# taz.de -- Friedensprozess in Äthiopien: Mehr Frieden und neue Ängste | |
> Erster Linienflug, mehr Zusammenarbeit: Äthiopiens Regierung und Tigrays | |
> Rebellen beschleunigen die Umsetzung ihres Friedensvertrags. Die Zeit | |
> drängt. | |
Bild: In Bereitschaft bleiben oder nach Hause gehen? TPLF-Kämpfer in Tigray | |
Es war ein Friedenssymbol, als am Mittwoch der erste Linienflug der | |
äthiopischen Fluglinie Ethiopian Airlines seit rund zwei Jahren in Mekelle | |
landete. [1][Bilder des Regionalfernsehens] vom Flughafen der Hauptstadt | |
der Rebellenregion Tigray zeigten [2][emotionale Begegnungen] von im Krieg | |
getrennten Familienangehörigen. „Friedensdividende“, [3][twitterte] | |
Äthiopiens Finanzminister Eyob Tekalign Tolina begeistert. | |
Fast zwei Monate ist es schon her, dass Äthiopiens Regierung und die in | |
Tigray herrschende TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront) in Südafrika ein | |
[4][Abkommen zur Beendigung ihres genau zwei Jahre währenden Krieges] | |
schlossen, der im November 2020 begonnen hatte, als Äthiopien die Kontrolle | |
Tigrays von der damaligen TPLF-Regionalregierung übernehmen wollte und die | |
TPLF in den Untergrund ging. | |
Nach mehreren blutigen Kriegsrunden, die nach US-Schätzungen insgesamt über | |
500.000 Tote gefordert haben, begannen im Oktober Friedensgespräche unter | |
Vermittlung der Afrikanischen Union (AU). Im [5][Friedensabkommen vom 2. | |
November] sagte die TPLF, die zuletzt schwere Verluste gegen die von | |
Eritrea unterstützte äthiopische Armee erlitten hatte, ihre Entwaffnung und | |
die Rückübertragung der Macht in Tigray an Äthiopiens Regierung zu; im | |
Gegenzug endeten die Kampfhandlungen. | |
Seitdem herrscht offiziell Frieden und die TPLF-kontrollierten Städte, | |
einschließlich Tigrays Hauptstadt Mekelle, werden nicht mehr bombardiert. | |
Aber der Norden Tigrays bleibt von Eritrea besetzt und Tigrays Medien | |
sprechen dort von Massakern durch eritreische Soldaten, mit je nach Quelle | |
mehreren Hundert bis mehreren Tausend Toten seit dem Friedensabkommen. Im | |
Westen Tigrays herrschen Milizen der äthiopischen Nachbarregion Amhara, die | |
diese Region für sich beanspruchen und Tigrayer systematisch vertreiben. | |
## Dramatische Not | |
Selbst in Mekelle herrscht weiterhin [6][dramatische Not]. Erst am 6. | |
Dezember wurde die Stadt überhaupt wieder an das äthiopische Stromnetz | |
angeschlossen, erst am 19. Dezember öffnete in Mekelle wieder die erste | |
Bankfiliale. Dabei ist die Wiederherstellung öffentlicher Dienstleistungen | |
in Tigray Teil des Friedensabkommens. Auch der Rückzug Eritreas gehört aus | |
TPLF-Sicht dazu, aber Eritrea war am Friedensvertrag nicht beteiligt. | |
Je länger Eritreas Haltung ungeklärt bleibt, desto fragiler erscheint der | |
Friedensprozess. Anfang Dezember hatte die TPLF den Rückzug von 65 Prozent | |
ihrer Kämpfer verkündet. Aber kurz vor Weihnachten meldeten äthiopische | |
Medien, Eritreas Regierung lehne das Friedensabkommen ab und wolle im | |
Bündnis mit Amhara-Milizen weiter Krieg führen. In diesem Fall würde wohl | |
auch die TPLF wieder zu den Waffen greifen, Äthiopiens Regierung wäre | |
Zuschauer einer neuen Kriegsrunde im eigenen Land. | |
Dies zwingt nun Tigrays Machthaber in Mekelle und Äthiopiens Machthaber in | |
Addis Abeba dazu, gemeinsam an der Stärkung des Friedens zu arbeiten. Bei | |
Gesprächen in Kenias Hauptstadt Nairobi finalisierten beide Seiten am 23. | |
Dezember die Bildung eines gemeinsamen Ausschusses zur Überwachung des | |
Friedensprozesses. | |
Am 26. Dezember landete erstmals seit dem Friedensvertrag eine äthiopische | |
Regierungsdelegation in Mekelle – ein „Meilenstein“, [7][freute sich] | |
TPLF-Chefunterhändler Getachew Reda. Äthiopiens Regierungssprecher Redwan | |
Hussien [8][forderte daraufhin] gleich die „Übergabe schwerer Waffen“ durch | |
die TPLF und die „Übernahme der verfassungsgemäßen Pflichten der | |
äthiopischen Streitkräfte“ in Mekelle bis spätestens Donnerstag – | |
Forderungen, die manchen Tigrayern zu schnell gehen. | |
## Äthiopien braucht dringend Geld | |
Nicht nur die Befürchtung eritreischer Störmanöver treibt beide Seiten zur | |
Eile, auch die wirtschaftliche und politische Situation. Äthiopiens | |
Wirtschaft ist faktisch zum Stillstand gekommen und das Land mit 120 | |
Millionen Einwohnern braucht dringend Geld von außen; die Inflationsrate | |
liegt bei 30 Prozent, immer mehr Menschen [9][rutschen in Armut ab]. Nach | |
äthiopischen Schätzungen würde der Wiederaufbau der im Krieg zerstörten | |
Infrastruktur Tigrays 20 Milliarden US-Dollar kosten. | |
In Tigray sind nach [10][UN-Angaben] 90 Prozent der sechs Millionen | |
Einwohner zum Überleben auf humanitäre Hilfe angewiesen; die Region war | |
monatelang durch Äthiopiens Regierung komplett blockiert. | |
Am 15. November erreichte ein erster Lebensmittelkonvoi des | |
UN-Welternährungsprogramms WFP Tigrays Hauptstadt Mekelle und weitere | |
folgten, aber immer noch wird die Mehrzahl der Bedürftigen nicht erreicht. | |
28 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/Tigrai_TV/status/1608086695110643723 | |
[2] https://twitter.com/addisstandard/status/1608084249965387780 | |
[3] https://twitter.com/EyobTolina/status/1608091819442569220 | |
[4] https://igad.int/wp-content/uploads/2022/11/Download-the-signed-agreement-h… | |
[5] https://igad.int/wp-content/uploads/2022/11/Download-the-signed-agreement-h… | |
[6] https://reports.unocha.org/en/country/ethiopia?_gl=1%2a15r02i%2a_ga%2aMTI0O… | |
[7] https://twitter.com/reda_getachew/status/1607334954140332032 | |
[8] https://twitter.com/RedwanHussien/status/1607638865010892806 | |
[9] tps://www.france24.com/en/live-news/20221211-everything-increasing-except-w… | |
[10] https://reports.unocha.org/en/country/ethiopia | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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