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# taz.de -- Fischerei-Expertin über Haifang: „Das ist moderne Sklaverei“
> Um Haie vor dem Aussterben zu retten, muss Fischfang reduziert werden,
> sagt Iris Ziegler. Die Branche habe ein Problem mit schlechten
> Arbeitsbedingungen.
Bild: Auch Mako-Haie sind vom Aussterben bedroht
taz: Frau Ziegler, wann haben Sie das letzte Mal Fisch gegessen?
Iris Ziegler: Das muss 2018 gewesen sein, da hat sich mein damaliger Chef
in den Fluss gestellt und eine Forelle geangelt. Seit ich für Sharkproject
arbeite, esse ich keinen konventionellen Fisch mehr. Denn je mehr ich
verstanden habe, was da draußen passiert, desto mehr ist mir der Appetit
auf Fisch vergangen.
Was passiert denn „da draußen“?
Durch die Fischerei wird der Hai massiv bedroht. Denn der Lebensraum,
insbesondere der der Hochseehaie wie dem [1][Makohai], überlappt sich mit
dem Bereich der Fischerei. Das führt dazu, dass diese besonders oft am
Haken hängen. Für die Fischerei ist das sogar lukrativ, denn der Hai ist
ein sehr gern gesehener Beifang.
Weil man den Hai essen kann?
Ja, der Mako wird vor allem [2][in Spanien] und Portugal, aber auch in
anderen südeuropäischen Ländern gerne gegessen.
Warum ist das Fangen der Haie überhaupt ein Problem?
Die Tiere sind stark vom Aussterben bedroht. Im Nordatlantik ist der
Bestand an Makohaien zwischenzeitlich so reduziert, dass es mindestens 50
Jahre dauern wird, bis er sich wieder erholt hat – und das, wenn wir ab
jetzt keinen einzigen mehr davon fangen würden. Das allein wäre ja schon
utopisch.
Ist die Fischerei denn die einzige Bedrohung für Haie? Es gibt ja noch den
Klimawandel und andere Umweltgefahren.
Klar, für viele Arten stellt der Klimawandel auch eine große Bedrohung dar.
Mir scheint, wir wissen noch gar nicht, was das alles für Auswirkungen
haben wird. Es ist eine große Unbekannte. Verschmutzungen durch
Schwermetalle, Antibiotika, Hormone und Mikroplastik sind ebenfalls
Bedrohungen, die die Haie beeinträchtigen. All dies hat einen Einfluss, ist
aber im Vergleich zur Fischerei ein minimales Problem.
Auch der Klimawandel?
Haie gibt es seit 400 Millionen Jahren auf unserem Planeten. Die Eiszeit,
alle Meteoriteneinschläge und was sonst noch auf der Erde passiert ist, hat
sie nicht besonders gejuckt, um es salopp zu sagen. Die Tiere sahen damals
natürlich anders aus, aber unterschieden sich nicht groß von den heutigen
Haien. Der Hai ist ein super angepasstes Wesen auf unserem Planeten, und
deswegen wird ihm der Klimawandel allein nicht zu schaffen machen.
Vielleicht wird es ihm Probleme bereiten, wenn seine Beute durch den
Klimawandel verschwindet, aber selbst dann würde er irgendwie zurechtkommen
und sich umstellen.
Werden Haie dann zu Vegetariern?
Von Algen würden die meisten Haie nicht satt werden. Aber es gibt auch
Quasivegetarier unter ihnen, den Walhai zum Beispiel. Der Tigerhai dagegen
ist ein Allesfresser, der frisst, was ihm zwischen die Zähne kommt. Von
daher hätten Haie die größte Überlebenschance, wenn einfach die Fischerei
wegfallen würde.
Wie viel macht denn die Fischerei aus?
Wir stehen kurz vor dem Point of no Return. In den letzten 50 Jahren haben
wir über 70 Prozent der Hochseebestände verloren. Und da rede ich nicht von
Arten, sondern von Biomasse.
Woher haben Sie diese Zahlen?
Die Zahlen kommen aus der Fischerei, da es nur sehr wenige unabhängige
Daten dazu gibt. Schaut man sich die Fischereiberichte von damals im
Vergleich zu heute an, kann man daraus Rückschlüsse ziehen auf die
Bestandsgröße. Da steht nämlich drin, was und wie viel gefangen wird und
mit welchem Aufwand. Wenn man schaut, wie viele Haie noch vor 20, 30 Jahren
gefangen wurden im Vergleich zu heute, sind es trotz eines viel höheren
Fangaufwands deutlich weniger. Aber nicht, weil sie heute besser geschützt
werden, sondern weil es insgesamt weniger ausgewachsene Tiere gibt.
Würden Schutzgebiete helfen?
Räumlich begrenzte Schutzgebiete bringen nichts, da die Tiere über den
gesamten Ozean wandern. Wir müssten also die gesamte Hochsee schützen, das
wird auch verhandelt. Es gibt aber bisher kein gemeinsames
rechtsverbindliches System, an das sich alle zu halten haben und wo
Verstöße geahndet werden. Am besten ist es also für die Haie, wenn wir die
Fischerei stark reduzieren oder umstellen und dann weniger Fische und Haie
fangen.
Dadurch wird auch Fisch als Nahrungsmittel natürlich wieder teurer.
Fisch ist ein wertvolles Produkt und keine Massenware. Heutzutage kriege
ich überall Lachs im Salmon Wrap und Thunfisch aus der Dose
hinterhergeschmissen. So billig, wie die Fische sind, kann deren Fang gar
nicht nachhaltig sein. Als ich Kind war, gab es Lachs nur zweimal im Jahr,
und das waren Weihnachten und Ostern. Man hat es sich also nur zu
besonderen Anlässen geleistet.
Dann können sich finanziell Ärmere den Fisch nicht mehr leisten.
Früher hat man in Süddeutschland fast gar keinen Fisch gegessen. An der
Küste gab es Karpfen oder Forelle. Thunfisch gab es gar nicht. In unserer
globalisierten Welt wollen alle von allem, und das wirkt sich auch auf die
Industrie aus. Riesige Mengen an Fisch werden im Pazifik, aber auch im
Indischen Ozean und Atlantik gefangen – oftmals von Menschen, die auf
großen Industrieschiffen arbeiten und selber kaum etwas verdienen. Sie sind
monatelang auf See als billige Arbeitskräfte, ihnen werden die Pässe
abgenommen, und wenn sie protestieren, verschwinden sie plötzlich. Das ist
moderne Sklaverei. Gleichzeitig bekommen lokale Fischer, die küstennah
fischen müssen, keinen Fisch mehr ab. Sie können sich durch Fischfang
allein nicht mehr versorgen. Das heißt, diese Art von Fischfang, die wir
heute betreiben, trifft sehr wohl wirtschaftlich Schwache, aber eben nicht
die, von denen wir immer reden – nämlich die Arbeiter und nicht die
Konsumenten.
Wäre das Problem mit Fischzucht gelöst?
Die allermeiste Aquakultur betrifft Raubfische wie den Lachs oder die
Forelle. Diese müssen mit anderem – wild gefangenem – Fisch gefüttert
werden, da kann im Fischmehl oder Fischfutter auch Hai mit drin sein. Für
ein Kilogramm Zuchtfisch benötigt es fünf bis zehn Kilogramm Wildfisch. Die
Haltung von Lachsfarmen im Meer bringt zudem weitere Probleme wie
Pestizide, Fäkalien, Ansteckung mit Krankheiten und Eutrophierung der
Gewässer mit sich …
… also den schädlichen Anstieg von Stickstoff und Phosphor im Wasser.
Eine Alternative wäre die binnenländische Zucht von vegetarischen Fischen
wie Karpfen, leider ist der hierzulande kulinarisch nicht beliebt. Die
Lösung lautet also Umdenken: Welche Fische und wie viel kann, darf und
sollte man noch essen?
Bei der [3][Weltartenschutzkonferenz Cites] im November wurden über 60
Haiarten unter Schutz gestellt. Wie bewerten Sie das Ergebnis?
Es ist definitiv ein großer Erfolg. Die aufgelisteten Haie werden zwar
weiterhin gefangen, gezielt oder als Beifang, aber die Fischer und Länder
müssen nachweisen, dass dieser Fang nachhaltig erfolgt ist und die Bestände
durch den Fang nicht gefährdet werden. Ansonsten dürfen keine Haie mehr
verkauft oder exportiert werden, die auf der Hochsee gefangen werden. Damit
entfällt der wirtschaftliche Anreiz für den Fang und die Fangnationen. Die
internationalen Fischerei-Managementorganisationen sind dann gezwungen,
nachhaltige Fangquoten und andere Maßnahmen zum Schutz der Bestände
festzulegen und einzuhalten. Wird mehr gefangen als erlaubt, kann es sogar
sein, dass überhaupt kein Hai mehr verkauft werden darf und alle gefangenen
Tiere wieder freigelassen werden müssen – tot oder lebendig. Damit wird der
wirtschaftliche Anreiz, Haie zu fangen, unterbunden.
Ist die Zukunft der Haie also gerettet?
Selbst wenn man die Haie nicht mehr oder nur noch wenige anlanden darf,
sterben sie oft trotzdem als Beifang. Aber den Anreiz, Haie zu fangen, hat
man den Fischern genommen. Dadurch werden sie schrittweise vermeiden, den
Hai als Beifang zu fischen, um ihren eigenen Aufwand zu reduzieren. Der
Naturschutzgedanke alleine reicht in unserer Welt leider nicht, man muss
ihn immer mit wirtschaftlichen Anreizen koppeln.
1 Feb 2023
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## AUTOREN
Shoko Bethke
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