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# taz.de -- Vortrag von Historikerin Olga Dror: Überväter und Regierungschaos
> Im Vietnamkrieg verbreiteten Schulbücher politische Lehren, um das
> Bewusstsein von Kindern zu beeinflussen. Eine Übersicht der
> Kriegsgeschichte.
Bild: Der Einzige, der in der Partei einen Bart trug: Der Nord-Vietnamesische F…
Vietnam gehört zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften. In
Südostasien ist die sozialistische Republik wichtigster Handelspartner
Deutschlands. Nachrichten aus dem 100-Millionen-Einwohnerstaat, das wurde
bei Kanzler Scholz’ [1][jüngster Reise dorthin wieder offenbar], sind
jedoch eher rar.
Untrennbar verbunden ist das Bild Vietnams noch heute mit dem blutigen
Bürger- und Stellvertreterkrieg, der zwischen 1955 und 1975 Todesopfer in
Millionenhöhe forderte. Wie sehr der Nord- und Süddualismus schon in den
Köpfen der jungen Vietnames:innen verankert war, erklärt die
Historikerin Olga Dror, die vergangene Woche einen Online-Gastvortrag an
der Universität Hamburg hielt und mit „Making Two Vietnams“ ein Buch über
die Indoktrination vietnamesischer Kinder und Jugendlicher geschrieben hat.
Der Grad an Propaganda, dem Schüler:innen während des Vietnamkriegs
ausgesetzt waren, so fand sie heraus, unterschied sich zwischen den beiden
Landesteilen stark. Dror, die in der Sowjetunion und in Israel lebte und
heute in Texas lehrt, zeigt einen Kindercomic aus Nordvietnam, auf dem ein
Junge vor einer Messlatte steht und davon träumt, endlich Amerikaner
bekämpfen zu dürfen. In den 1960er Jahren seien die nordvietnamesischen
Schulbücher voll von Propaganda gewesen, sagt Dror. Selbst im
Matheunterricht habe man Zählen anhand von erschossenen Feinden gelernt.
## 13-Jähriger soll 300 US-Amerikaner ermordet haben
Dror zitiert aus einem von der kommunistischen Regierung zu Kriegszeiten
veröffentlichten Propagandabrief, den angeblich ein 13-Jähriger
verschickte, der sich – als vermeintlicher Mörder von 300 US-Amerikanern –
bei den Vietcong bewarb.
Anders die Lage im Süden. Dror erzählt, sie habe Interviews mit
Südvietnames:innen geführt, die zu Kriegszeiten zur Schule gingen.
Während im Norden die Namen der Staats- und Klassenfeinde omnipräsent
waren, hätten im Süden die meisten Kinder, so sagt sie, von Ho Chi Minh,
dem Staatsführer und Übervater Nordvietnams, noch nie gehört.
Propagandistisch habe man eher die eigentliche Einigkeit des Landes betonen
wollen. Südvietnam, das stellt sie auch klar, war trotz allem keinesfalls
ein freies Land. Auch seien nicht wenige Südvietnames:innen offen oder
versteckt vom Kommunismus überzeugt gewesen; ideologisch war man nicht
annähernd so geeint wie der Norden.
Während „Onkel Ho“ über 20 Jahre lang als Premierminister und späterer
Präsident über Nordvietnam herrschte, wechselte die Staatsführung im Süden
häufig. Der unbeliebte Präsident Ngo Dinh Diem, vom letzten vietnamesischen
Kaiser ins Amt gehoben, setzte kurz darauf ebendiesen Kaiser ab, ließ
Wahlen manipulieren und baute ein weit gestricktes Geheimdienstnetz auf.
Seine Amtszeit zeichnete sich aus durch Korruption. 1963 ermordet, schlug
die Nachfolgeregierung vor, den Tag des Attentats auf Ngo Dinh Diem zum
Nationalfeiertag zu erklären, sagt Dror. In den Folgejahren wechselten sich
mehrere Militärregierungen ab, die jeweils ihre Vorgänger propagandistisch
verdammten.
## Personenkult um Ho Chi Minh
Dror, die in ihrem Vortrag einen guten Überblick über die ereignisreichen
20 Jahre vietnamesischer Kriegsgeschichte gibt, präsentiert zuletzt,
angesprochen auf den Personenkult um Ho Chi Minh, eine interessante
Theorie. Zum Übervater hatte dieser wohl auch durch die in seiner Person
vereinten Geistesrichtungen des Kommunismus und Konfuzianismus aufsteigen
können. Nicht nur lebte der Staatsführer in einer bescheidenen Hütte, Dror
macht auch auf sein Erscheinungsbild aufmerksam. „Er war der einzige in der
Partei, der einen Bart trug“, sagt sie.
Der Kult um seine Person sei in den letzten Jahren jedoch merklich
geschrumpft. Die Vietnames:innen wollten sich der Welt öffnen, meint
sie. „Vietnam ist nicht demokratisch, aber es ist auch nicht China.“ Was
die Meinungsfreiheit angeht, schenken sich heute beide dem Namen nach
kommunistischen Staaten jedoch nichts. [2][Vietnam belegt in der Rangliste
der Pressefreiheit] den 174., China den 175. Platz.
Viel Luft nach unten bleibt nicht: Schlechter schneiden nur noch Myanmar,
Turkmenistan, Iran, Eritrea und Nordkorea ab.
14 Dec 2022
## LINKS
[1] /Deutsch-vietnamesische-Beziehungen/!5891976
[2] /Pressefreiheit-in-Vietnam/!5822416
## AUTOREN
Julia Hubernagel
## TAGS
Vietnam
Vietnamkrieg
Propaganda
Kommunismus
Schwerpunkt Pressefreiheit
Graphic Novel
IG
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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