationale Identität. Rowland schreibt | |
„My Life in England“ fort, einen seiner größten Songs, versteckt auf einer | |
„Best of“ 2003. | |
Zu Philly-Geigen und dem Bass aus Grandmaster Flashs „White Lines“ (Koks | |
statt Pillen) erzählt er von seiner Kindheit. In den fünfziger Jahren | |
aufwachsen als Sohn irischer Eltern zwischen den englischen Midlands, | |
Irland und North London. Fremd im eigenen Land. Wie eine Wurst fühlt sich | |
der schwarz gelockte Ire Kevin, wenn seine Schulkameraden ihn als mate | |
ansprechen – er hatte meat verstanden. | |
Das ewige Sichfremdfühlen – im eigenen Land, in der eigenen Sprache, in den | |
eigenen Klamotten, im eigenen Körper – ist eine Konstituante von Queerness. | |
Kevin ist weiter auf der Suche: nach dem Soul, nach dem Man of My Dreams in | |
sich. | |
## ■ „One day I’m going to soar“ (Buback/Finetunes/Indigo) live am 23. | |
Juni, Lüften Festival, Frankfurt am Main | |
24 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Klaus Walter | |
## TAGS | |
Großbritannien | |
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